Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
120 Jungstörche ziehen um die Häuser
Spektakel bei der Schlafplatzsuche – Friesenhofener Rotbein geht es gut
ISNY - Ein noch● nie dagewesenes Spektakel hat sich dieser Tage den Passanten in der Isnyer Altstadt geboten: „Unglaubliche Szenen spielten sich ab, wenn die gut 120 Gaststörche einen Schlafplatz suchten“, schildert Ulrike Maruszczak von ihren abendlichen Spaziergängen. Und nicht nur die Storchenbeobachterin staunte, sie vermutet, dass auch „große Teile der Bevölkerung über akute Halswirbelsäulenprobleme klagen“, weil sie das Schauspiel über den Dächern verfolgten.
Zurzeit seien es vor allem Jungstörche, die dieses Jahr geboren wurden und ihr Nest bereits verlassen haben, „die sich mit ihren jungen Kollegen zusammentun und gemeinsam durch die Gegend ziehen, bevor sie demnächst ihre erste große Reise in den Süden antreten werden“, erklärt Maruszczak.
Infolgedessen seien die Schlafplätze auf Dächern, Türmen und Baukränen heiß begehrt gewesen und mussten „oft erkämpft werden“. So hätten die Jungstörche im Nest auf dem Rathaus ihr Zuhause gut zu verteidigen gehabt, „weil dort auch andere gerne Platz genommen hätten“. Das Reisefieber habe die jungen Rotbeine noch nicht gepackt: „Sie genießen den Service im Hotel Mama“, scherzt Maruszczak. Nur jene vom Buchennest seien kurzfristig abgereist gewesen – „aber vom Heimweh geplagt zum Teil wieder zurückgekehrt“.
Gute Nachrichten gibt es unterdessen vom Jungstorch, der diese Woche in Friesenhofen für Aufsehen sorgte, weil er zwei Tage lang auf einem Hausdach verweilte (SZ berichtete): „Er hat keine Verletzung an den Flügeln, er ist nur völlig geschwächt, wird jetzt in der Storchenstation am Affenberg in Salem aufgepäppelt, dann beringt und vermutlich schon bald wieder in die Freiheit entlassen“, berichtet Maruszczak. Ihr war es gelungen, den Vogel einzufangen und in pflegerische Obhut zu übergeben.
Sie widerspricht in diesem Zusammenhang dem Eindruck, „als hätte niemand helfen wollen – das ist nicht so“. Ute Reinhard, die Storchenbeauftragte in Baden-Württemberg, habe zurecht darauf hingewiesen, „dass man dem Storch die Möglichkeit geben soll, von selber vom Dach zu segeln“. Diese Auffassung teile Roland Hilgartner, der Leiter der Storchenstation am Affenberg. Auch er hole „nie einen Storch vom Dach“, da die Gefahr, dass sich ein Storch verletzt, wenn er in Panik flieht, etwa, wenn sich eine Feuerwehrleiter nähert, viel zu groß sei. „Die kommen alle von selber runter”, zitiert Maruszczak den Storchenexperten.
Sie könne das Unverständnis in Friesenhofen zwar nachvollziehen, dass dem Tier nicht geholfen werden konnte. „Aber wenn man die Meinung von Experten einholt, dann sollte man denen vertrauen – auch wenn’s schwer fällt“, sagt Maruszczak. Zugleich räumt sie ein: „Ich kann die Friesenhofener durchaus verstehen – ich wäre in dieser Situation früher auch auf die Barrikaden gegangen.“Im Laufe der Jahre habe sie viel über Störche gelernt und wisse, dass das Vorgehen richtig war.
Hilgartner vermute, dass der Jungstorch viele Flugkilometer in den Flügeln hatte und erschöpft im Allgäu ankam. „Da er unberingt ist, wissen wir leider nicht, wo er geschlüpft ist“, sagt Maruszczak. Außerdem sei möglich, „dass er schon im Nest von den Eltern wegen der aktuellen Trockenheit nicht ausreichend mit Nahrung versorgt wurde“. Hilgartner habe ihn eingehend untersucht, „dann stand er sofort auf, schlüpfte durch die Tür in die große Voliere, entdeckte dort drei Leidensgenossen, versteckte sich im Gebüsch und begann dann, sein Gefieder zu putzen – ein sehr gutes Zeichen“, erzählt Maruszczak vom Ende ihrer Rettungsaktion.
Sobald der junge Vogel wieder zu Kräften gekommen sei, werde er beringt und könne vermutlich bald entlassen werden. Sie bleibe mit Salem in Kontakt und werde im Isnyer Storchentagebuch berichten. Einen Namen trägt der Jungstorch übrigens inzwischen auch: „Karlsson vom Friesenhofener Dach“.