Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Auf der anderen Seite von Disney World
„The Florida Project“zeigt den ungeschönten Lebensalltag jenseits der Sonnenseite
Unter dem Namen „The Florida Project“entwickelte Walt Disney in den 1960er-Jahren seinen Freizeitpark in Orlando. Heute rangiert dieser unter dem Namen Walt Disney World als meistbesuchtes Freizeitressort der Welt. Für die Bewohner des „Magic Castle“ist er allerdings in unerreichbarer Ferne – obwohl sie ganz in seiner Nähe wohnen. Denn hinter dem klangvollen Namen verbirgt sich ein heruntergekommenes Motel, in dem ein Gutteil der Gäste de facto dauerhaft wohnt, weil sie sich keine andere Unterkunft leisten können und das Geld für die Übernachtung Tag für Tag verdienen müssen.
Halley (Bria Vinaite) ist eine von ihnen. Obwohl erst Anfang 20, hat sie bereits eine sechsjährige Tochter, Moonee (Brooklynn Prince). Über die Vorgeschichte der beiden erfährt man fast nichts – nur vage, dass Halley mal als Tänzerin gearbeitet hat. Jetzt verkauft sie Touristen auf den Parkplätzen billige Parfümimitate, lässt sich von einer befreundeten Bedienung mit Essen versorgen und verbringt ansonsten einen guten Teil des Tages mit Rauchen und Fernsehen. Klingt deprimierend – ist es für Tochter Moonee aber nicht. Mit ihren gleichaltrigen Freunden streift das aufgeweckte Mädchen weitgehend unbeaufsichtigt durch die Gegend und stellt reichlich Unfug an. Der kindlichen Fantasie sind dabei wenige Grenzen gesetzt – statt einer Disney-Safari gibt es Tiere auf der Weide, statt einem Spukhaus leer stehende Apartments zu erkunden. Doch auch wenn der gutherzige Hotelmanager Bobby (Willem Dafoe) das Mutter-Tochter-Duo immer wieder unterstützt, lässt sich die Abwärtsspirale der Prekarität kaum aufhalten.
Filmemacher Sean Baker ist vor allem an Gruppen jenseits des gesellschaftlichen Mainstreams interessiert, deren Leben er sich mit unkonventionellen Methoden nähert. So wurde „Tangerine L.A.“, sein Film über Transgender-Prostituierte, komplett mit dem iPhone gefilmt. In seiner neuen Produktion wählt er überwiegend die Kinderperspektive, ist dabei aber vom rührseligen Disney-Kitsch weit entfernt. Sonderlich viel Handlung sollte man hier nicht erwarten, dafür wird der Alltag auf Amerikas Schattenseite im sonnigen Florida lebensnah vermittelt. Dazu tragen die Darsteller erheblich bei. Für viele, wie Naturtalent Brooklynn oder Bria Vinaite, die Baker auf Instagram entdeckte, ist es das Regiedebüt. Dazu gesellen sich die realen Bewohner der Motels, in denen während der Dreharbeiten der Betrieb weiterging.
Nur wenig Hollywood -Glanz
Einziger bekannter Name ist Hollywood-Veteran Willem Dafoe, der für die tiefe Menschlichkeit, die er in seine knorrige Filmfigur legt, sehr verdient eine Oscar-Nominierung als bester Nebendarsteller erhielt. Wer bereit ist, auf einige Filmkonventionen zu verzichten, dem werden die Menschen im „Magic Castle“und ihre Schicksale noch lange nachgehen.
The Florida Project. Regie: Sean Baker. Mit Brooklynn Prince, Bria Vinaite, Willem Dafoe. USA 2017. 111 Minuten, FSK ab 12