Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kinderbuchautorin Nöstlinger gestorben
Christine Nöstlinger gestorben – Warum sie die Jugend von heute nicht mehr verstand
WIEN (KNA) - Die vielfach ausgezeichnete Wiener Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger („Maikäfer flieg“, „Die feuerrote Friederike“) ist am Freitag im Alter von 81 Jahren in ihrer Heimatstadt Wien gestorben. Die Autorin und Grafikerin wurde für ihr jahrzehntelanges Schaffen auch mit dem Astrid-Lindgren-Preis, dem „Nobelpreis für Kinderliteratur“, ausgezeichnet.
WIEN (KNA) - Mit ihren unverwechselbaren Werken hat sie ganze Kindergenerationen geprägt. Am Ende glaubte sich Christine Nöstlinger zu weit entfernt von der Lebenswelt ihres Publikums. Nun ist sie mit 81 Jahren gestorben.
Nöstlinger verbrachte ihr ganzes Leben in Wien, wo sie am 13. Oktober 1936 geboren wurde. Die Verwerfungen, die Krieg und Neuanfang mit sich brachten, verarbeitete sie später in dem Kinderroman „Maikäfer flieg!“, der 2017 verfilmt wurde. Zur Schriftstellerei kam sie über ihren Beruf als Grafikerin. 1970 zeichnete sie erst die Bilder von der „feuerroten Friederike“und schrieb anschließend den Text dazu. Der Erfolg ihres Erstlingswerks kam auch für sie selbst völlig überraschend. Denn der Text, weniger die Bilder, begeisterten das Publikum.
Von da an ging es Schlag auf Schlag. Christine Nöstlinger entfaltete eine ungeheure Produktivität, schrieb bis zu fünf Bücher pro Jahr. Wunderschön ihre „Geschichten vom Franz“, verrückt-witzig „Das Leben der Tomanis“, versponnen die Erlebnisse vom „Lieben Herrn Teufel“. Dazu kamen Beiträge für Anthologien, Gedichtbände im Wiener Dialekt, Radiobeiträge und sogar Kochbücher.
„Ihre vielseitige und äußerst engagierte Tätigkeit als Schriftstellerin ist geprägt von respektlosem Humor, scharfsinnigem Ernst und stiller Wärme, und sie steht vorbehaltlos auf der Seite der Kinder und Außenseiter.“So begründete die Jury im Jahre 2003 die Vergabe des ersten Astrid-Lindgren-Gedächtnispreises an Nöstlinger. 1984 bekam sie die Hans-Christian-Andersen-Medaille, die als „Nobelpreis der Kinderliteratur“gilt, zuvor bereits den Jugendliteraturpreis.
In den 1970er-Jahren hatte sich die Kinderliteratur grundlegend gewandelt. „Realismus“hieß die Devise. Eine neue Schriftstellergeneration etablierte sich, die den Kindern die Welt zeigen wollte, wie sie ist – mit all ihren Härten und Ungerechtigkeiten. Christine Nöstlinger wurde schnell tonangebend in dieser neuen Richtung. Das emanzipierte, selbstbestimmte Kind war ihr Ideal.
Geprägt wurde sie in ihrer Haltung durch ihre Herkunft und die Umbrüche der 68er-Bewegung. „Das Einzige, was ich habe, ist ein unerschütterlich fester Glaube an Aufklärung und Humanität“, schrieb sie einmal. Allerdings kamen ihr im Laufe der Zeit Zweifel an der Nachhaltigkeit ihres Schreibens. „Diese Illusion, dass man Kindern etwas beibringen kann durch Bücher alleine, die habe ich nicht mehr,“bekannte sie 2005 in einem Interview.
Produktiv bis ins hohe Alter
In ihren Büchern sind die Alltagserfahrungen von Kindern und Jugendlichen ein zentrales Thema. Geschwisterstreit und Familienkonflikte ziehen sich durch ihre Romane, die erste Liebe und das Aufbegehren gegen autoritär agierende Eltern und Lehrer. Dass man sich wehren muss gegen Ungerechtigkeiten und Gewalt, versuchte Nöstlinger ihren jungen Lesern zu vermitteln. Sie tat dies mit einem ausgeprägten Sinn für Situationskomik, Ironie und Wortwitz. Trotz ernster Inhalte sind ihre Bücher oft ausgesprochen komisch und sprechen dadurch auch Erwachsene an.
Dabei bediente sie sich mit Vorliebe fantastischer Elemente, denn komplizierte Sachverhalte und schwer durchschaubare Zusammenhänge werden durch Verfremdung oft anschaulicher. Für das Paradebeispiel „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“gab es 1973 den Deutschen Jugendliteraturpreis.
Zahlreiche Bücher der Autorin sind Schullektüre, mehrere Romane wurden verfilmt. Bis ins hohe Alter blieb sie produktiv: 2013 erschien unter anderem „Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte“, außerdem ihre Autobiografie „Glück ist was für Augenblicke“.
Im Juni kam dann Nöstlingers Absage an das Schreiben von Kinderbüchern. „Wie soll ich denn wissen, was Kinder bewegt, wenn sie einen halben Tag lang über dem Smartphone sitzen und irgendetwas mit zwei Daumen drauf tun?“, sagte sie dem Magazin „News“. „Meine eigene Kindheit ist schon eine historische und die meiner eigenen Kinder auch schon bald“, so Nöstlinger weiter. „Es ist alles sehr, sehr anders geworden, und ich verstehe es nicht mehr.“Damit fälle sie aber kein „abfälliges Urteil über heutige Kinder“, sagte die Autorin und Grafikerin. Kaum drei Wochen später ist die große Kinderversteherin für immer verstummt. Ihre zahlreichen Werke werden weiter für sie sprechen.