Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der Baum als Freund und Lebensbegleiter
Jenseits klassischer Forstwirtschaft und Bestattungskultur sollen Wald und Mensch enger zusammenrücken
INZIGKOFEN - Dichter werden nicht müde, ihn zu besingen, kaum etwas kennt so viele poetische Denkmäler wie der Wald: „Nichts ist für mich mehr Abbild der Welt und des Lebens als der Baum. Vor ihm würde ich täglich nachdenken, vor ihm und über ihn“, hat Christian Morgenstern geschwärmt. Wie sich dieser Sehnsuchtsort jenseits klassischer Forstwirtschaft oder Beisetzungen à la Friedwald enger mit der Lebenswirklichkeit der Menschen verbinden lässt, zeigt seit Kurzem das Beispiel Inzigkofen: Im Fürstlichen Park kann jeder einen Baum kaufen, allerdings nicht zum Mitnehmen. Oder gar zum Verheizen. Er bleibt vielmehr im Wald und steht dort als Symbol für ein individuelles Lebensereignis. Das Projekt ist deutschlandweit das erste seiner Art.
Janina Benz, Försterin im Geschäftsbereich Forst der Unternehmensgruppe Fürst von Hohenzollern und Projektleiterin von „Stammbaum“, ist die zuständige Mitarbeiterin. Die Geburt oder Taufe eines Kindes oder eine Hochzeit sind klassische Anlässe, um einen Baum zu erwerben, doch bei Weitem nicht die einzigen. „Eine überstandene Krankheit, ein Jubiläum oder einfach nur ein Geburtstag sind ebenfalls Gründe, um sich einen Baum zuzulegen.“Allein, ein freudiges Ereignis sollte es schon sein.
Einmalig in Deutschland
„Uns geht es um die Verknüpfung von etwas Schönem mit dem Baum“, sagt Janina Benz. Er solle das positive Pendant zu Bestattungswäldern sein: „Warum denn ausschließlich zum Trauern und Trostsuchen in den Wald gehen?“Die Geschäftsidee des Fürsten greife die ursprüngliche Beziehung zwischen Baum und Mensch auf, die seit Jahrtausenden in den unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich gelebt werde. Das Angebot ist deutschlandweit einmalig und bedient einen Trend, der die Überschrift „Zurück zur Natur“tragen könnte. Übrigens: Die Idee des Friedwaldes, in dem Menschen sich unter einem Baum bestatten lassen können, wird mit dem Ansatz „Stammbaum“räumlich nicht vermischt. Es kann also nicht passieren, dass trauernde Menschen, die einen Verstorbenen auf seinem letzten Weg begleiten, auf eine Gesellschaft treffen, die eine Zeremonie etwa im Rahmen einer Taufe unterm Blätterdach abhält.
Die Unternehmensgruppe ist einer der größten Privatwaldbesitzer Deutschlands (15 000 Hektar Waldfläche) und unter anderem im Immobiliengeschäft aktiv. Karl Friedrich Fürst von Hohenzollern ist Gesellschafter beim traditionsreichen Metallbauer Zollern in Sigmaringendorf und erfolgreicher Unternehmer, die Gruppe erschließt sich laufend neue Geschäftsfelder wie die Ruheforste in Hechingen und Achberg bei Lindau. Nun also die Idee mit den „Stammbäumen“: „Wir als Waldbesitzer stellen fest, dass immer mehr Erholungssuchende den Wald durchwandern“, sagt Janina Benz. „Wir möchten, dass sie dieses Ziel auch finden.“Die Försterin bezeichnet den Baum als lebenslangen Begleiter, als Anker, der Wind und Wetter trotzt und „in unbeständiger Zeit Halt gibt“.
