Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Ausgebremst
Schlechtes Image, mangelnde Attraktivität – den Speditionen fehlt der Nachwuchs
RAVENSBURG - Ein 40-Tonner fährt dem goldenen Licht der untergehenden Sonne entgegen. Zügig schlängelt sich das Fahrzeug die Passstraße hinauf. Der Ausblick entspricht dem typischen Bergidyll: Ein kleiner Bauernhof steht auf einer Anhöhe, ringsum sind satt grüne Wiesen und Wälder zu sehen. Der Lastwagen und sein Fahrer sind die Könige der Straße. Dieses Bild, das in den 1980erJahren in der ARD-Serie „Auf Achse“im Vorspann geprägt wurde, stimmt heute mit der Realität nicht überein. Im Gegenteil: Die Fahrer sitzen stundenlang am Steuer eines 40-Tonners, der nur wenige Fahrfehler verzeiht. Um eine Pause einzulegen, fehlen die Parkplätze entlang der Autobahnen. Oft leiden die Familien der Fahrer unter der Trennung. Das Image des Berufs ist wegen der äußeren Einflüsse angekratzt – der Nachwuchs fehlt zunehmend.
Das Problem lässt sich deutschlandweit genau in Zahlen beziffern. Nach Informationen des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL) sind eineinhalb Millionen Lkw-Fahrerkarten, eine Speicherkarte mit Fahr- und Arbeitsdaten, ausgegeben. Rund ein Drittel der Fahrer ist älter als 45 Jahre und wird in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen. Allerdings werden jährlich nur etwa 24 000 Berufskraftfahrer ausgebildet. „Uns fehlen somit etwa 45 000 Fahrer“, erklärt Andrea Marongiu, Geschäftsführer des VSL.
„Die Situation brennt bei uns“
Auch Grieshaber, eine Spedition aus Weingarten, spürt den Druck, der durch den Fahrermangel entsteht. „Die Situation brennt bei uns“, sagt Futterer, „Wir haben kein Back-up für die Urlaube oder wenn jemand ausfällt.“Schon jetzt würden an allen Standorten zehn Fahrer fehlen. Insgesamt beschäftigt Grieshaber rund 150 Berufskraftfahrer. In den nächsten Jahren würden einige Fahrer das Unternehmen verlassen, so Roland Futterer, Geschäftsführer der Spedition Grieshaber.
Einer von ihnen ist Christian Schooff. Der 63-Jährige ist Lkw-Fahrer bei der Firma Grieshaber. Er fährt hauptsächlich Fernverkehrsstrecken. Mal führt es ihn nach Wuppertal, nach Schweden oder in die Schweiz. Je nachdem, wo er seine Ladung abliefern muss. Sein gesamtes Berufsleben hat Schooff auf Straßen im In- und Ausland verbracht.
In seinem Alltag hat er schon einiges erlebt, das seinen Beruf zeitweise zu einer Herausforderung werden lässt: Stress entstehe für ihn unter anderem durch Engpässe an Lkw-Parkplätzen. „Ich überlege mir oft schon eine Stunde vor meiner Pause, wo ich dann ungefähr bin und wo ich halten könnte“, sagt der 63Jährige, der heute am Bodensee lebt. Oft weiche er auf Industriegebiete oder Waldstücke aus, wenn er keinen Parkplatz finde. Sonst laufe man Gefahr, die Lenk- und Ruhezeiten zu überziehen, um einen Standort zu finden. Das Risiko, erwischt und bestraft zu werden, sei groß, so Schooff.
Ein weiteres Problem, das Christian Schooff von seinen Kollegen mitbekommt, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Als Fernfahrer sei er in der Regel an den Werktagen unterwegs und nur am Wochenende zu Hause. Bei vielen seiner Kollegen sei das mit ein Grund, warum Beziehungen in die Brüche gehen. Er selbst ist glücklich verheiratet, hat Kinder und Enkelkinder. Allerdings ist es in der Branche nicht üblich, dass Fernfahrer am Wochenende frei haben. „Wir haben die Regel, dass unsere Fahrer am Wochenende nicht fahren müssen“, sagt Grieshaber-Geschäftsführer Roland Futterer. Diese Fahrten vermittle das Unternehmen an anderen Firmen weiter.
Professor Frank Bayer, Studiengangsleiter BWL-Spedition, Transport und Logistik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), hat selbst seinen Lastwagenführerschein bei der Bundeswehr gemacht. Der Wegfall des Grundwehrdienstes sei mit ein Grund für den Mangel an Fahrern. Viele der heutigen Lastwagenfahrer hätten ihren Führerschein während der Zeit bei der Bundeswehr gemacht und seien dann ausgebildet auf den Markt gekommen. Inzwischen müssten Speditionen oder die Fahrer selbst die Kosten für den Führerschein übernehmen. Außerdem habe das Image des Berufs und die Attraktivität stark gelitten: Staus durch Baustellen nehmen zu, die Lieferfristen werden enger und der Verkehr wird immer aggressiver.
Auch der Logistikdienstleister Dachser spürt den Druck innerhalb der Branche durch die fehlenden Fahrer. „Der Fahrermangel macht sich schon seit einigen Jahren in der Branche bemerkbar“, sagt Andreas Froschmayer, Corporate Director bei Dachser. Allerdings beschäftigt das Kemptener Unternehmen selbst nur wenige eigene Fahrer und arbeitet stattdessen mit selbstständigen Transportunternehmern zusammen. Dennoch hat das Unternehmen schon seit einigen Jahren eine Tochterfirma – Dachser Service und Ausbildungs GmbH –, die sich „stark in der Aus- und Weiterbildung von Berufskraftfahrern“einsetzt. Dadurch unterstütze Dachser die selbstständigen Transportunternehmen im Ausbildungsbereich.
Autonomes Fahren als Lösung
Eine mögliche Lösung für den Fahrermangel könnte die Digitalisierung bieten: Professor Frank Bayer von der DHBW sieht die Zukunft in teilweise autonomen Fahrzeugen. Durch einen Autopilot würde der Lkw Routinestrecken selbst fahren. Bei brenzligen oder unübersichtlichen Situationen könnte der Fahrer eingreifen. Eine weitere Möglichkeit bietet das Platooning: Lastwagen fahren, vergleichbar mit einem militärischen Konvoi, hintereinander her. Das erste Fahrzeug wird von einem Fahrer gelenkt, während die anderen autonom fahren. Durch die Digitalisierung lassen sich künftig Probleme wie Parkplatznot oder anstrengendes Fahren entschärfen.
Der Vorspann aus „Auf Achse“könnte dann für die Fahrer wieder mehr zur Realität werden. Ob dann bereits Roboter-Fahrer einen Teil der Lastwagen dem Sonnenuntergang entgegenlenken, bleibt abzuwarten.