Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Im Höhenflug
Der weltweite Marktführer für Hochseilgärten sitzt im bayerischen Lenggries – 41 Anlagen in 20 Länder geliefert
LENGGRIES - Jüngst erst ist er von einer Reise aus Vietnam und den Philippinen zurückgekehrt. Die nächsten Stationen sind Shanghai und Orlando in den USA. Heinz Tretter kam in den vergangenen acht Jahren viel herum: von Kuba über Nigeria und Russland bis Japan. Dabei entspricht der 44-Jährige so gar nicht dem gängigen Bild eines um die Welt jettenden Unternehmers, so bayerisch-bodenständig, wie er auftritt: Er spricht starken Dialekt und liebt es, sich abends mit dem Ertl Anderl und Probst Hansi zum Schafkopfen zu treffen – beides frühere Profi-Skifahrer, ebenfalls aus der Gegend.
Und tatsächlich hätte Tretter noch vor acht Jahren nicht im Traum daran gedacht, dass er Weltmarktführer für Hochseilgärten werden würde. Damals gründete er seine Firma Kristallturm im oberbayerischen Lenggries. Heute verkauft er seine selbst konstruierten Anlagen in die ganze Welt. In dem Nischensegment ist keine Firma so erfolgreich wie seine: Inzwischen stehen 41 Hochseilgärten in 20 Ländern. Auf den Exportpreis des Bayerischen Wirtschaftsministeriums folgte in diesem Jahr der erste Platz beim Preis der Deutschen Außenwirtschaft, der erstmals an ein bayerisches Handwerksunternehmen vergeben worden ist.
Angefangen hat alles damit, dass der Zimmerer und Skischulleiter eine kleine, dürftige Kletteranlage am Sylvensteinspeicher reparierte. „Firmen haben sie für 70 Euro die Stunde gebucht und hatten ihren Spaß dabei“, erzählt Tretter. Die Anlage musst du größer und schöner bauen, habe er sich gedacht. Dann hat sie einen höheren Durchlauf, und auch Familien können sich einen Besuch leisten. Also machte er sich an den Entwurf. „Bei den ersten Plänen wusste keiner, was das wird – ich auch nicht“, sagt er. Schließlich wurde es ein Hochseilgarten in Form eines Sechsecks mit drei Ebenen. Den baute er mit einem Helfer oberhalb seiner Skischule an der Bergbahn Brauneck. „Anfangs war er umstritten. Manche sahen ihn als Kunstwerk, andere als Sperrmüllgarten.“Sperrmüll, weil Tretter alte Skisessel und Autoreifen verbaute, über die Menschen, mit einem Gurt gesichert, in luftigen Höhen balancieren. Damals, im Jahr 2007, waren Baumwipfel- und Hochseilgärten noch nicht verbreitet. Die Anlage wurde mit 11 000 Gästen in der Sommersaison zum Renner.
Eigentlich wollte sich Tretter damit nur sein Sommergeschäft sichern. Doch dann kamen drei Berliner vorbei, die einen Klettergarten
„Bei den ersten Plänen wusste keiner, was das wird – ich auch nicht.“
für ihre Beachvolleyballanlage suchten. Weil das Gerüst keine Abspannseile braucht, sondern über Betonfundamente im Boden gesichert ist, war es ideal. „Ich wollte erst nicht“, sagt Tretter. So viel Aufwand für einen Auftrag. Am Ende ließ er sich breitschlagen und entwickelte ein Baukastensystem: Aus den massiven Holzmasten wurden Stahlröhren, die Bauteile vereinheitlicht und stapelbar, sodass sie in Einheitscontainer passen. Ohne es zu ahnen, schuf Tretter damit die Grundvoraussetzung für die spätere Verschiffung
Heinz Tretter, Geschäftsführer der Firma Kristallturm
in alle Welt.
Um Vermarktung kümmerte er sich anfangs nicht, das Geschäft rollte trotzdem an: „lauter Zufallsaufträge.“Auf dem Oktoberfest lernte er einen Baden-Württemberger kennen, bald darauf war ein Auftrag für Wiesloch eingetütet. Ein andermal testeten Mitarbeiter der Schweizer Bergbahn in der Nachbarschaft Bullcarts – überdimensionierte Dreiräder, auf denen Erwachsene Schotterpisten herunterheizen können. Am Ende bestellten sie einen Hochseilgarten als Attraktion für ihre Bahn. Von dieser Anlage waren die Kinder eines russischen Oligarchen im Urlaub so begeistert, dass der Milliardär nach kurzer Marktanalyse beschloss, einen Hochseilgarten in Moskau zu eröffnen.
