Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Lächeln fast verboten
Frostiger Empfang für Erdogan – Angela Merkel spricht von tief greifenden Differenzen
BERLIN - Frostig hat Berlin den türkischen Präsidenten Erdogan willkommen geheißen. Der grundfreundliche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rang sich zur Begrüßung des Staatsgastes nicht das kleinste Lächeln ab. „So habe ich ihn noch nie erlebt“, sagt ein älterer Journalist. Kanzlerin Merkel lächelt zwar kurz, aber auch gerade oberhalb der reinen Höflichkeitsschwelle. Erdogan in Berlin – das ist kein normaler Staatsbesuch und das will die deutsche Regierung auch klarstellen.
Die Hauptstadt ist im Ausnahmezustand. Straßen sind gesperrt, selbst Fußgänger werden angehalten, die S-Bahn zwischen Tiergarten und Friedrichstraße wird zeitweise eingestellt, Touristen Unter den Linden müssen im Souvenirshop warten, bis Präsident Erdogan sein Hotel Adlon erreicht hat. Es herrscht Sicherheitsstufe 1, wie beim Besuch des amerikanischen Präsidenten.
Im Vorfeld hatte es viel Kritik an dem Roten-Teppich-Empfang für Erdogan gegeben. „Ein einfacher Arbeitsbesuch hätte es auch getan“, meinen viele Abgeordnete der Opposition. Manche, von FDP-Chef Christian Lindner bis zur GrünenFraktionsspitze, haben das Staatsbankett am Freitagabend abgesagt. „Mit einem Geiselnehmer möchte ich nicht dinieren“, sagt die LinkenAbgeordnete Sevim Dagdelen. Cem Özdemir dagegen will gerade durch seine Anwesenheit Erdogan an unangenehme Themen erinnern.
Erdogan verbessert die Atmosphäre im Vorfeld nicht. Denn Ankara hat Deutschland eine Liste übergeben mit 69 Terroristen, welche die Türkei ausgeliefert haben will. Darunter Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet. Der lebt seit zwei Jahren in Deutschland und ist zur Pressekonferenz im Kanzleramt akkreditiert. Nachdem Erdogan droht, die Pressekonferenz platzen zu lassen, teilt Dündar mit, dass er nicht kommen wolle. Er wollte nicht, dass sein Fall die Schlagzeilen beherrscht.
Erdogan besteht auf Auslieferung
Erdogan besteht in der Pressekonferenz auf dem Auslieferungsgesuch, Dündar habe Staatsgeheimnisse verraten. „Wenn ich das wäre, würde ich ihn herausgeben“rät Erdogan noch der Bundesregierung.
Doch Merkel zeigt sich unbeeindruckt. Angespannt steht sie neben dem türkischen Präsidenten, beide durchgängig mit ernsten Mienen. Nur ein einziges Mal lächelt Erdogan – das ist, als ein türkischer Journalist, der auf seinem T-Shirt auf Türkisch „Freiheit für Journalisten“fordert, von Sicherheitsbeamten aus den Pressereihen entfernt wird.
Angela Merkel stellt unmissverständlich klar, dass die Türkei in engen Beziehungen zu Deutschland steht, dass es aber „tiefgreifende Differenzen“gibt in der Frage der Rechtsstaatlichkeit und der Pressfreiheit. Nach wie vor seien deutsche Staatsbürger in der Türkei in Haft, und darüber wolle sie mit Erdogan auch beim Frühstück am Samstagmorgen noch einmal sprechen. Gleichzeitig betont Merkel die gemeinsamen Interessen, zum Beispiel in der Syrien-Frage. Im Oktober soll ein Syrien-Gipfel mit Frankreich, Russland und der Türkei stattfinden, kündigt Merkel an. Sie betont auch den Willen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
In Kürze reist Wirtschaftsminister Altmaier in die Türkei. Dafür bedankt sich Präsident Erdogan, dessen Land wirtschaftlich stark unter Druck geraten ist, bei Deutschland. Er erinnert an den vereitelten Putschversuch und daran, dass vor zwei Jahren 251 Menschen in der Türkei dabei ums Leben kamen. Deshalb habe der Ausnahmezustand geherrscht, der jetzt wieder aufgehoben sei.
Er strebe einen Kurs der Wiederbelebung und der Reformen an. Eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland sei für beide Länder eine „Win-Win-Sitatuation“. Die 3,5 Millionen Bürger türkischer Herkunft in Deutschland ruft er auf, ihre Wurzeln zu bewahren, sich aber zu integrieren. Versöhnliche Töne.
Abfuhr von Merkel
Hart dagegen ist eine Forderung an Deutschland, die PKK stärker zu bekämpfen und auch die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, dessen Bewegung in der Türkei als Fetö bezeichnet wird. Hier bekommt er von Merkel eine Abfuhr. Die PKK sei verboten, Gülen aber habe nach ihren Erkenntnissen nicht den gleichen Status wie die PKK.
Gibt es nun nach dem Gespräch Hoffnung für die Deutschen, die in der Türkei in Haft sitzen? Merkel verspricht, jeden Fall einzeln anzusprechen – weist aber auch darauf hin, dass es ein langwieriger Prozess werden könnte. Die Pressekonferenz endet abrupt, als ein deutscher Journalist noch fragt, ob er die Deutschen nach wie vor als Faschisten bezeichnen würde. Vor zwei Jahren hatte Erdogan Merkel Nazi-Methoden vorgeworfen. Auf diese Frage antwortet Erdogan nicht. Schließlich hat er im Vorfeld betont, es gelte Unstimmigkeiten zu überwinden und Wirtschaftsbeziehungen zu stärken.