Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Alle Parteien müssen ganz dringend aufwachen“
CDU-Landtagsabgeordneter Winfried Mack fordert ein Integrationsgesetz – für den Bund wie auch fürs Land
STUTTGART - Wenn die Volksparteien nicht aufwachen, haben sie keine Zukunft, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete Winfried Mack. Seine Partei, aber auch die SPD, müssten endlich darüber streiten, was kulturelle Identität für unser Land bedeutet, erklärt Mack und fordert im Interview mit Kara Ballarin Integrationsgesetze. Heute erscheint sein Buch „Zwischen Abschottung und Offenheit“.
Herr Mack, brauchen wir in Deutschland eine Leitkultur?
Der Begriff ist problematisch. Aber Zuwanderer müssen wissen, wohin sie sich integrieren sollen. Wir brauchen einen Integrationsrahmen. Ich meine damit die Summe der Regeln, die eine Gesellschaft hat – Werte und Anschauungen, die vom Grundgesetz ausgehen. Darüber brauchen wir eine Debatte.
Mit welchem Ziel?
Ich wünsche mir ein Integrationsgesetz mit Präambel – denkbar wäre eines für Deutschland und ein weiteres für Baden-Württemberg. Vieles könnte man darin regeln. Beispiel Schwimmunterricht: Ich halte es für richtig, wenn auch muslimische Mädchen verpflichtend am Schwimmunterricht teilnehmen. Wir brauchen solche Diskussionen.
Warum?
Es sind kulturelle Fragen, die unsere Gesellschaft spalten. Beispiel Wohnungsbau: Wir haben Wohnungsnot und steigende Mieten in Ballungszentren, was auch auf den ländlichen Raum ausstrahlt. Das wird zu einem Identitätsproblem, weil die, die da wohnen, sich die Mieten nicht mehr leisten können. Dann kommt der Populist und sagt: Das ist alles nur wegen der Flüchtlinge. Die Politiker seien abgehoben und verträten nicht mehr das Volk.
Sie klingen wie ein Sozialdemokrat.
Nein. Heimat muss bezahlbar bleiben. Die SPD steckt hinsichtlich kultureller Fragen noch zu sehr in einer Vermeidungsstrategie. Sie denkt, wenn sie sich ums Soziale kümmert, wird alles wieder gut. CDU und CSU sind viel näher an kulturellen Identitätsfragen dran.
Trotzdem verlieren auch sie massiv Wähler.
Alle Parteien müssen ganz dringend aufwachen. Die CDU hat vor der Bundestagswahl auch auf eine Vermeidungsstrategie gesetzt und gesagt: Die Flüchtlingszahlen gehen zurück, es gibt kein Problem mehr. Das ist komplett gescheitert. Die Leute hatten das Gefühl, keiner redet über ihre Probleme. Das stärkt die Populisten.
Ist es klüger, was die CSU macht?
Die CSU sollte die Anpassungsstrategie von Sebastian Kurz in Österreich an die FPÖ nicht nachahmen. Denn dadurch gibt man den populistischen Parteien Raum und verliert seine Glaubwürdigkeit. CSU-Generalsekretär Markus Blume will einen anderen Weg.
Was führt also zum Erfolg?
Wir müssen die Themen aufgreifen, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Dazu müssen wir eine Vorwärtsstrategie entwerfen, wie es Heiner Geißler in den 1970er-und 80erJahren getan hat. Dafür muss man streiten. Aber nicht im Stil des jüngsten Unionsstreits. Doch in der Sache haben viele gedacht: Endlich beschäftigt sich jemand mit unseren Fragen. Wenn die großen Parteien sprachlos bleiben, stärkt das weiter die Pole. Die Parteien, die auf Abschottung setzen, sind dabei im Vorteil.
Genau darauf setzt doch auch die CSU, oder nicht?
Die CSU kann bisweilen einer nationalstaatlichen Überwölbung mehr abgewinnen als wir. Ich argumentiere lieber mit Erwin Teufel, der immer den einzelnen Menschen sieht. Individualität ist gut! Egoismus ist schlecht! Deshalb ist die aktive Bürgergesellschaft ein wichtiges Leitbild.
Der Berliner Politikwissenschaftler Edgar Grande schreibt in Ihrem Buch, dass sich die Grundkoordinaten der Politik geändert haben. Geht es nur noch um Abschottung oder Offenheit?
Die Menschen sind verunsichert – global: Trump, Brexit, Erdogan. Italien ist gekippt, weil sich zwei populistische Parteien zusammengetan haben. Die einen kommen von der rechten, die anderen von der linken Seite. So etwas kann in vielen Ländern passieren, auch in den ostdeutschen Ländern. Wir müssen wieder Maß und Mitte finden! Mein Appell ist: Die Gesellschaft muss wieder zusammenfinden.
Laut Tübingens grünem Oberbürgermeister Boris Palmer ist es eine der drängendsten Aufgaben, Regeln zwischen Abschottung und Offenheit zu definieren. Hat er recht?
Der Gegensatz Offenheit oder Abschottung wäre ein Erfolg der Populisten. Wir müssen einen gemäßigten, offenen Kurs finden.
Wir mussten kürzlich überrascht feststellen, dass die Deutschen mit türkischen Wurzeln in großer Mehrheit Erdogan unterstützen. Haben wir diese Menschen zu wenig in unsere kulturelle Identität einbezogen?
Das ist eine große Enttäuschung für alle, die für Freiheit eintreten. Deren kulturelle Integration ist nicht gelungen.
Warum?
In vielen Städten sind zu homogene Viertel entstanden. Ein Nebeneinanderher, Parallelgesellschaften darf es nicht geben. Bis heute werden immer noch viele Frauen aus der Türkei nachgeholt, die gar nicht integriert sind und werden. Die Sprachförderung muss für alle bereits im Kindergarten ansetzen. Manche Unterschiede muss man zulassen, etwa eigenes Essen oder Musik, aber nicht ein anderes Frauenbild.