Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Sind handgeschriebene Briefe noch zeitgemäß?
Gut, dass ich diesen Text nicht mit der Hand schreiben muss. Grübeln, probieren, durchstreichen, dazwischen krakeln, Papier zerknüllen, von vorne beginnen. Handarbeit ist mühevoll und zeitraubend, die Technik macht uns alles leicht. Zu leicht. Deshalb haben wir leider auch aufgehört, einander richtige Briefe zu schreiben. Selbst aus dem Urlaub verschicken wir flott ein paar WhatsApps. Ping. Erledigt. Kompliziertere Umstände klärt man per E-Mail. Selbst Einladungen, Geburtstagswünsche, Liebesbriefe werden digital übermittelt und allenfalls noch ausgedruckt. Der Inhalt mag ja persönlich formuliert sein (obwohl man das nie genau weiß), die Form ist vollkommen austauschbar. Da wird nichts Individuelles bleiben. Nichts, was den knisternden Briefen gleicht, die ich in leicht vergilbten Mappen als Reliquien meiner Jugend aufbewahre: die 45 Jahre alte Post meines indischen Brieffreundes Aspi zum Beispiel, der seine schnörkeligen Buchstaben ganz fein und eng malte, damit möglichst viel auf das dünne Luftpostpapier passte. Wären Aspis Briefe an „Dear Birgit“damals E-Mails gewesen, sie wären längst gelöscht. Auch aus der Erinnerung. Bis heute freue ich mich über jeden handgeschriebenen Gruß und greife selbst zu Füller und Papier, wenn mir ein Brief wichtig ist. In Verbundenheit, eure Birgit.
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Ach du lieber Himmel, wie romantisch! Das Getrappel der Pferdehufe vor der Postkutsche gerade erst verhallt, da ist auch schon das Siegel hastig aufgebrochen, sind die wehmütigen Zeilen der Liebsten aus Cambodunum (heute Kempten) gierig verschlungen. Geschrieben selbstverständlich mit zarter Hand, mit Federkiel und roter Tinte. Gute alte Zeit, damals – die treuesten unter den Lesern werden sich erinnern – so Mitte des 18. Jahrhunderts.
Doch ganz im Ernst, werte Freunde der gepflegten Korrespondenz: Diese Epoche wünschen wir uns nicht tatsächlich zurück. Die Auswirkungen könnten nämlich verheerend sein. Nicht nur, dass ich in den vergangenen 20 Jahren die gewiss lieb gemeinten Geburtstagsgrüße meiner Mutter nicht entziffern konnte. Nein, auch meine Handschrift ist so – sagen wir mal – speziell, dass die Gemahlin mein einstiges Flehen bestenfalls ignoriert hätte. Nicht auszudenken. Außerdem: Wie hätte es ausgesehen, wenn ich ihren Namen verwechselt, durchgestrichen und überschrieben hätte? Ein unschönes Gekleckse. Es steht zu befürchten, dass unter diesen Umständen noch weniger Briefe verfasst würden. Dabei zählt doch der Inhalt, nicht die Form. Höchste Zeit, mit der Zeit zu gehen. Die Postkutschenpferde sind ja auch schon im Ruhestand.
Einzigartige Erinnerungen bewahren.
Von Birgit Kölgen Der Inhalt zählt, nicht die schnörkelige Form.
Von Dirk Uhlenbruch
d.uhlenbruch@schwaebische.de