Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
In der surrealen Fabrik
Drei Künstler befassen sich in Lindenberg mit dem Thema Arbeit
LINDENBERG - Von wegen „Alle Räder stehen still“. Von Stille kann keine Rede sein in der Ausstellung, deren Titel dem Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein entlehnt ist. Beate Engl, Leonie Felle und Guido Weggenmann nutzen die frühere Produktionsstätte der Hutfabrik Reich, um mit künstlerischen Mitteln über das Thema Arbeit zu philosophieren: darüber, welche Kraft sie erzeugt, welche Macht sie auf das Leben des Einzelnen und auf die Gesellschaft ausübt, welche Versprechungen und welche Enttäuschungen sie bereit hält. Bei aller Ernsthaftigkeit sind die Exponate erstaunlich leicht, erfreulich verspielt geraten.
Die umgebaute Fahrradfelge erinnert an das Modell eines eigentümlichen Riesenrads. Wie ein Scherenschnitt wirkt die schwarze Silhouette vor den kleinteiligen Fabrikfenstern, durch die hartes Licht in die weiß getünchte Halle strömt. Eben noch poetisches Standbild, setzt sich die Apparatur in Bewegung, kaum dass ein Besucher die Ausstellung betritt.
Die Dosen, die wie Passagierkabinen das Rad umkränzen, stoßen blökende Rufe aus – eingebaut in flauschige Leiber geben sie üblicherweise Teddybären eine Stimme. Hier aber schreien sie nach Aufmerksamkeit: für die Poesie des sich drehenden Rads, vielleicht auch für die Bedeutung einer nimmermüden Maschine. „Brumm Brumm“nennt Guido Weggenmann seine Installation.
Ihrem ursprünglichen Zweck dient auch die große Fabrikuhr nicht mehr, die in der Halle Raum greift. Der Kreis des riesigen Ziffernblatts ist aufgerissen und bäumt sich an einer Säule auf. Einzelne Metallstriche – einst markierten sie Stunden – liegen im Umfeld verstreut. Und am Boden mühen sich Sekunden- und Minutenzeiger ab, angetrieben von einem nicht tot zu kriegenden Uhrwerk, das sie zwar in die falsche Richtung treibt – immerhin aber mit dreifachem Tempo. Was ist hier passiert? Hat ein Riese versucht, die Arbeiter von ihrem Joch zu befreien, indem er die Zeit, den alten Sklaventreiber, anhält?
Wild flattert die rote Fahne, rasend dreht sich mit ihr der Stab im verzinkten Kübel und erzeugt einen entsetzlich lauten, blechernen Lärm. Mittels Bewegungsmelder erwecken Ausstellungsbesucher die Fahne zum Leben. Aber es versammeln sich keine Massen hinter ihr. Der Gefolgschaft beraubt, rotiert sie wütend und sinnlos. Erst erschreckt die scheppernde Installation „Einer für alle“von Beate Engl den Besucher – doch auf den Schrecken folgt bedauerndes (oder mitleidiges?) Lächeln.
Diese surreale Fabrik hat keine Menschen nötig. Die Maschinen treiben selbstständig unsinnige Dinge. Eine emsige Stahlsäge gräbt sich Millimeter für Millimeter in das Rohr, das Teil ihres eigenen Traggerüsts ist, und eine leuchtend orange Geisterhand dreht die Kaffeemühle, die an die Wand genagelt keinerlei Aufgabe erfüllen kann. Allein ein farbenfrohes Wandbild Weggenmanns erinnert daran, dass hier mal Männer Schweiß vergossen. Aus Dutzenden bunter Arbeitshelme geschaffen trägt es den Titel: “Ist’s nicht der, ist’s ein anderer“.
Selbst Musik erklingt in der einstigen Produktionshalle, seit die Kunst das Zepter übernommen hat. Für ihre Video-Arbeit „Give and Get“haben Leonie Felle und Beate Engl aus Zitaten Prominenter einen Textteppich geflochten, den sie als fesselndes Sprechlied mit pulsierendem Takt und symbolstarken Bildern ausbreiten. Es geht um alles: um Blut und Freiheit, Glück und Liebe.
Wofür würde es sich lohnen, Fahnen zu schwingen? Wer oder was gibt der Zeit ihre unerbittliche Macht? Unverkrampft, kreativ und ironisch gehen die Künstler in der Kulturfabrik mit diesen Fragen um. Zu sehen in der Kulturfabrik Lindenberg bis Freitag, 20. April, dienstags bis sonntags 9.30 bis 17 Uhr.