Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Resignation? Selbstmitleid? Mitnichten!
Wie die gelähmte Olympiasiegerin Kristina Vogel ihr Leben wieder in Angriff nimmt
BERLIN (dpa/SID) - Kristina Vogel hat sich chic gemacht, weiße Bluse, dunkle Hose, rote Pumps. Nur für einen kurzen Moment verliert sie die Fassung. Ruhig, offen und geduldig hat die Bahnrad-Olympiasiegerin beim ersten öffentlichen Auftritt nach ihrem folgenschweren Unfall vom 26. Juni über ihre Querschnittslähmung und das unfreiwillig neue Leben im Rollstuhl gesprochen. Doch bei der Antwort auf die Frage nach der Bedeutung ihres Lebensgefährten Michael Seidenbecher übermannen sie die Gefühle.
„Ich habe in ihm einen unheimlichen Halt. Er ist immer für mich da“, sagt Vogel und wischt eine Träne aus dem rechten Auge. Die 27-Jährige, die die vielen Tiefen in den „härtesten Wochen meines Lebens“nach ihrem schweren Trainingsunfall mit beispielhafter Stärke durchschritt, wirkt plötzlich verletzlich. Sie sei keine Maschine, sagt Vogel in einem Hörsaal des Unfallkrankenhauses Berlin. Es habe in den vergangenen Wochen Momente gegeben, „wo ich lernen musste, Tränen zuzulassen. Ich habe nie viel geweint. Es ist ein krasser Einschnitt ins Leben, eine Wendung um 180 Grad.“
Zum ersten Mal präsentiert sich die Doppel- Olympiasiegerin der Öffentlichkeit im Rollstuhl. „Ich bin so weit zu sagen: Ich will mich wieder stellen. Der Tag ist nach wie vor hart. Aber ich bin bereit, die Situation anzunehmen und was daraus zu machen“, sagt die vom siebten Brustwirbel abwärts gelähmte Vogel.
Die neben ihr sitzenden Ärzte sind beeindruckt von ihrer Zielstrebigkeit, ihrem Durchhaltewillen und ihrem Optimismus, manchmal nur ein bisschen genervt von ihrer Ungeduld. Betroffenheit über das schwere Schicksal der elfmaligen Weltmeisterin spürte man vor allem bei den 80 Journalisten im Saal.
Dieser Tage durfte Vogel, die am 26. Juni beim Training auf der Betonbahn in Cottbus bei voller Geschwindigkeit mit einem niederländischen Fahrer kollidiert war, zum ersten Mal ins Bewegungsbad. Dann übte sie Rollstuhlfahren – und stürzte prompt: Sie sei „kontrolliert auf den Po“gefallen. „Wenn ich mich jetzt nicht hätte bewegen können, hätte ich randaliert“, sagt sie lächelnd und blickt zu ihren Ärzten.
Deren Diagnose macht nicht viel Hoffnung. „Ihr Rückenmark ist hochgradig verletzt“, sagte der behandelnde Chefarzt Andreas Niedeggen. „Ich werde nie wieder selbstständig
gehen können“, erklärt Vogel, „das ist Fakt“. Resignation? Bedauern? Selbstmitleid? Mitnichten. „Was soll ich bedauern? Die Situation ist, wie sie ist. Ich bin auf zwei Rädern genauso wie auf vier Rädern. Ich muss mich nicht verstecken. Ich möchte unabhängig sein“, sagt Vogel, die auch schon wieder Sprüche klopfen kann. „Ich habe keine Schmerzen, eher Muskelkater“, sagt sie, die ihre schlimme Diagnose zuerst im „Spiegel“bekanntgegeben hat, etwa.
Nun fiebert Vogel der nächsten Woche entgegen. „Ich freue mich unheimlich auf die Rückkehr nach Hause nach Erfurt. Eigenes Bett, selber kochen, mit der Familie allein sein“. Mindestens bis Weihnachten wird sie ihre Reha in Berlin fortsetzen. Ihr neues Leben wird zwangsläufig kostspielig. Eine Sport-Versicherung zahlt 150 000 Euro. Bei einer Spendenaktion ihres Chemnitzer ErdgasTeams sind rund 120 000 Euro zusammengekommen – für den Hausumbau, die Anschaffung eines Spezialautos und weitere künftige Mehrausgaben.
Wie es mit der Sportlerin Kristina Vogel weitergeht, ist noch offen. „Ich brauche Zeit, um neue Entscheidungen zu treffen, alles step by step“, sagte sie. Athletensprecherin des Weltverbandes UCI wolle sie „auf alle Fälle“bleiben. Zu einer möglichen zweiten Karriere als ParalympicsSportlerin wollte sie sich nicht konkret äußern, sagte aber auch: „Vielleicht hole ich meine zwölfte Goldmedaille woanders.“
„Vielleicht hole ich meine zwölfte Goldmedaille woanders.“Kristina Vogel