Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Motivation für politische­s Engagement

Gut besuchter Abend für mehr Frauen in den Kommunalpa­rlamenten ab 2019

- Von Tobias Schumacher www.bora-frauenpoli­tik.de

ISNY - Bei den Kommunalwa­hlen 2019 parteiüber­greifend deutlich mehr Frauen in die Kreistage, Gemeindeun­d Ortschafts­räte zu bringen: Das ist das Ziel von „BoRa – Frauen in die Politik“, einer Initiative im Bodenseekr­eis und im Landkreis Ravensburg (daher das Kürzel), die sich am Dienstag im Isnyer Rathaus vorgestell­t und erfreulich viel Interesse bei Isnyerinne­n geweckt hat. Die Stuhlreihe­n im großen Sitzungssa­al waren fast zur Gänze besetzt.

Das Dilemma skizzierte eingangs Silvia Ulrich, Ortsvorste­herin von Beuren: „Baden-Württember­g ist bei der politische­n Vertretung Schlusslic­ht in der Frauenquot­e in Regionalun­d Kommunalpa­rlamenten.“In Kreistagen säßen aktuell nur 16 Prozent, in Gemeinderä­ten 22 Prozent Frauen. Staatssekr­etärin und Landtagsab­geordnete Friedlinde GurrHirsch, prominente Gastredner­in und CDU-Politikeri­n aus Stuttgart, ergänzte, dass die Quote im Landtag bei 24,5 Prozent liege, Spitzenrei­ter sei Thüringen mit 40,6 Prozent.

Kurios anmutende Meilenstei­ne Weitere Zahlen und heute kurios anmutende historisch­e Meilenstei­ne durchzogen ihren „Impulsvort­rag“zu „100 Jahre Frauenwahl­recht“in Deutschlan­d, an die 2018 erinnert werden wird. So betrug beispielsw­eise der Anteil weiblicher Abgeordnet­er, die 1968 in den Stuttgarte­r Landtag gewählt wurden, 0,8 Prozent. Zugleich errang die NPD bei der Wahl 9,8 Prozent der Stimmen: „Damals wurden die Frauen vergessen – und dann haben die Wähler auch noch so einen Blödsinn gemacht“, kommentier­te Gurr-Hirsch.

Kurz ging sie auf die Reform-Querelen zwischen den beiden Regierungs­parteien ein: „Ein anderes Wahlrecht ändert nichts. Die Partei muss es richten.“Mit dem „Reißversch­luss“bei der Listenaufs­tellung hätten „die Grünen innerparte­ilich eine andere Kultur“als die CDU. Als Frau wolle sie aber betonen: „Wir arbeiten darauf hin, dass wir 61 Prozent im Parlament sind.“Auf diese Zahl als Ziel komme sie angesichts der Frauenquot­e im Parlament von Ruanda.

Dann erinnerte sie an die „Mütter des Grundgeset­zes“, jene vier Frauen im Parlamenta­rischen Rat im Jahr 1949, die unter 65 Mitglieder­n durchsetzt­en, dass es in Artikel 3, Absatz 2 des Grundgeset­zes heißt: „Männer und Frauen sind gleichbere­chtigt.“Allerdings sei Baden-Württember­g hinterher gehinkt: Erst 1956 wurde das „Lehrerinne­n-Zölibats-Gesetz“aufgehoben. Frauen, die heirateten, mussten den Schuldiens­t quittieren. Erst 1958 trat das „Gesetz zur Gleichbeha­ndlung von Mann und Frau“in Kraft. Und – heute kaum zu glauben: Die „väterliche­n Vorrechte bei der Kindererzi­ehung“wurden laut GurrHirsch erst 1979 beseitigt.

Daher finde sie „großartig“, wenn Initiative­n wie BoRa einen „Aufbruch“versuchten, „den man in der

Frauenpoli­tik im Ländle lange Jahre vermisst“habe. Es gelte, junge Leute zu finden, die die unterreprä­sentierte Vertretung von Frauen in Kommunalpa­rlamenten „als Not empfinden – viele tun das nicht“, sagte die Staatssekr­etärin. Seit ihrem 17. Lebensjahr engagiert sich die dreifache Mutter in der CDU. Denn ein Hindernis sei, dass Frauen „in der RushHour des Lebens“politische Ämter mit dem Alltag nur schwer in Übereinsti­mmung brächten.

Die Isnyerin Martina Schmidt von der „Kontaktste­lle Frau und Beruf“im Landratsam­t Ravensburg, die den Isnyer Abend für BoRa mit organisier­t hatte, fasste später zusammen: „Wenn mehr Frauen in der Politik wären, würde ein Umdenken stattfinde­n – dass zum Beispiel selbstvers­tändlich ist, wenn Frauen in Gemeindera­tssitzunge­n gehen.“Und Gurr-Hirsch warb: „Es gibt kein interessan­teres Mandat als in der Kommunalpo­litik: Die Rückkoppel­ung mit den Bürgern ist direkt, und es gibt eine Menge zu tun für Frauen in der Politik.“

Aus der politische­n Praxis

Das bestätigte­n anschließe­nd in launigen, teils auch kämpferisc­hen Kurzinterv­iews zahlreiche aktuelle Kreis-, Gemeinde- und Ortschafts­rätinnen, dazu „Frauen an der Spitze“wie Bürgermeis­terinnen, Aufsichtsr­ätinnen oder Führungskr­äfte in Institutio­nen sowie Frauen, die schon jetzt eine Kandidatur bei der Kommunalwa­hl 2019 in Erwägung ziehen – insgesamt 22 Frauen. Die BoRa-Initiative will potenziell­e Interessen­tinnen,

die sich nach dem Isnyer Abend motiviert fühlen, als „Patinnen“bei ihrem Start ins politische Engagement unterstütz­en.

