Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Was macht eine schöne Kuh aus?
Die Viehzuchtgenossenschaft Stiefenhofen feiert ihr 100-jähriges Bestehen mit einem speziellen Wettbewerb
STIEFENHOFEN - 95 Kühe und 19 Kälber von 20 Landwirten stehen im Mittelpunkt des Interesses, wenn am morgigen Sonntag die Viehzuchtgenossenschaft Stiefenhofen mit einer Viehschau ihr 100-Jahr-Jubiläum feiert. Genossenschaftsvorsitzender Christian Sutter hat sich mit Ingrid Grohe über verschiedene Ziele der Zucht, die Grenzen des Embryonentransfers und über die Schönheit von Kühen unterhalten.
Welche Idee verfolgten die 30 Stiefenhofener Bauern, als sie vor 100 Jahren die Viehzuchtgenossenschaft gründeten?
Sie haben schon damals erkannt, dass die Verbesserung von Milchleistung und Fleischleistung mit einem einheitlichen Zuchtmodell besser gelingt, als wenn das jeder allein macht. Das war ja in der Zeit, als die Milchwirtschaft im Allgäu immer wichtiger geworden ist. Die meisten Viehzuchtgenossenschaften sind entstanden, weil man einen Fortschritt erbringen wollte.
Haben sie ihr Ziel erreicht?
Ja, bald ist die Milchleistungsprüfung aufgekommen, und immer mehr Bauern haben mitgemacht. Wenn man die Ergebnisse verfolgt, sieht man ei- ne stetige Verbesserung.
Gab es auch Rückschläge?
Ja, in Form von Krankheiten wie TBC, Maul- und Klauenseuche oder Rinderwahnsinn – in Stiefenhofen wurde damals von einem Bauern der ganze Bestand gemerzt. Es sind immer Rückschläge, wenn wertvolle Tiere aus Krankheitsgründen verloren gehen.
Gibt es in Stiefenhofen noch Allgäuer Braunvieh?
Das Original Allgäuer Braunvieh ist bei uns nur noch vereinzelt vorhanden. Schon ein, zwei Jahre nach Gründung der Viehzuchtgenossenschaft hat man Tiere aus der Schweiz importiert. Die waren von der Milchleistung den Allgäuern voraus, darum hat man sie zunehmend eingekreuzt. Anfang der 1970er-Jahre hat man Brown Swiss aus Amerika eingekreuzt, jetzt haben wir reinrassig Brown Swiss.
In welcher Phase hatte die Viehzuchtgenossenschaft den größten Mitgliederzuwachs?
Der Allgäuer braucht ein bisschen, bis er sich mit etwas anfreundet. Aufgrund der Überzeugungsarbeit haben aber immer mehr die Vorteile erkannt und auch die Milchleistungsprüfung gemacht. Um 1980 hatten wir am meisten Mitglieder. Als die Gemeinden Harbatshofen und Stiefenhofen 1981 zusammengegangen sind, hatten wir 91 Betriebe mit Milchleistungsprüfung, davon waren 60 Mitglied. Bald darauf hat das Landwirtesterben begonnen. Heute sind wir 35 Betriebe mit durchschnittlich 33 Kühen.
Wie haben sich die Zuchtmethoden über die Jahrzehnte verändert?
Am Anfang hat jeder Ort oder mehrere Bauern miteinander einen Stier gehabt, den hat man eine Weile gehalten, bis er zu alt war, und dann ausgetauscht gegen einen neuen. Etwa ab 1950 hat die künstliche Besamung Einzug gehalten – unter anderem infolge von Seuchen. Wenn ein Stier einen ganzen Ort versorgt, ist der auch Krankheitsüberträger. Durch künstliche Besamung kann man Zuchtmaterial von weiter her holen.
Praktizieren Mitglieder Ihrer Genossenschaft Embryonentransfer?
Vereinzelt war das schon der Fall.
Ist das wirtschaftlich?
Sutter: Ich denke, wenn ich passende Kühe habe und dann das hinbekomme, was ich erhoffe, kann das wirtschaftlich sein.
Warum setzt sich diese Methode in der Breite nicht durch?
Weil die Kosten so hoch sind, dass es schwer ist, sie beim Verkauf der Nachzucht wieder reinzuholen. Erst investiere ich, dann weiß ich nicht, wie viele Embryonen ich kriege, dann muss ich sie einpflanzen und weiß trotzdem nicht, wie viele Kälber am Schluss bleiben.
Wer Milchkühe züchtet, hat den Milchertrag im Auge. Ist das zeitgemäß angesichts von Extensivierungsprogrammen?
Gerade von dem her ist die künstliche Besamung sinnvoll. Da habe ich es in der Hand, die Leistung zu bestimmen. Wenn ich ein extensiver Betrieb bin, wähle ich Zuchtmaterial mit weniger Milchleistung. Sie ist ja nicht das einzige Zuchtziel. Langlebigkeit und Gesundheit spielen oft die größere Rolle als die Überlegung, ob die Kuh 8000 oder 10 000 Liter Milch im Jahr gibt. Es gibt sogar schon Untersuchungen des Zuchtmaterials auf Futterverwertung und Tierarztkosten.
Auf welche Eigenschaften legen Sie bei der Zucht in Ihrem Betrieb Wert?
Bei der Milchleistung liegt unser Niveau hoch – im Durchschnitt geben unsere Kühe 9000 Liter Milch, mehr will ich nicht. Mir ist das sogenannte Exterieur wichtiger: wie die Kuh ausschaut, die Gesundheit, die Langlebigkeit.
Bäuerliche Familienbetriebe betreiben Viehzucht meist über Generationen. Verstärkt das die Bindung an die Tiere?
Ja. Man kriegt das als Kind schon mit. Wenn eine Kuh kalbt, und es ist ein Kuhkalb, freut sich die ganze Familie mit. Und dann gibt es die größten Diskussionen, wie es heißen soll – bei Zuchttieren einer Linie beginnt der Name immer mit dem gleichen Buchstaben. Bei uns kennt man die Kuh und weiß, welches die Mutter ist.
Fürs Jubiläumsfest haben Sie die Wahl der „allerschönsten Kuh aus allen Kategorien“angekündigt. Was genau macht eine schöne Kuh aus?
Sie muss mittelrahmig sein, also nicht zu klein und nicht zu groß. Eine tiefe Kuh mit großem Bauch und ausgeprägtem Brustkorb ist ein Zeichen, dass sie viel fressen kann. Wichtig ist ein stabiles, hoch angesetztes Euter – immer altersgemäß natürlich. Früher brauchte manche Kuh schon nach dem vierten Kalb ein Netz ums Euter, damit es nicht bis zum Boden hängt. Das gibt es heute nicht mehr. Die Zitzen dürfen nicht zu lang sein, wegen der Verletzungsgefahr beim Aufstehen, und nicht zu kurz, damit man gut melken kann. Einen stabilen guten Fuß braucht die Kuh, gerade im Laufstall, wo sie viel gehen muss. Das Ganze nennt man gesundes Fundament. Wenn sie das alles mitbringt, ist sie schon eine gute Kuh.
Hörner spielen bei der Schönheit keine Rolle mehr?
Nein. Auf der Schau wird keine mit Horn sein.
Worauf am Festtag freuen Sie persönlich sich am meisten?
Am meisten freue ich mich, wenn ich selbst mit einer Kuh in den Ring laufen kann.