Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Mehrheit mit Regierung zufrieden
Wen die Bürger derzeit wählen würden und was das für die Parteien bedeutet
STUTTGART (tja) - Kurz vor Halbzeit der grün-schwarzen Landesregierung sind rund 60 Prozent der Baden-Württemberger ebenso zufrieden mit dem Bündnis wie mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Instituts Infratest dimap hervor. Wäre am Sonntag Landtagswahl, kämen die Grünen auf 29 Prozent (2016: 30,3), die CDU auf 28 Prozent (2016: 27). Die SPD stürzt auf ein Rekordtief von elf Prozent (2016: 12,7). Die AfD steht bei 15 (2016: 15,1), die FDP bei sieben Prozent (2016: 8,3). Die Linke wäre anders als heute mit sieben Prozent im Landtag.
STUTTGART - Es war ein denkwürdiger Wahlabend im März 2016: Wer gedacht hatte, die Wachablösung der CDU sei 2011 ein einmaliger Betriebsunfall gewesen, der wurde eines Besseren belehrt. Die Grünen zogen erstmals an der CDU vorbei, die Union landete mit nur 27 Prozent der Stimmen dahinter. Die SPD fiel auf ein Allzeittief, die AfD zog erstmals in den Landtag ein. Was hat sich daraus entwickelt? Eine neue Umfrage im Auftrag von SWR und „Stuttgarter Zeitung“gibt Hinweise. Die Lage der Parteien zur Halbzeit der Legislaturperiode im Überblick.
Grüne
Mit Winfried Kretschmann stellen sie weiter den beliebtesten Ministerpräsidenten Deutschlands, 63 Prozent der von Infratest dimap Befragten wollen ihn als Landesvater. Seine Popularität bringt den Grünen 29 Prozent der Stimmen, nur ein Prozent weniger als bei den Landtagswahlen. Deswegen beknien ihn Minister und Abgeordnete: „Mach es noch mal!“Bei den nächsten Wahlen wäre der Landesvater aus Laiz 72, er selbst hat sich nach eigenen Aussagen noch nicht entschieden. Zwar wächst intern der Unmut darüber, dass sein Staatsministerium die Linien vorgibt. Doch der Erfolg der Grünen hängt an Kretschmann, deswegen dürfte die Kritik nicht lauter werden. Die Minister Franz Untersteller (Umwelt) und Winfried Hermann (Verkehr) streicheln die grüne Seele mit klaren Positionen etwa zum Umgang mit dem Wolf oder dem Dieselskandal. Edith Sitzmann (Finanzen) managt die sprudelnden Steuergelder zuverlässig. Sorgenkind ist Theresia Bauer (Wissenschaft), die sich vor einem Untersuchungsausschuss veranworten muss.
CDU
Die einst unangefochten stärkste Kraft im Land überzeugt 28 Prozent der Wähler. Das ist zwar ein Plus von einem Prozent im Vergleich zu 2016. Doch in der einstigen CDU-Hochburg Baden-Württemberg bleibt das ein mageres Ergebnis. Dabei lief es zunächst gut: Auch dank der angespannten Sicherheitslage punkteten Innenminister Thomas Strobl und Jusitzminister Guido Wolf. Sie bekamen viel Geld für neues Personal. Bildungsministerin Susanne Eisenmann tritt energisch auf und setzte viele CDU-Wünsche um, etwa die Stärkung der Realschulen. Doch Strobl schafft es nicht, die Gräben zur Fraktion zu schließen. Außerdem leistet er sich mindestens unglückliche Aktionen. So etwa in der Debatte um verdeckte Ermittler in Sigmaringen, als er deren Einsatz vorab verkündete. Selten brachte ein CDU-Minister die unionsnahe Polizeigewerkschaft so gegen sich auf. Längst wird Eisenmann statt seiner für die Spitzenkandidatur gehandelt.
AfD
Die Neulinge erschöpften sich lange in internen Streitigkeiten. Unter dem Ex-Fraktionschef Jörg Meuthen spaltete sich die Landtagsfraktion im Streit um antisemitsche Schriften des Abgeordneten Wolfgang Gedeon. Nach der Wiedervereinigung der Lager ließ Meuthen deutlich die Zügel schleifen. Distanzierte er sich zuvor noch von Rechstaußen wie der Abgeordneten Christina Baum, war davon später nichts mehr zu hören. Seit Meuthens Abschied in Richtung EU-Parlament ist Bernd Gögel Chef – und ruft auch weiter niemanden ernsthaft zur Räson, der etwa wie der Abgeordnete Stefan Räpple andere Politiker wüst beschimpft oder mit NS-Vokabular wie „Volksverräter“operiert. Neben Gedeon verließen zwei weitere Abgeordnete die Fraktion. In diesem Zustand dürfte Gögels Plan scheitern, die AfD koalitionsfähig mit anderen Parteien zu machen. In der Wählergunst bleiben sie mit 15 Prozent auf dem Niveau vom März 2016. Sprich: Eine Strategie, den oft populistischen Auftritten der AfD zu begegnen, haben die anderen Parteien nicht gefunden.
SPD
Die Sozialdemokraten erholen sich einfach nicht von dem Debakel im Jahr 2016. Mit elf Prozent schneiden sie schlechter ab als damals (12,7 Prozent). Es rächt sich, dass die Landesvorsitzende Leni Breymaier in Berlin ist und in der Stuttgarter Landtagsfraktion wenige Unterstützer hat. Steht die SPD eher links wie Breymaier oder eher in der Mitte wie Fraktionschef Andreas Stoch? Die Frage ist offen. Die SPD bräuchte Geschlossenheit und Mut zu neuen Gesichtern. Von dieser Schwäche profitieren andere, unter anderem die Linkspartei, die aktuell mit sieben Prozent der Stimmen sogar in den Landtag einziehen würde. Immerhin beschränkt sich der Ex-Regierungspartner der Grünen nicht mehr beleidigt darauf, auf Verdienste aus der eigenen Regierungszeit zu verweisen. Stattdessen attackiert man jetzt sowohl Grüne als auch CDU, dort vor allem Innenminister Strobl. Der Grund ist klar: Fällt der, wankt GrünSchwarz, denn Strobl gilt als Brückenbauer zwischen CDU und Grünen.
FDP
Die Liberalen schwächeln leicht und kommen aktuell auf sieben Prozent (2016: 8,3 Prozent). Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hat die nächsten Wahlen fest im Blick. Seine Analyse ist klar: Gegen Kretschmann hätte 2021 niemand eine Chance. Deswegen hat er sich festgelegt: Die FDP würde sowohl mit Grünen und SPD als auch mit CDU und SPD koalieren. Diese Option brachte er bereits ins Spiel, sollte die CDU Kretschmann vor 2021 stürzen wollen. Rülke dominiert seine Fraktion intern ebenso wie er das Bild der FDP in der Öffentlichkeit prägt. Er platziert die FDP in Fragen der Asylpolitik eher rechts, um enttäuschte CDU-Wähler zu gewinnen, statt sie an die AfD zu verlieren. Gleichzeitig distanziert er sich rhetorisch brillant und sehr deutlich von deren Stil und Inhalten. Rülkes scharfe Attacken auf die Regierung, bei denen er sogar von „Staatsversagen“spricht, bringen ihm aber auch Kritik ein.