Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Flucht zurück in den Nordirak
Jesidin soll in Schwäbisch Gmünd ihrem IS-Peiniger begegnet sein – Behörden bestätigen Teile der Geschichte
RAVENSBURG - Der Fall klingt wie ein wahr gewordener Albtraum – und er soll sich im Südwesten abgespielt haben. Eine junge Frau, die in ihrer Heimat Syrien von einem Mitglied der islamistischen Terrormiliz IS als Sklavin gehalten wurde, findet im Sommer 2015 Zuflucht in Deutschland – und trifft knapp drei Jahre später, im Februar 2018, in Schwäbisch Gmünd ihren Peiniger wieder. Daraufhin flieht sie vor ihm aus dem vermeintlich sicheren Deutschland zurück in ihre Heimat, den kurdischen Teil des Irak.
Die Frau, Aschwak Talo, ist Jesidin – also Angehörige eines Volks, das vom IS mit äußerster Brutalität verfolgt und massenhaft ermordet wurde. Gegenüber der kurdischen Nachrichtenseite „Bashnews“hat Talo ihre Geschichte erzählt. Behörden in der Region haben wesentliche Informationen daraus der „Schwäbischen Zeitung“mittlerweile bestätigt. Als erstes deutsches Medium hatte die „Bild“über den Fall berichtet.
Auf Sklavenmarkt verschleppt
Demnach haben IS-Terroristen Talo als 15-Jährige im August 2014 aus ihrer Heimat im Nordirak nach Syrien verschleppt – und sie dort auf dem Sklavenmarkt für 100 Dollar verkauft. Ein IS-Kämpfer namens Abu Humam soll sie erworben haben. Abu Humam zwang sie, so schildert es Talo im Artikel von „Bashnews“, Arabisch zu lernen, Koranverse zu zitieren – und missbrauchte sie jeden Tag sexuell. Nach zehn Monaten gelang Talo mit anderen vier IS-Sklavinnen demnach die Flucht aus der Gefangenschaft.
Talo gehörte laut Landesinnenministerium zu dem Kontingent von 1100 Jesidinnen, das der damalige Referatsleiter im Staatsministerium und heutige Antisemitismusbeauftragte Michael Blume im Jahr 2015 nach Baden-Württemberg holte.
Nach drei Jahren in Deutschland traf Talo ihren Peiniger nach eigenen Aussagen wieder. Im Februar 2018 habe sich ihr in Schwäbisch Gmünd ein Mann genähert, der sie an Abu Humam erinnert habe, berichtet Talo – auf Deutsch – in einem Video von „Bashnews“. Abu Humam habe ihr gesagt, er wisse, dass sie seit 2015 in Deutschland lebe, mit Mutter und Bruder – und sogar die Adresse genannt, unter der sie lebte.
Die Stadt Schwäbisch Gmünd bestätigt, dass die Jesidin Aschwak Talo sich im Februar 2018 dort aufhielt – und berichtet, dass Talo das Treffen mit Abu Humam meldete. Markus Herrmann, Sprecher des Schwäbisch Gmünder Oberbürgermeisters Richard Arnold (CDU), sagte, Talo habe der Stadt am 19. Februar 2018 berichtet, sie habe ihren IS-Peiniger Abu Humam in Schwäbisch Gmünd gesehen. Im Video berichtet Talo allerdings, sie sei Abu Humam erst am 21. Februar begegnet. Die Stadt, sagt Herrmann, habe den Fall sofort beim Staatsschutz und den Ermittlungsbehörden gemeldet. Seit März 2018 ermittelt nach Auskunft des Stuttgarter Innenministeriums das Landeskriminalamt gegen Abu Humam. Laut LKA ist Talo aber nicht für Befragungen erreichbar.
Verantwortlich für den Fall ist mittlerweile die Bundesanwaltschaft. Die Behörde kümmert sich in Deutschland um besonders schwere, staatsgefährdende Straftaten und um Verbrechen des Völkerstrafrechts.
Ermittler: Talo nicht erreichbar
Die Bundesanwaltschaft erklärte auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“, dass Talo fünf Tage nach dem von ihr geschilderten Vorfall zur Polizei gegangen sei. Die Kollegen hätten den Fall aufgenommen und bearbeitet. Anhand der Schilderungen Talos hätten die Beamten aber keine konkrete Person identifizieren und dem genannten Namen Abu Humam keine reale Person zuordnen können. Die Bundesanwaltschaft ermittle trotzdem wegen Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch. „Die Bundesanwaltschaft hätte die Zeugin gerne ergänzend befragt“, teilte Sprecherin Frauke Köhler mit. Talo sei aber schon ausgereist gewesen, als die Bundesanwaltschaft zu ermitteln begann.
Der Gmünder OB-Sprecher Herrmann sagte außerdem der „Schwäbischen“, die Stadt Schwäbisch Gmünd habe Talo angeboten, sie bei der Suche nach einer neuen, anonymen Wohnung zu unterstützen. Das habe Talo aber abgelehnt.
Aschwak Talo erzählte gegenüber „Bashnews“, die Polizei habe ihr gesagt, sie könne nichts gegen Abu Humam tun, er sei ein Flüchtling wie sie. Talo wird mit den Worten zitiert: „Nach dieser Antwort habe ich entschlossen, nach Kurdistan zurückzukehren und niemals wieder nach Deutschland zu kommen.“