Dass es diesen ersten „Stammbaum“-Wald nun in Inzigkofen gibt, ist nicht zuletzt der 25-Jährigen selbst zu verdanken. Während ihres Forstwirtschaftstudiums in Rottenburg verbrachte die Ostracherin einen Teil ihres Praxissemesters im hohenzollerischen Forstbetrieb. „Ich wollte dort dann unbedingt meine Bachelorarbeit schreiben.“Doch ihr Vorgesetzter winkte ab: zu viel zu tun. „Um mich zu vergrämen, hat er mir von der Idee mit den ,Stammbäumen’ erzählt und vorgeschlagen, dass ich das Ganze ja mal auf seine Wirtschaftlichkeit untersuchen könnte.“Vergrämen ließ sich Benz aber nicht, denn sie fand das Thema spannend. Ergebnis ihrer Arbeit: Es rechnet sich.
Damit ein „Stammbaum“für jeden erschwinglich ist, gibt es unterschiedliche Preiskategorien – sie richten sich in erster Linie nach der Größe. Los geht’s bei 150 Euro für eine 15-jährige Patenschaft, die 30-jährige für einen Baum in der zweiten Wertstufe kostet 900 Euro. Auch sogenannte Riesen sind im Angebot: Sie werden als „besonders charakteristische, sehr alte Bäume mit weit ausladender Krone und markantem Erscheinungsbild“beschrieben. Wer lebenslang einen solchen Riesen behalten möchte, muss etwas tiefer in die Tasche greifen und 9000 Euro berappen.
Das Preisgefüge ist nicht willkürlich festgesetzt, sondern basiert auf den Erkenntnissen der Bachelorarbeit. „Ich habe viele Menschen zu dem Thema befragt und unter anderem auch mit Hochzeitsplanern gesprochen“, sagt Benz. Hintergrund war die Frage, wie viel Geld potenziell Interessierten ihr eigener Baum im Wald wert wäre.
Die Auswahl ist enorm: Der Fürstliche Park ist 25 Hektar groß. Es ist vollkommen unmöglich, die Bäume zu zählen. Infrage kommt jeder einzelne, und auch die Artenvielfalt lässt kaum Wünsche offen, sagt Janina Benz. „Hier wachsen praktisch alle Laub- und Nadelbäume, die in den natürlichen Wäldern Mitteleuropas vorkommen.“Nicht nur deshalb scheint der Fürstliche Park wie gemacht für ein Projekt wie dieses. Er erstreckt sich links und rechts der Donau rund um den Amalienfelsen und ist einer der malerischsten Flecken im Landkreis Sigmaringen. Der Wald in der Anlage wird sich selbst überlassen und nicht bewirtschaftet, sodass sich dort nach und nach die natürlichen Kräfte wieder durchsetzen werden. Instand gehalten werden lediglich die Wege, und die Sicherheit der Besucher haben die Verantwortlichen ebenfalls im Blick.
Neben seiner reichen Ästhetik ist der Ort auch voller Geschichte: Um 1820 hielt Amalie Zephyrine von Ho- henzollern an den schattigen Plätzchen dort Teegesellschaften ab. Ihrer Bekanntschaft mit Napoleon und dem damit zusammenhängenden Zusammenschluss mit Preußen hatte Hohenzollern seine Selbstständigkeit über die Gebietsbereinigung im 19. Jahrhundert hinaus zu verdanken. Und schon in der Steinzeit hatten die Felsen, die hoch über die Donau hinausragen, eine große Bedeutung, sagt Benz. „Es gibt archäologische Funde, die beweisen, dass hier Kulthandlungen stattgefunden haben.“
Der Unternehmensgruppe schwebt vor, die Parkanlage auch für Feste und Zeremonien zu öffnen und das Angebot so noch zu erweitern – seit 2013 steht bereits der historische Leopoldsaal im Sigmaringer Schloss für standesamtliche Trauungen zur Verfügung. „Der Bezugspunkt solcher Feiern wäre immer der eigene Baum.“Noch geht das nicht: „Die Genehmigung lässt noch auf sich warten.“
Das „Stammbaum“-Projekt ist hingegen bereits gestartet. Bis jetzt wurden fünf Bäume verkauft, einer davon gehört Janina Benz selbst: Ihre Wahl fiel auf eine Eibe. Diese war der Taufbaum für ihren Sohn, der heute sechs Monate alt ist.