Keine Zeit mehr für die Skischule
Längst hat Tretter seine Skischule an den früheren Partner abgegeben. Neben Hochseilgärten baut er Kletteranlagen und Abenteuerparcours für Kitas und Spielplätze. Rund 4,5 Millionen Euro Umsatz macht Kristallturm jährlich. Die Mitarbeiterzahl ist auf 35 angestiegen. Dabei geht es im Betrieb im Gewerbegebiet von Lenggries noch immer sehr familiär zu. Tretters Mutter bereitet mittags Essen für die Belegschaft zu. Alle sind per du, wie es auf dem bayerischen Land üblich ist.
Mehrfach im Jahr besucht Tretter Messen in aller Welt oder reist mit der Außenhandelskammer in vielversprechende Märkte wie eben zuletzt Vietnam und die Philippinen. „Das sind junge, wachsende Völker mit steigenden Einkommen. Auch China hat ein Riesenpotenzial.“Dorthin hat er bereits erste Hochseilgärten geliefert, der nächste geht nach Ningbo im äußersten Osten. Dabei hilft, dass ein Kollege im Team fließend Mandarin spricht.
Im globalen Geschäft gibt es allerdings nicht nur sprachliche Hürden zu bewältigen. Tretter musste schon erfahren, dass westliche Direktheit und japanische Höflichkeit nicht zusammenpassen. Mitsubishi Heavy Industries lieferte er einen Hochseilgarten für einen Aida-Luxusliner. Irgendwann merkte Tretter, dass es ein Problem gab. Er konnte aber nicht herausfinden, welches. „Wir sehen, dass Ihr glaubt, dass wir einen Fehler gemacht haben. Bitte sagt uns, welchen“, bat er. „Das haben sie aber nicht gemacht.“Schließlich reiste eigens eine dreiköpfige
„Manche sahen ihn als Kunstwerk an, andere als Sperrmüllgarten.“
Delegation aus Japan an. Gemeinsam gingen sie die Konstruktion durch. An einem gebogenen Träger zeigte der japanische Ingenieur, dass er den Winkel vorne misst. „Wir hatten aber in der Mitte gemessen. Wegen 0,6 Grad Differenz beim Winkel hatten wir drei Wochen vertan.“
Manchmal liefert Tretter auch in Länder mit riskanter Sicherheitslage – wie Nigeria. Dort hatte ein örtlicher Politiker eine Anlage gekauft: ein Dankeschön für seine Anhänger, die ihn gewählt hatten. Als der Oberbayer zur TÜV-Abnahme hinreiste, wurden er und seine Mitarbeiter in gepanzerten Jeeps vom Flieger abgeholt und von Pick-ups mit bewaffneten Polizisten eskortiert. „Das war schon ein komisches Gefühl“, erinnert er sich.
Untergebracht waren sie in einer Armeebasis, auch die Fahrt zur Baustelle erfolgte im gepanzerten Konvoi. Doch ein Land nur eingesperrt
Heinz Tretter über seinen allerersten Hochseilgarten
zu erleben, macht Tretter keinen Spaß. Abends mischte er sich auch mal unter das Volk. Der Sicherheitsbeauftragte sei zwar erst sauer gewesen, habe ihm dann aber eine Begleitung organisiert.
Was Armut bedeutet, erlebte er auf Cayo Coco, einer zu Kuba gehörenden Insel. Es gab keinen vernünftigen Kran. Die Baubrigade, die ihm zur Unterstützung geschickt wurde, war handwerklich nicht ausgebildet. „Die hatten vor allem Hunger.“Ihr Monatslohn: etwa 15 Dollar. Seine Leute brachten Essensrationen für sie mit auf die Baustelle. Am Ende wurde es hektisch, da der Hochseilgarten Attraktion bei einer Tourismusmesse war und sich der Minister angekündigt hatte. Zum Glück fand die Eröffnung abends statt. „Die angeleuchtete Seite war fertig.“
Solche Erlebnisse prägen. Just an dieser Anlage und der Insel mit ihren Einwohnern hängt Tretters Herz am meisten. Er fährt immer wieder zum Urlaub nach Cayo Coco. „Ich hab mich ein bisschen verliebt in die Insel. Die Leute sind so entspannt. Sie machen das Beste aus dem, was sie haben.“