Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Archive des Lebens
Ausstellung in Mannheim zeigt spektakuläre Mumien aus aller Welt
MANNHEIM (dpa/sz) - Sie sind geheimnisvoll und erzählen dennoch Geschichten. Forscher entlocken Mumien dank modernster Technologie immer mehr Erkenntnisse über Bräuche und Lebensweisen von Menschen, die vor Hunderten und Tausenden von Jahren lebten. Doch ist eine solche Schau, wie sie jetzt in Mannheim zu sehen ist, mit der Würde der Toten vereinbar?
Was hält die Frau in ihren Händen? Sie kann nicht mehr befragt werden. Denn sie ist 500 Jahre alt und liegt als Mumie in einer Glasvitrine im Mannheimer Museum Zeughaus. Dort wird das Rätsel gelöst – Computertomographie macht es möglich. Auf dem Weg ins Jenseits hat die Frau, die im heutigen Peru lebte, zwei Milchzähne mitbekommen. „Dies ist für mich das anrührendste Stück“, sagt Museumsdirektor Wilfried Rosendahl. „Das Aufbewahren von Kinderzähnen kommt uns sehr bekannt vor. Das Tun dieser Frau aus einer ganz anderen Zeit verbindet sich mit dem Tun vieler Menschen von heute.“
Neue Technik lüftet Geheimnisse
Die Ausstellung „Mumien – Geheimnisse des Lebens“rückt die Erforschung der Mumien in den Fokus. Dabei ist die Computertomographie die beste Methode, den eingewickelten Körpern ihre Geschichte zu entlocken, ohne sie dabei zu zerstören. Ganz anders war das Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals stillte man seine Neugier, indem man ägyptische Mumien bis auf die Gebeine entblößte. Mumien reizten immer dazu, in ihr Inneres vorzudringen: Schon ein Jahr nach Entdeckung der Röntgenstrahlen im Jahr 1895 wurde die erste Mumie durchleuchtet. Auch sie ist in Mannheim zu sehen.
Heutige Methoden werden dem Besucher mit inszenierten Laborbereichen und einer Virtual-RealityStation näher gebracht. Nach Ansicht des Geologen und Paläontologen Rosendahl ist bei der Mumienforschung das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht. „Mit der Molekulargenetik und -pathologie werden wir mit kleinsten Proben noch mehr Erkenntnisse erhalten, etwa zu Krankheiten, Aussehen und regionaler Zugehörigkeit“, erläutert Rosendahl.
Aber schon heute fördern die Wissenschaftler Erstaunliches zutage: Ein mit einer Krieger-Tunika der Inka bekleidetes Exponat entpuppt sich nicht als Krieger, sondern als ein sieben- bis neunjähriger hockender Junge, der mit angezogenen Beinen mumifiziert wurde. Der Brustkorb des Kindes wurde geöffnet, Teile des Herzens entnommen und die Leber zerstückelt. Rosendahl: „Wir wissen, dass es bei den Inka Kinderopfer gab.“Es sei nicht auszuschließen, dass den Jungen vor 400 bis 500 Jahren ein solches Schicksal ereilte. Eine 3-D-Animation erlaubt Einsichten in das schaurige Bündel.
Zurschaustellung in der Kritik
Die Ausstellung zeigt die MumienBestattung als weltweites Phänomen. So bemühte sich die Kirche im Mittelalter um die Konservierung von Päpsten, Kaisern und Königen. Die Maori in Neuseeland präparierten die Leichen von hochgestellten Persönlichkeiten. Und bei einem Volk im Hochland von Papua-Neuguinea gibt es noch heute eine Mumifizierungstradition. Aus moderner Zeit ist etwa der einbalsamierte Körper des Gründers der Volksrepublik China, Mao Zedong, bekannt.
In den meisten Kulturen ist die Totenruhe bis heute ein hohes Gut. Wer sie stört, macht sich strafbar. Doch gilt das auch für uralte Mumien? Die Direktorin des Ägyptischen Museums München, Sylvia Schoske, sieht das so und verzichtet deshalb in ihrem Haus auf das Zeigen von Mumien. Besucher finden stattdessen eine Hinweistafel vor, die erklärt, dass die „Zurschaustellung des Leichnams eines alten Ägypters gleichbedeutend mit dessen Verdamnis“ist.
Sensationsfund steht am Anfang
In Mannheim respektiert man solche Entscheidungen. Rosendahl wehrt sich aber gegen den Vorwurf der „Mumienprostitution“. Er erfülle vielmehr seinen Bildungsauftrag als Museumsleiter, die großen Themen der Menschen aufzugreifen, und der Tod sei zweifellos eines der größten Themen überhaupt, sagt er im Magazin „Spiegel“. Und tatsächlich ist es berührend in Mannheim festzustellen, wie sich Rituale bis heute halten.
Den Anfangspunkt der Mumienforschung in Mannheim markiert übrigens ein sensationeller Fund. 2004 entdeckten Restauratoren bei Aufräumarbeiten in der hintersten Ecke eines Depots 20 Mumien und Mumienteile in unbeschrifteten Kartons, die nach kriegsbedingter Ausund wieder Wiedereinlagerung auf keiner Inventarliste mehr zu finden waren. 2007 wurde der unverhoffte Schatz der Öffentlichkeit erstmals gezeigt. Danach ging die Schau auf Wanderschaft. Jetzt kehren die Mumien in ihre badische Heimat zurück. Dauer: Vom 16. September 2018 bis 31. März 2019. Begleitend zur Ausstellung findet vom 11. bis 12. Oktober das Symposium „Unsterblichkeit – Traum oder Trauma?“statt. Weitere Infos unter: