Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Land will „Zahnarzt-Fabriken“stoppen
Große Investoren gründen Dentalzentren – Standesvertreter der Ärzte warnen Patienten
STUTTGART - Investoren gründen große Zahnarzt-Zentren, um Gewinn zu machen – alteingesessene, kleinere Praxen dagegen schließen. Diesen Trend will Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) stoppen. Die niedergelassenen Zahnärzte begrüßen den Schritt, zu dem sie den Minister gedrängt hatten. Sie warnen vor „Zahnarzt-Fabriken“. Es gehe dort nicht um die richtige Behandlung, sondern nur darum, ob diese Geld bringe.
Bis 2015 durften nur niedergelassene Mediziner eine Gemeinschaftspraxis gründen. Diese konnten andere Zahnärzte anstellen, doch nur in begrenztem Umfang. Das hat sich geändert. Seitdem gibt es die Möglichkeit, ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) zu eröffnen, das nur mit angestellten Ärzten arbeitet. Zudem kann ein Anbieter Praxis-Ketten betreiben. Die Regel ist ein Einfallstor für Investoren. Wenn sie ein Krankenhaus in Deutschland besitzen, dürfen sie MVZs gründen.
So ein Investor ist die SummitPartner-Gruppe. Sie hat ein Krankenhaus bei Hannover gekauft. In dessen Namen plant sie zahnärztliche Zentren, unter anderem in Ulm. Der Frankfurter Investor Quadriga Capital betreibt dort bereits eines. Solche Private-Equity-Gesellschaften arbeiten stets mit demselben Geschäftsmodell: Sie kaufen Unternehmen. Die werden gezielt aufgebaut, um sie dann gewinnbringend weiterzuverkaufen. In Italien praktiziert Quadriga das bereits.
Zahnmedizin als Geldanlage
„Mit Sorge sehen wir die Aktivitäten von Fremdinvestoren, die zahnmedizinische Versorgungszentren als lukrative Geldanlage entdeckt haben. Wir wollen keine Zahn-Fabriken, in der die Gewinnmaximierung der freien Therapieentscheidung des Zahnarztes vorgezogen wird“, so Ute Maier, Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZVBW).
Derzeit arbeiten in Baden-Württemberg fünf solcher fremdfinanzierten Zentren, weitere sind geplant. Insgesamt gibt es laut KZVBW 88 Versorgungszentren. Rund jedes zweite davon gehört zu einer Praxiskette. Patienten loben oft die moderne Praxisausstattung und die großzügigen Öffnungszeiten etwa am Wochenende. Die Betreiber betonen, ohne ihr Angebot gebe es gerade auf dem Land Versorgungslücken.
Zahnärtzechefin Maier warnt: „Niemand kann in der Zahnmedizin eine Entwicklung wollen wie zum Beispiel beim Bäckereihandwerk, wo große Ketten mit ihren Filialen lokalen Anbietern die Existenzgrundlage nehmen. Die gute Versorgung wird nicht mit Zahn-Fabriken sichergestellt werden können.“
Sie hatte im Sommer einen Brief an Minister Lucha geschrien und um Unterstützung gebeten. In der Antwort betont Lucha die Vorteile der Versorgungszentren. Tatsächlich wollen vor allem junge Medizinerinnen immer häufiger als Angestellte arbeiten. Sie scheuen die Last der eigene Praxis, die ungeregelten Arbeitszeiten und das hohe finanzielle Risiko durch Kredite in den Anfangsjahren. Aus Luchas Sicht helfen die MVZs sogar, die Versorgung zu sichern. Sie bieten Nachwuchskräften Perspektiven abseits der Praxen. Damit bleibt der Beruf für jene attraktiv, die nicht selbständig sein wollen.
Die SPD im Stuttgarter Landtag hakte wegen der Fremdinvestoren noch einmal bei Lucha nach. In der Antwort auf ihre Anfrage betont Minister Lucha nun: Auch er betrachte die Entwicklung mit Sorge. Investoren bezweckten eine „Optimierung der Rendite des eingesetzten Kapitals und einen Weiterverkauf der Einrichtung mit hohen Gewinnmargen. Dies könnte zulasten der Qualität und der Angebotsbreite gehen.“
Erster Anlauf gescheitert
Sprich: Ein Zahnarztzentrum könnte zum Beispiel vor allem Implantate anbieten – die bringen viel Geld. Weniger lukrative Behandlungen würden nicht angeboten. Die Sorge ist wohl berechtigt.
Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Deutschlands hat laut „Süddeutscher Zeitung“nachgerechnet, ob MVZ-Ketten höhere Behandlungskosten berechnen als Einzelpraxen. MVZs machten demnach 2017 zumindest in Teilen Deutschlands 2017 pro Patient 103 Euro geltend, andere Zahnärzte 87,50 Euro. Deswegen will sich Lucha nun auf Bundesebene dafür einsetzen, dass Investoren weniger Einfluss bekommen. Zum einen soll eine Gesellschaft nur in der Region Praxen gründen dürfen, wo sie ein Krankenhaus besitzt, nicht wie bislang deutschlandweit. Zum anderen müsste das Krankenhaus, in dessen Namen ein Zahnarzt-Zentrum gegründet wird, selbst eine zahnmedizinische Fachabteilung haben.
„Wir begrüßen sehr, dass Minister Manfred Lucha die Problematik bewusst ist und er sich für ein Eingreifen des Gesetzgebers ausspricht. Wir hoffen, dass Baden-Württemberg Gehör auf Bundesebene findet“, sagt Florian Wahl, Sprecher der KZVBW. Doch ein erster Anlauf ist gescheitert. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn berücksichtigt die Anregungen in einem neuen Gesetzesentwurf nicht. Lucha will dranbleiben, und erhält Unterstützung von der SPD. Deren Gesundheitsexperte Rainer Hinderer verspricht: „Ich werde mich über unsere Bundestagsfraktion dafür einsetzen.“