Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

In der surrealen Fabrik

Drei Künstler befassen sich in Lindenberg mit dem Thema Arbeit

- Von Ingrid Grohe Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still. Wenn dein starker Arm es will. Brecht das Doppeljoch entzwei! Brecht die Not der Sklaverei! Brecht die Sklaverei der Not! Brot ist Freiheit, Freiheit Brot! D

LINDENBERG - Von wegen „Alle Räder stehen still“. Von Stille kann keine Rede sein in der Ausstellun­g, deren Titel dem Bundeslied für den Allgemeine­n Deutschen Arbeiterve­rein entlehnt ist. Beate Engl, Leonie Felle und Guido Weggenmann nutzen die frühere Produktion­sstätte der Hutfabrik Reich, um mit künstleris­chen Mitteln über das Thema Arbeit zu philosophi­eren: darüber, welche Kraft sie erzeugt, welche Macht sie auf das Leben des Einzelnen und auf die Gesellscha­ft ausübt, welche Versprechu­ngen und welche Enttäuschu­ngen sie bereit hält. Bei aller Ernsthafti­gkeit sind die Exponate erstaunlic­h leicht, erfreulich verspielt geraten.

Die umgebaute Fahrradfel­ge erinnert an das Modell eines eigentümli­chen Riesenrads. Wie ein Scherensch­nitt wirkt die schwarze Silhouette vor den kleinteili­gen Fabrikfens­tern, durch die hartes Licht in die weiß getünchte Halle strömt. Eben noch poetisches Standbild, setzt sich die Apparatur in Bewegung, kaum dass ein Besucher die Ausstellun­g betritt.

Die Dosen, die wie Passagierk­abinen das Rad umkränzen, stoßen blökende Rufe aus – eingebaut in flauschige Leiber geben sie üblicherwe­ise Teddybären eine Stimme. Hier aber schreien sie nach Aufmerksam­keit: für die Poesie des sich drehenden Rads, vielleicht auch für die Bedeutung einer nimmermüde­n Maschine. „Brumm Brumm“nennt Guido Weggenmann seine Installati­on.

Ihrem ursprüngli­chen Zweck dient auch die große Fabrikuhr nicht mehr, die in der Halle Raum greift. Der Kreis des riesigen Ziffernbla­tts ist aufgerisse­n und bäumt sich an einer Säule auf. Einzelne Metallstri­che – einst markierten sie Stunden – liegen im Umfeld verstreut. Und am Boden mühen sich Sekunden- und Minutenzei­ger ab, angetriebe­n von einem nicht tot zu kriegenden Uhrwerk, das sie zwar in die falsche Richtung treibt – immerhin aber mit dreifachem Tempo. Was ist hier passiert? Hat ein Riese versucht, die Arbeiter von ihrem Joch zu befreien, indem er die Zeit, den alten Sklaventre­iber, anhält?

Wild flattert die rote Fahne, rasend dreht sich mit ihr der Stab im verzinkten Kübel und erzeugt einen entsetzlic­h lauten, blechernen Lärm. Mittels Bewegungsm­elder erwecken Ausstellun­gsbesucher die Fahne zum Leben. Aber es versammeln sich keine Massen hinter ihr. Der Gefolgscha­ft beraubt, rotiert sie wütend und sinnlos. Erst erschreckt die scheppernd­e Installati­on „Einer für alle“von Beate Engl den Besucher – doch auf den Schrecken folgt bedauernde­s (oder mitleidige­s?) Lächeln.

Diese surreale Fabrik hat keine Menschen nötig. Die Maschinen treiben selbststän­dig unsinnige Dinge. Eine emsige Stahlsäge gräbt sich Millimeter für Millimeter in das Rohr, das Teil ihres eigenen Traggerüst­s ist, und eine leuchtend orange Geisterhan­d dreht die Kaffeemühl­e, die an die Wand genagelt keinerlei Aufgabe erfüllen kann. Allein ein farbenfroh­es Wandbild Weggenmann­s erinnert daran, dass hier mal Männer Schweiß vergossen. Aus Dutzenden bunter Arbeitshel­me geschaffen trägt es den Titel: “Ist’s nicht der, ist’s ein anderer“.

Selbst Musik erklingt in der einstigen Produktion­shalle, seit die Kunst das Zepter übernommen hat. Für ihre Video-Arbeit „Give and Get“haben Leonie Felle und Beate Engl aus Zitaten Prominente­r einen Textteppic­h geflochten, den sie als fesselndes Sprechlied mit pulsierend­em Takt und symbolstar­ken Bildern ausbreiten. Es geht um alles: um Blut und Freiheit, Glück und Liebe.

Wofür würde es sich lohnen, Fahnen zu schwingen? Wer oder was gibt der Zeit ihre unerbittli­che Macht? Unverkramp­ft, kreativ und ironisch gehen die Künstler in der Kulturfabr­ik mit diesen Fragen um. Zu sehen in der Kulturfabr­ik Lindenberg bis Freitag, 20. April, dienstags bis sonntags 9.30 bis 17 Uhr.

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