Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Bringen Wölfe die Weidehaltung in Gefahr?
Alpwirtschaftlicher Verein und Biologe Henning Werth fordern mehr Unterstützung für die Landwirtschaft
OBERALLGÄU Es war kein Wolf, sondern vermutlich ein Hund, den Passanten vor einer Woche zwischen Burgberg und Rettenberg gesichtet haben. Darüber sind sich die Experten einig. Einig sind sie sich aber auch, dass Wölfe früher oder später im Oberallgäu ansässig werden. Das könnte die Weidewirtschaft zurückdrängen und die Landschaft verändern, warnt Erich Krug, Geschäftsführer des Bayerischen Bauernverbands in Kempten. „Man muss konstruktiv mit der Thematik umgehen und darf die Alpwirtschaft nicht allein lassen“, fordert auch Hennnig Werth, Biologe und Schutzgebietsbetreuer der Allgäuer Hochalpen.
Bisher seien im Oberallgäu nur einzelne Wölfe gesichtet worden. Wann Wölfe hier heimisch werden, darüber könne man nur spekulieren, sagt Werth. Klar sei: Tauchen Wölfe auf, reißen sie andere Tiere – auch Nutztiere. Zur potenziellen Beute gehören Schafe, Ziegen und Gehegewild sowie Jungvieh, Mastrinder und Mutterkühe mit Kälbern, stellt die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft fest.
Tatsache ist auch, dass in Gebieten, in denen Wölfe heimisch geworden sind, die Weidehaltung abnimmt, wie der Geschäftsführer des Alpwirtschaftlichen Vereins, Dr. Michael Honisch, erklärt. So sei die Zahl der Weidetiere in Frankreich seit Ende der 1980er-Jahre von 800 000 auf 425 000 Tiere gesunken. In Sachsen habe sich der Schafbestand seit 2002 mehr als halbiert. Honisch sieht das als Folge der Schäden durch Wölfe. Die Bilder gerissener Kälber täten ihr Übriges. „Das wird kein Bauer seinen Tieren zumuten wollen“, sagt Honisch.
Sollte sich die Landwirtschaft aus der Beweidung der Wiesen zurückziehen, hätte das gravierende Folgen für Artenvielfalt und Landschaftsbild, warnt der Geschäftsführer des Landschaftspflegeverbands KemptenOberallgäu, Stefan Pscherer. „Zur Biodiversität gehört die Vielfalt der Landschaften“, sagt er. Ohne Alpwirtschaft verbusche sie. Christian Schiebel, Sachgebietsleiter Naturschutz am Landratsamt, spricht von einem Zielkonflikt, da mehrere Arten den gleichen Schutz wie der Wolf genießen. In solchen Fällen müsse in einem bestimmten Bereich die eine, in einem anderen Bereich die andere Art Vorrang haben.
Wie soll die Landwirtschaft also mit der Gefahr umgehen? Werth verweist auf das Calander-Rudel in der Schweiz, das südlich des Säntis lebt. Dort gebe es eine ähnliche Struktur wie im Allgäu, mit Braunvieh und Schafen auf der Weide. „Die Übergriffe auf Nutzvieh halten sich dort in Grenzen“, sagt Werth. Das liege daran, dass in der Schweiz Herdenschutzmaßnahmen etabliert seien. Denkbar fürs Oberallgäu ist aus Sicht des Biologen, dass kleinere Schafherden über Nacht in den Stall kommen. Auch mit Schutzhunden gebe es gute Erfahrungen. Landwirte, die solche Hunde halten, müssten vom Staat oder dem Naturschutz finanziell unterstützt werden, fordert Werth. Zum Konzept der Schweiz gehören auch Zäune. Experten der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft haben errechnet, was es bedeutet, die Weideflächen in Bayern mit Zäunen zu schützen. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Alpfläche könne so gesichert werden – teils mit hohem Aufwand. Die Kosten gibt die Landesanstalt mit 240 bis 400 Millionen Euro an, die Folgekosten mit 28 bis 43 Millionen Euro pro Jahr. Einig sind sich Alpwirtschaft und Naturschutz in der letzten Konsequenz. Sollten alle Maßnahmen nicht greifen, dürfe der Abschuss einzelner Wölfe kein Tabu sein, fordern Honisch und Werth.