Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der soziale Auftrag der Stadt
Bürgermeister Bürkle diskutiert mit Wurzacher Bürgern über soziale Gerechtigkeit
BAD WURZACH - Das Jahresthema der evangelischen Kirchengemeinde in Bad Wurzach lautet „Armut und Reichtum – soziale Gerechtigkeit?“– Anlass für die evangelische Kirchengemeinde, Bürgermeister Roland Bürkle einzuladen, der beim Neujahrsempfang der Stadt die soziale Frage ebenfalls zum Thema gemacht hatte, um mit ihm über die sozialen Aufgaben der Stadt zu diskutieren.
Zu Beginn der gut besuchten Veranstaltung erläuterte der Rathauschef , mit welchen drei Aspekten er den Begriff „sozial“definiert: Absicherung dessen, was ein Mensch zum Überleben braucht, Eröffnung von Chancen zur Besserung der Situation und als drittes den Umgang miteinander sowie die Art und Weise, wie man Geld gibt.
Bürkle gab zunächst einen Abriss darüber, wie der erstgenannte Punkt zu verstehen sei und führte einige Zahlen an. Der Beitrag der Kommunen für soziale Ausgaben, die sogenannte Kreisumlage, orientiert sich an der Steuerkraft einer Stadt. So steuert Bad Wurzach 5,5 Prozent der im Landkreis benötigten Finanzen bei. Da im Landkreis 100 Millionen Euro im Jahr benötigt werden, sind das 5,5 Millionen Euro. Das ist mehr als ein Drittel der Einnahmen der Stadt – bestehend aus Grund-, Gewerbeund Einkommenssteuer. Die Ausgaben umfassen Sozialhilfe, Wohngeld, Krankenversicherung, Pflege und besondere Leistungen wie Kindergarten-Beiträge oder die Rundfunkgebühren. Und diese Ausgaben steigen jährlich um fünf bis sieben Prozent, bedingt vor allem durch steigende Beiträge zur Pflege, Wiedereingliederung und Jugendhilfe, aber auch durch die steigende Zahl derer, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.
351 Euro Wohngeld
Nachfolgend führte Bürkle die Sozialhilfe-Sätze an, die vom Bund festgelegt und bundesweit einheitlich sind mit Ausnahme des Wohngeldes, das je nach Stadt variiert. Bad Wurzach ist in der Mietklasse 2, was bedeutet, dass Alleinstehende 351 Euro erhalten – eine Summe, für die in Bad Wurzach nicht einmal eine Einzimmerwohnung zu bekommen ist, wie Pfarrerin Barbara Vollmer anmerkte. Es folgten Einwürfe und Diskussionen, dass Arme keine Lobby hätten und die Sätze zu niedrig angesetzt seien; wie schwer es sei und wie lange es dauere, in der Mittelschicht anzukommen; und wie verletzend die abwertende Haltung der Gesellschaft sei.
Bürkle betonte, wie wichtig es sei, in Bildung zu investieren, die heute schon im Kindergarten beginne. Bad Wurzach gibt netto für seine Kindergärten 2,3 Millionen Euro aus. Aus dem Einwand von Vollmer, dass auch Bildung keine Garantie für ein gutes Einkommen sei, entstand eine lebhafte Diskussion zu dem Thema, wie Firmen, vor allem Großkonzerne, aber auch der Staat mit Angestellten umgehe. Das Beispiel von Lehrern, die zum Schuljahresende ausgestellt und nach den Sommerferien wieder eingestellt würden, zeige, dass auch der Staat hier kein Vorbild sei. Bürkle erwiderte, dass es bei der Stadt Bad Wurzach keine befristeten Verträge gebe und dass er bei den Wurzacher Unternehmen Wertschätzung den Mitarbeitern gegenüber erlebe.
Zum Thema Wohnungsmangel räumte Bürkle drei Fehler in der Politik der letzten zehn Jahre ein: Zum einen dachte man, durch den demografischen Wandel würden keine neuen Wohngebiete mehr benötigt; inzwischen habe man aber gegengesteuert und 18 neue Gebiete ausgewiesen. Ein weiterer Grund sei, dass die Bürger immer mehr Quadratmeter benötigen und viele beispielsweise ihre Einliegerwohnungen nicht mehr vermieten. Als dritte Ursache führte er die Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus an; aber auch hier habe es ein Umdenken gegeben, und auch in Bad Wurzach gebe es diesbezügliche Planungen.