Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Verurteilter
Ein gelangweilter Richter verliest das Urteil: „Lebenslänglich ohne Möglichkeit der Begnadigung.“Der Schriftsteller Ahmet Altan und seine Mitangeklagten werden gefesselt und abgeführt. „Wir werden in der Zelle sterben“, wird Altan später schreiben. „Ich werde die Welt nie wiedersehen.“Der 68-jährige Autor und Journalist soll angeblich versteckte Mitteilungen an die Organisatoren des Putschversuches in der Türkei im Jahr 2016 geschickt haben – ein niemals belegter Vorwurf.
Der Fall Altan ist zu einem Symbol der Hexenjagd auf Regierungskritiker in der Türkei geworden: Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) appelliert an die Bundesregierung, den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan bei seinem Deutschland-Besuch zur Freilassung des Schriftstellers aufzufordern.
Altan verarbeitete die niederschmetternde Szene, die sich Mitte Februar in einem Gerichtssaal im Gefängniskomplex Silivri bei Istanbul abspielte, zunächst in einem Beitrag für die „New York Times“. Jetzt floss der Text in eine Sammlung von Gefängnisschriften Altans ein, die kurz vor dem Erdogan-Besuch in Deutschland erschienen ist.
Die türkische Justiz wirft Altan, der mit seinem Bruder Mehmet, der 74-jährigen Autorin Nazli Ilicak und weiteren Angeklagten vor Gericht stand, die Unterstützung des Putschversuches vom 15. Juli 2016 vor: Sie sollen in einer TV-Talkshow vor dem Putschabend „unterschwellige“Botschaften an die Erdogan-Gegner geschickt haben.
Bei einem Gerichtstermin in seinem Berufungsverfahren vor wenigen Tagen prangerte Altan erneut die inhaltsleere Beweisführung gegen ihn an – doch der prominente Kritiker der Erdogan-Regierung kann kaum auf eine Korrektur des Urteils hoffen.
Deshalb bereitet sich Ahmet Altan darauf vor, bis zum Ende seiner Tage hinter Gittern bleiben zu müssen. „Ich werde niemals wieder den Himmel ohne den Rahmen eines Gefängnishofes sehen“, schrieb er.
Susanne Güsten