Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Das Bergwerk unter der Wiese
Vor 70 Jahren förderten Arbeiter Braunkohle in Halblech – trotz schlechter Qualität des Heizmaterials
HALBLECH - Als Bub hat Sepp Alletsee die Bergarbeiter in ihren provisorischen Unterkünften öfter besucht. Weit war der Weg nicht. Er musste nur runter zur Wiese laufen, die am Haus seiner Großeltern lag. „Für Kinder war das natürlich interessant, das hat es sonst in der Nähe nicht gegeben“, erzählt Alletsee über die alten Stollen, die sich quer unter dem Grundstück hindurchzogen. Heute wohnt der 81-Jährige selber in dem Anwesen und ist Eigentümer der Wiese in der Ostallgäuer Gemeinde Halblech.
Kohle wird dort zwar schon lange nicht mehr abgebaut: Nach den Aufzeichnungen des Bergamtes Südbayern lief die Arbeit in dem Bergwerk von 1946 bis 1948. Doch hin und wieder entstehen Löcher, die von den unterirdischen Gängen zeugen – wie an der Stelle, an der die Kuh Regina fünf Tage in einem sechs Meter tiefen Loch festsaß. Ein Urlauber fand das trächtige Tier dort zufällig. Mit einer Seilwinde und Schlingen konnte Regina dann hinaufgezogen werden. „Eine ganz neue Sache“, sagt Alletsee zu dem Sturz. Bisher seien nur einmal Rehkitze in die Gänge gefallen.
„Das waren lauter ausgebildete Bergleute, die aus ihrer Heimat vertrieben waren“, erinnert sich Alletsee an die Arbeiter – meist Kriegsvertriebene aus Böhmen, wie das Bergamt mitteilt. Zu Spitzenzeiten sollen 15 Bergleute in den unterirdischen Gängen gearbeitet haben. „Von denen lebt heute wohl keiner mehr“, vermutet Alletsee. Denn die Arbeiter seien damals „schon gestandene Mannsbilder“gewesen. Viele von ihnen seien später wieder weggezogen, einige jedoch auch in Halblech geblieben.
Wieso entstand eigentlich ein Bergwerk direkt unter einer Wiese in Buching? Vor allem aus der Not heraus, erklärt Hubert Romeder, Gemeindearchivar und Leiter des Dorfmuseums. Mitte der 1940er-Jahre hatte ein Münchner Kaufmann die Erlaubnis erhalten, vier Stollen zu bauen – jedoch nur, um das Gebiet zu erkunden. Denn bereits nach dem Ersten Weltkrieg ist bei Untersuchungen der Stadt Füssen eine Kohle-Lagerstätte gefunden worden, berichtet Romeder. An Bergbau dachte damals jedoch wohl noch niemand.
Doch nach dem Zweiten Weltkrieg war brennendes Material Mangelware. „In der Not war die Buchinger Kohle akzeptabel“, sagt Romeder. Bei ihr handelt es sich um lignitische Braunkohle. Entwickelt habe sie sich im Eiszeitalter zwischen zwei Warmzeiten und darin entstandenen Mooren, erklärt das Bergamt. Wegen ihrer jungen Geschichte besitze sie daher nur einen geringen Inkohlungsgrad und Heizwert.
Als es wieder bessere Kohle auf dem Markt gab, kämpfte die Buchinger Braunkohlengesellschaft mit finanziellen Engpässen. 1949 seien die Mitarbeiter schließlich entlassen und der Betrieb eingestellt worden, berichtet das Bergamt. Gleichzeitig lief die Erlaubnis zum Bergbau ab. „Die Stolleneingänge hat man im Laufe der Jahre verfüllt, damit die Kinder beim Spielen nicht mehr hineinkommen“, sagt Romeder. Das Bergamt geht außerdem davon aus, dass auch die unterirdischen Strecken weitgehend verschüttet sind. Seit 1970 ist der Buchinger Schieferkohleaufschluss ein Naturdenkmal, teilt das Landratsamt Ostallgäu mit. „Bei einem Aufschluss handelt es sich um eine Stelle an der Oberfläche, an der ein Gestein sichtbar zutage tritt – in diesem Fall Schieferkohle“, erklärt Dr. Martin Nell, Pressesprecher der Regierung von Oberbayern, bei der das Bergamt Südbayern angesiedelt ist. Zurzeit ermittelt dieses zusammen mit einem Ingenieurbüro, inwieweit noch unterirdische Hohlräume vorhanden sind. Dazu fanden vor Kurzem geophysikalische Untersuchungen statt. Betroffene Stellen habe das Bergamt vorsorglich abgesperrt.