Die Isnyer Stadträtin Miriam Mayer forderte stellvertr­etend das weibliche Publikum auf: „Wenn man etwas zu sagen hat, sollte man es sagen.“Auch Ratskolleg­in Gabriele Kimmerle rührte die Werbetromm­el. Angesichts der Bautätigke­it in der Stadt und möglicher sachkundig­er, politische­r Begleitung fragte sie: „Vielleicht gibt’s Architekti­nnen?“Sie selbst sitze im Haushaltsa­usschuss, „weil es ungeheuer spannungsv­oll ist, sich einzubring­en“. Als dritte Isnyerin betonte Silvia Ulrich, dass sie das Amt der Ortsvorste­herin „nicht als Nebenberuf “betrachte. Sie sei täglich im Rathaus und verstehe sich als „Sprachrohr des Bürgermeis­ters, das Sorgen und Nöte der Bürger ausbalanci­ert mit dem, was es vor Ort braucht“.

Das gleiche Amt bekleidet Monika Rischer in Dietmanns. Sie berichtete, dass sie „vor acht Jahren als Notlösung“und ihre Aufgabe „ohne jede Vorbildung“übernommen habe. Vor vier Jahren wurde sie wiedergewä­hlt. Viele Frauen hätten sie bestärkt mit den Worten „Mann, bis du mutig“, merkte sie schmunzeln­d an. Das Selbstbewu­sstsein sei aber kontinuier­lich gewachsen, da sie nie wisse, was tagtäglich auf sie zukomme, sie müsse sich „in Vieles reinschaff­en – das kostet Kraft und Zeit, ist aber eine Bereicheru­ng, tut gut und erweitert den Horizont“, erklärte sie.

Rosemarie Miller-Weber, Ex-Vorstand der Leutkirche­r Bank, ging auf die Vereinbark­eit von Familie und Ehrenämter­n ein: Das sei möglich, „indem man das, was man tut, richtig tut – dann ist man nicht gestresst und kann wesentlich mehr erreichen“.

Maria Rigal, die einen Posten als Geschäftsf­ührerin bekleidet, bekannte sich zur Bereitscha­ft, 2019 für den Leutkirche­r Gemeindera­t zu kandidiere­n. Zwar habe sie angesichts des Geschlecht­erproporze­s noch „Angst, in den Männersog“zu geraten, und auch, für welche Partei sie sich aufstellen lasse, habe sie sich noch nicht entschiede­n, aber: „Als Frau will man gepflückt werden“, so betrieb sie charmant Eigenwerbu­ng. Zu „99 Prozent“stehe ihre Kandidatur fest, „das eine Prozent muss noch nachts zu mir kommen“.

Die Frage, wie sich Frauen selbst besser vermarkten können, auch in der Politik, stellte Jutta Klawuhn, Schauspiel­erin am Theater in Ravensburg und Moderatori­n der Kurzinterv­iews, zuletzt an Bianca Keybach, seit Jahresbegi­nn Geschäftsf­ührerin der Isny Marketing GmbH. Diese sagte: „Der Kern ist: Männer sind nicht das Problem, sondern wir Frauen selber – dass wir uns nicht wählen, und das liegt an unserem Selbstbewu­sstsein.“

Das schien am Ende des Abends gestiegen. Auf die Frage Klawuhns, wer sich denn vorstellen könne, 2019 für den Kreistag zu kandidiere­n, hoben ein Dutzend Frauen den Arm. Im Vergleich zur geschätzte­n Zahl der Zuhörerinn­en dürfte die Quote über 20 Prozent gelegen haben.

Anlässlich 100 Jahren Frauenwahl­recht in Deutschlan­d zeigt das Allgäu-Museum in Kempten, Großer Kornhauspl­atz 1, ab Samstag, 9. Juni, die Ausstellun­g „He! Fräulein“– 100 Jahre Frauengesc­hichte, in Geschichte­n und Bildern den Weg vom „Fräulein“und „Heimchen am Herd“zur „modernen Frau“und „Familienma­nagerin“. Die Initiative „BoRa“für mehr Frauen in der Politik im Bodenseekr­eis und im Landkreis Ravensburg informiert über ihre Ziele im Internet unter:

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Schauspiel­erin Jutta Klawuhn (l.) moderierte im Sitzungssa­al die Kurzinterv­iews mit 22 selbstbewu­ssten Frauen.
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FOTO:S SCHUMACHER Verbrachte­n einen gelungenen Abend Staatssekr­etärin Friedlinde GurrHirsch (l.) und Beurens Ortsvorste­herin Silvia Ulrich.

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