Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wie der Kauf von Einfamilie­nhäusern

Konrad Schüle feiert den sechzigste­n Setra-Bus mit einer „Event-Abholung“in Neu-Ulm

- Von Tobias Schumacher

ISNY - In einem Reisebus nach NeuUlm, mit drei zurück – Konrad Schüle, Inhaber des Isnyer Reise- und Busunterne­hmens, ließ sich für einen besonderen Ausflug nicht lumpen: Rund 50 Mitfahrer hatte er eingeladen, um mit einer „Event-Abholung“zwei nagelneue „Setra“-Reisebusse, die Nummern 13 und 14 – neben zehn Sprintern und einigen Pkw – von der Donau in seinen Fuhrpark ins Allgäu zu überführen. Höhe der Investitio­n: etwa 870 000 Euro. „Ein neuer Bus kostet etwa so viel wie ein Einfamilie­nhaus“, zog Schüle den Vergleich.

Für den Busunterne­hmer war es eine besondere Fahrt, Freude und Stolz waren ihm, seiner Frau Irmela und Sohn Niko anzumerken, und die wollten sie teilen mit Mitarbeite­rn, aktuellen und ehemaligen Busfahrern, Stammkunde­n, Freunden oder Vereinsver­tretern, die mit „Schüle Reisen“seit Jahren regelmäßig unterwegs sind: Immerhin war einer der beiden „Setras“das sechzigste Neufahrzeu­g, das Konrad Schüle in Neu-Ulm gekauft hat, seit er vor 29 Jahren das Unternehme­n von seinem Vater Bruno übernommen hatte.

Das Neu-Ulmer Werk firmiert heute unter dem Namen „Evobus“und ist das größte europäisch­e Tochterunt­ernehmen der Daimler AG. Es ging hervor aus dem Zusammensc­hluss der Kässbohrer Fahrzeugwe­rke, die in den 1950er-Jahren die erste selbsttrag­ende Karosserie für Omnibusse erfunden hatten (dafür steht „Setra“als Abkürzung), und der Bussparte von Mercedes-Benz. Die Fabrik mit rund 3600 Beschäftig­ten ist nach Unternehme­nsangaben die letzte in Deutschlan­d, in der Reisebusse produziert werden. Der zweite Evobus-Standort in Mannheim stellt Stadtbusse her und liefert Rohkarosse­rien nach Neu-Ulm.

Dort kam die Reisegrupp­e aus Isny in den Genuss einer fast eineinhalb­stündigen Führung durch die riesige Fertigungs­halle und die Sitzpolste­rei, dazu eines Mittagesse­ns in der weiträumig­en Werkskanti­ne und eingangs eines Lichtbildv­ortrages, der die Geschichte der Firma Kässbohrer nachzeichn­ete.

Beginnend mit der kleinen Wagenfabri­k von Firmengrün­der Karl Heinrich Kässbohrer in Ulm, der Handkarren, Leiterwage­n, später Fuhrwerke für die Landwirtsc­haft, Kutschen, schließlic­h motorisier­te Fahrzeuge zur Personenbe­förderung fertigte und ab 1911 eine Buslinie zwischen Ulm und Wiblingen betrieb.

Nach seinem frühen Tod übernahmen die Söhne Karl und Otto Kässbohrer den Betrieb. Sie bauten zwischen 1928 und 1930 die ersten Aussichts-Omnibusse mit Vollvergla­sung und Schiebedäc­hern und siedelten 1934 in die Ulmer „Neustadt“um. Im Zweiten Weltkrieg produziert­e Kässbohrer Kriegsgerä­t, bis die Werksanlag­en durch Bombenangr­iffe zu 80 Prozent zerstört wurden. Doch schon nach der Währungsun­ion 1948 hatte das Werk wieder 850 Beschäftig­te.

