Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der Lindauer Bote
Eine verlässliche Verbindung vom Bodensee nach Mailand für drei Jahrhunderte
Von circa 1520 bis 1826 bestand ein regulärer und institutionalisierter Botenlauf zwischen Lindau und Mailand. Die häufigste und bereits in den ältesten Mailänder Akten zu findende Bezeichnung lautet „Corriere di Lindò“. Bis Ende des 18. Jahrhunderts lief dieser Botenbetrieb offiziell unter Mailänder Regie, organisiert wurde er jedoch hauptsächlich von Händlern aus Lindau. Der wöchentliche Botenlauf hatte eine hohe Bedeutung für den Transithandel zwischen Genua und Frankfurt und damit auch für die Bedeutung Lindaus als wichtigstem Handelsknoten am Bodensee in der Frühen Neuzeit.
Ursprünge
Im 15. Jahrhundert verdichtete sich der Handelsverkehr zwischen Lindau und Mailand hinreichend, um einen regelmäßigen Botenbetrieb lohnenswert zu machen. Ein Privileg Kaiser Karls V. stellte ihn auf eine festere rechtliche Grundlage. Seit der Reformation in Lindau soll der Botenlauf von Angehörigen der Fussacher Familien
Schneider und Weiss geleistet worden sein, vorgeblich weil die
Mailänder keine protestantischen Boten duldeten. Die Nachfahren der Boten aus den Familien Schneider und Weiss sind heute die Inhaber des Unternehmens
Gebrüder Weiss, einer in Vorarlberg ansässigen Logistikfirma.
Der Lindauer Bote basierte bis 1730 auf einer intensiven Kooperation von Lindauer Kaufleuten und der Handelskammer Mailand. Die Organisation lag bei den Händlern der Reichsstadt, während die Handelskammer Mailand den Schutz des privilegierten Botenbetriebes nach außen gewährte.
Eine Woche unterwegs
An jedem Montagabend segelte einer der Boten von Lindau aus per Schiff nach Fussach, wo er am Dienstagmorgen aufbrach. Er übernachtete in Balzers und erreichte am Mittwochabend Thusis. Am Donnerstag beendete der Bote die Tagesetappe in Campodolcino. Am Freitagabend kam er in Domaso am Nordufer des Comer Sees an. Am Samstag fuhr er per Barca nach Como. Am Sonntag ging es nach Mailand, wo er um die Mittagszeit eintraf. Die Dauer wurde durch Aufenthalte an weiteren Zwischenstationen zur Abgabe und Aufnahme von Waren und Post verlängert. Diese waren: Feldkirch (Dienstag) – Chur (Mittwoch) – Chiavenna (Freitag) und Cadenabbia (Samstag). In Mailand brachte der Bote die Lieferungen in die Gaststätte „Tre Re“. Am Mittwochmorgen, nach getätigten Abrechnungen und der Aufnahme neuer Sendungen, reiste der Bote von Mailand ab und kehrte am Dienstagmittag nach Lindau zurück, um zwei Wochen in der Heimat zu pausieren. Der auf vier Wochen angelegte Rhythmus bedingte die dauerhafte Beschäftigung von vier Boten.
Konflikte um den Boten
Der Botenlauf brachte nicht nur die Beförderung von Briefen und leichten Waren zwischen Lindau und Mailand, auch der Seidenhandel von Mailand war eng an diesen gekoppelt. 1730 entmachtete das Postamt Mailands die Handelskammer und strebte eine staatliche Organisation des Postkurses an. Angesichts von Protesten deutscher und italienischer Händler wurde die private Struktur innerhalb einer offiziellen Einordnung in das Mailänder Postamt beibehalten. Dessen Schutz bewährte sich, als die österreichische Regierung im April 1771 den Botenlauf durch Vorarlberg untersagte. Die Fussacher Boten sollten gezwungen werden, ihre Post in Bregenz aufzunehmen und abzuliefern. Darauf umgingen die Boten Vorarlberg über Schweizer Territorium. Da die Mailänder Spitzenbeamten zudem intensiv für den alten Botenkurs in Wien intervenierten, gelang ein Erfolg im Sinne Lindaus: Der Botenlauf erfolgte ab 1774 wieder in der alten Form.
Neue Straßen- und Postverbindungen in der Ostschweiz führten zur Einstellung des Botenbetriebs im Jahr 1826. Der internationale BodenseeGeschichtsverein feiert in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass erscheint Ende Oktober ein Jubiläumsband, dem der vorstehende Beitrag entnommen ist: Harald Derschka/Jürgen Klöckler (Hg.): Der Bodensee. Natur und Geschichte aus 150 Perspektiven. Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag 2018, 25 Euro.