Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Und was machen wir jetzt?“
Bei der Diskussionsrunde des Infoabends melden sich auch Kritiker der Veranstaltung zu Wort
BAD WURZACH (sl) - In der von Peter Sellmayer moderierten Diskussion, machte sich die evangelische Pfarrerin Barbara Vollmer nicht nur Sorgen um offen rechte Aktivitäten. Der „latente Rechtsradikalismus, dieses ,man wird doch noch mal sagen dürfen’“ist in ihren Augen mindestens ebenso gefährlich, weil viel schwieriger zu bekämpfen.
Hans-Joachim Schodlok, bekannt als engagierter Windkraftgegner, kritisierte die in seinen Augen einseitige Ausrichtung der Veranstaltung: „Ist die Gefahr von Links nicht viel größer?“Er warf
Lipp vor, auf der Homepage von „Allgäu Rechtsaußen“einen „direkten Link zur Antifa“zu haben. „Antifa steht für mich für Intoleranz, Autoabfackeln, für Störun- gen, für Haus- wände beschmieren“. Schodlok erinnerte zudem daran, dass ein Wirt in Bad Wurzach anonym bedroht worden sei, als er „einer Partei“
seinen Gastraum vermieten wollte. Schodlok störte sich zudem an einem Infostand der Organisation „Links im Allgäu“„mit roter Fahne mit Stern“kürzlich auf dem Bad Wurzacher Wochenmarkt: „Ist das eine demokratische Organisation?“
Auch Hans-Jörg Schick, Bad Wurzacher Stadtrat der CDU aus Arnach, übte Kritik. „250 Polizisten, fünf unbewaffnete Musiker, die ganze Aktion damals war doch ein Schlag ins Wasser“, sagte er zu der Polizeiaktion rund um das Konzert bei Seibranz. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es Menschen mit Hirn gibt, die ein Drittes oder Viertes Reich wollen“.
„Die Sorgen der Menschen haben nichts mit Rechtsradikalismus zu tun. Man muss sie ernst nehmen“, mahnte er. „Meine Sorge ist, wie sich diese Gesellschaft entwickelt, in der dann meine Enkel und Urenkel leben müssen.“Schick sieht die Gefahr, dass sich „aus dem deutschen Volk mit einer Sprache und einer Religion ein Vielvölkerstaat“entwickelt. Was aus einem solchen werden könne, habe man an Jugoslawien gesehen, spielte Schick auf die Bürgerkriege nach dem Zerfall dieses Staats an.
Beide Kritiker bekamen Gegenwind aus der Versammlung. Er könne jederzeit eine Veranstaltung über Linksextremismus organisieren, entgegnete ein Diskussionsteilnehmer Schodlok. Und in Jugoslawien seien eben gerade die Nationalisten „übereinander hergefallen“. Zudem hätten „blühende Staaten schon immer Menschen angezogen. Das ist kein Grund für Rechtsextremismus.“
„Menschen sind immer gewandert“, sagte auch Pfarrerin Vollmer. „Dieses Land gehört uns nicht, es ist nur von Gott geliehen, und das auch mit dem Auftrag offene Arme zu haben für die, die Not leiden und aus der Fremde kommen. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die offen ist, ohne sich aufzugeben, und Schwache schützt.“
Es sei „leider richtig“, dass es auch linksextreme Gewalt gibt, sagte Julian Aicher. „Aber das gegeneinander aufzurechnen, wäre Kindergartenniveau.“Und Bürkle ergänzte: „Politiker machen Fehler. Auch ich habe Fehler gemacht. Aber Politikerfehler rechtfertigen nicht, dass man Gewalt ausübt.“
Der Bürgermeister hob weiter hervor, dass er stets die Auffassung vertrete, dass man mit Menschen, die diskutieren wollen und gewaltfrei sind, reden muss. So habe damals die Stadt der Partei, die das Wirtshaus nicht mieten konnte, das Kurhaus als Versammlungsort erhalten. Linksextremismus lehne er ebenso ab wie Rechtsextremismus, „aber Linksextremismus ist in unserer Stadt noch nicht so stark aufgetreten. Und wir müssen uns zuallererst regional kümmern.“
Ein Versammlungsteilnehmer bedauerte das hohe Durchschnittsalter der Besucher. „Wir könnten heute einen Seniorenklub aufmachen.“ Bürgermeister Roland Bürkle Schulen und Jugendliche sowie deren Eltern fehlten leider gänzlich. Eine solche Veranstaltung sei sicherlich nicht geeignet auf junge Menschen zuzugehen, räumte Bürkle ein. Die Stadt sei aber im Gespräch mit dem Demokratiezentrum für Oberschwaben, dafür andere Formen zu finden. Das bestätigte Stefanie Kruse vom DZ, das in Trägerschaft des Kreisjugendrings Beratungs-, Vernetzungsund Präventionsarbeit in den Themenfeldern Rechtsextremismus und religiös begründetem Extremismus leistet. „Wir gehen in die Schulen, Vereine und Jugendhäuser. Wir können viel bewirken, wenn wir mit den Jugendlichen diskutieren und sie ernst nehmen.“
Einen Appell setzte Joachim Sauter, Geschäftsführer des KJR, an das Ende der Diskussion. „Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Lebensform Demokratie Zukunft hat.“Das dürfe man nicht „denen da oben“überlassen, so Sauter. „Wir sollten gemeinsam daran glauben, dass wir die Verantwortung für unsere Gesellschaft haben. Wir können und müssen sie gestalten und die Grundwerte wie Menschlichkeit leben.“
„Und was machen wir jetzt?“Das fragte zuletzt ein Veranstaltungsteilnehmer und erinnerte an die Lichterkette, die es Ende der 80er-Jahre in Bad Wurzach als Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit gegeben hat. „Fangen Sie doch an“, forderte ihn Peter Sellmayer auf, „machen Sie nicht den Schritt zur Seite, damit der Freiwillige vor kann.“
„Politikerfehler rechtfertigen nicht, dass man Gewalt ausübt.“