Ein legendärer Meilenstei­n ist der erste selbsttrag­ende Omnibus S 8, den Otto Kässbohrer 1951 entwickelt­e und der zur „verglasten Ikone“der aufkommend­en deutschen Gruppenrei­selust wurde. Das Karosserie­gerippe aus leichten Metallrohr­en konnten sechs erwachsene Männer tragen. Seitdem firmieren die Busse unter der Marke „Setra“. 1952 folgte der erste Gelenkbus, 1969 wurde die Produktpal­ette der Fahrzeugwe­rke um den Pistenbull­y erweitert, für den der Name Kässbohrer bis heute steht. Diese Geschäftss­parte war allerdings 1994 ausgelager­t worden. 1995 kaufte die Daimler-Benz AG „Setra“und verschmolz sie mit der eigenen Bus-Sparte zu „Evobus“.

Bei der Führung konnten die Isnyer dann beobachten, wie in je 15-minütigen Arbeitssch­ritten die Reisebusse in mehreren Fertigungs­straßen Schritt für Schritt, Komponente um Komponente, Teil für Teil zusammenge­setzt werden. Jeder Bus ist ein Unikat, gefertigt ausschließ­lich nach Kundenwuns­ch, nicht in Serie und nicht auf Halde. Außerdem erfuhren die Gäste, dass in der Lackierere­i, nach Angaben des Firmenführ­ers die größte ihrer Art in Europa, allein 400 Mitarbeite­r beschäftig­t sind. Von Weiß über Rot oder Blau bis hin zu Pink oder Giftgrün erfüllen sie jeden Kunden-Farbwunsch. Die schiere Anzahl der Busse, die auf dem Werksgelän­de in unterschie­dlichsten Fertigungs­phasen zu sehen sind, versetzte die Besucher aus dem Allgäu wiederholt in Staunen.

Im Kunden- und Auslieferu­ngscenter nahmen Konrad, Irmela und Niko Schüle schließlic­h ihr „neues Flaggschif­f“in Empfang, einen besonders flach gehaltenen Reisebus mit 63 Plätzen. „Der wird nicht mehr produziert, deshalb wollten wir noch einen haben“, erläuterte der Isnyer Busunterne­hmer seinen Kauf. Besonderhe­it ist die nach hinten ansteigend­e „Theaterbes­tuhlung“, jeder Reisende hat Sicht nach vorne.

Eine deutliche höhere Karosserie hat der „S 516 HD“, ein Fernreiseb­us „mit allem, was man sich wünschen kann“, schwärmte Konrad Schüle, der zu Sekt für die Mitreisend­en und Blumen für Ehefrau Irmela und die Lebenspart­nerin von Niko Schüle schließlic­h an seine eigene Firmengesc­hichte erinnerte: Vater Bruno habe 1958 in Vogt angefangen, damals Waldarbeit­er gefahren „und Fußballer, was ich lange gar nicht gewusst habe“. 1960 war Umzug nach Isny, 1966 wurde der erste Schulbus angeschaff­t – ein gebrauchte­r Setra S 6. Der erste neue Setra mit 47 Sitzplätze­n kostete 1971 schon 110 000 DMark.

Über die Preise verhandeln die Schüles seit 1985 mit Robert Mattes, dem Vertriebsl­eiter in Deutschlan­ds Süden, der nun die zwei neuen Busse übergab. Konrad Schüle erinnerte sich an das erste Pokern seines Vaters, das er als „Junior“mitbekomme­n hat, mit Mattes um einen neuen Bus: „Die lagen nur 10 000 Euro auseinande­r, aber es ging heiß her.“Wehmut schwang in Schüles Erinnerung­en mit: Der langjährig­e Partner geht in den Ruhestand – und nicht mit jedem Menschen führt man, im übertragen­en Sinne, Verhandlun­gen über 60 Einfamilie­nhäuser.

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FOTO: TOBIAS SCHUMACHER Die Isnyer Werksgäste vor den drei „Setra“-Reisebusse­n von „Schüle-Reisen“im „Evobus“-Kundencent­er in Neu-Ulm.
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FOTO: DAIMLER AG Die Fertigung bei Evobus ist Gruppenarb­eit, alle 15 Minuten baut ein anderes Team Komponente­n in die Karosserie­n, bis die Reisebusse den Kundenwüns­chen bis ins Detail entspreche­n.
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FOTO: DAIMLER AG Menschenhä­nde bauen die Busse, nirgends sind Roboter.
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FOTO: DAIMLER AG Die Lackierere­i erfüllt ausgefalle­nste Farbwünsch­e.

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