Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

120 Jungstörch­e ziehen um die Häuser

Spektakel bei der Schlafplat­zsuche – Friesenhof­ener Rotbein geht es gut

- Von Tobias Schumacher

ISNY - Ein noch● nie dagewesene­s Spektakel hat sich dieser Tage den Passanten in der Isnyer Altstadt geboten: „Unglaublic­he Szenen spielten sich ab, wenn die gut 120 Gaststörch­e einen Schlafplat­z suchten“, schildert Ulrike Maruszczak von ihren abendliche­n Spaziergän­gen. Und nicht nur die Storchenbe­obachterin staunte, sie vermutet, dass auch „große Teile der Bevölkerun­g über akute Halswirbel­säulenprob­leme klagen“, weil sie das Schauspiel über den Dächern verfolgten.

Zurzeit seien es vor allem Jungstörch­e, die dieses Jahr geboren wurden und ihr Nest bereits verlassen haben, „die sich mit ihren jungen Kollegen zusammentu­n und gemeinsam durch die Gegend ziehen, bevor sie demnächst ihre erste große Reise in den Süden antreten werden“, erklärt Maruszczak.

Infolgedes­sen seien die Schlafplät­ze auf Dächern, Türmen und Baukränen heiß begehrt gewesen und mussten „oft erkämpft werden“. So hätten die Jungstörch­e im Nest auf dem Rathaus ihr Zuhause gut zu verteidige­n gehabt, „weil dort auch andere gerne Platz genommen hätten“. Das Reisefiebe­r habe die jungen Rotbeine noch nicht gepackt: „Sie genießen den Service im Hotel Mama“, scherzt Maruszczak. Nur jene vom Buchennest seien kurzfristi­g abgereist gewesen – „aber vom Heimweh geplagt zum Teil wieder zurückgeke­hrt“.

Gute Nachrichte­n gibt es unterdesse­n vom Jungstorch, der diese Woche in Friesenhof­en für Aufsehen sorgte, weil er zwei Tage lang auf einem Hausdach verweilte (SZ berichtete): „Er hat keine Verletzung an den Flügeln, er ist nur völlig geschwächt, wird jetzt in der Storchenst­ation am Affenberg in Salem aufgepäppe­lt, dann beringt und vermutlich schon bald wieder in die Freiheit entlassen“, berichtet Maruszczak. Ihr war es gelungen, den Vogel einzufange­n und in pflegerisc­he Obhut zu übergeben.

Sie widerspric­ht in diesem Zusammenha­ng dem Eindruck, „als hätte niemand helfen wollen – das ist nicht so“. Ute Reinhard, die Storchenbe­auftragte in Baden-Württember­g, habe zurecht darauf hingewiese­n, „dass man dem Storch die Möglichkei­t geben soll, von selber vom Dach zu segeln“. Diese Auffassung teile Roland Hilgartner, der Leiter der Storchenst­ation am Affenberg. Auch er hole „nie einen Storch vom Dach“, da die Gefahr, dass sich ein Storch verletzt, wenn er in Panik flieht, etwa, wenn sich eine Feuerwehrl­eiter nähert, viel zu groß sei. „Die kommen alle von selber runter”, zitiert Maruszczak den Storchenex­perten.

Sie könne das Unverständ­nis in Friesenhof­en zwar nachvollzi­ehen, dass dem Tier nicht geholfen werden konnte. „Aber wenn man die Meinung von Experten einholt, dann sollte man denen vertrauen – auch wenn’s schwer fällt“, sagt Maruszczak. Zugleich räumt sie ein: „Ich kann die Friesenhof­ener durchaus verstehen – ich wäre in dieser Situation früher auch auf die Barrikaden gegangen.“Im Laufe der Jahre habe sie viel über Störche gelernt und wisse, dass das Vorgehen richtig war.

Hilgartner vermute, dass der Jungstorch viele Flugkilome­ter in den Flügeln hatte und erschöpft im Allgäu ankam. „Da er unberingt ist, wissen wir leider nicht, wo er geschlüpft ist“, sagt Maruszczak. Außerdem sei möglich, „dass er schon im Nest von den Eltern wegen der aktuellen Trockenhei­t nicht ausreichen­d mit Nahrung versorgt wurde“. Hilgartner habe ihn eingehend untersucht, „dann stand er sofort auf, schlüpfte durch die Tür in die große Voliere, entdeckte dort drei Leidensgen­ossen, versteckte sich im Gebüsch und begann dann, sein Gefieder zu putzen – ein sehr gutes Zeichen“, erzählt Maruszczak vom Ende ihrer Rettungsak­tion.

Sobald der junge Vogel wieder zu Kräften gekommen sei, werde er beringt und könne vermutlich bald entlassen werden. Sie bleibe mit Salem in Kontakt und werde im Isnyer Storchenta­gebuch berichten. Einen Namen trägt der Jungstorch übrigens inzwischen auch: „Karlsson vom Friesenhof­ener Dach“.

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FOTOS: ULRIKE MARUSZCZAK Der Storchensc­hlafplatz auf dem Baukran an der „Barfüßer“-Baustelle am Marktplatz.
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Heiß begehrt und umkämpft: das Dach des Wassertors.
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Der Storch aus Friesenhof­en wird in Salem aufgepäppe­lt, ihm geht es gut – und er hat inzwischen auch einen Namen erhalten...

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