Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die Malerei lebt
Kunstmuseum Ravensburg feiert die österreichische Künstlerin Martha Jungwirth
RAVENSBURG - Manchmal dauert es, bis sich der Erfolg einstellt. 78 Jahre alt ist die Wiener Malerin Martha Jungwirth inzwischen. Aber erst in diesem Jahr hat sie den Oskar-Kokoschka-Preis und eine große Ausstellung in der hochnoblen Albertina bekommen. Ab heute sind ihre Arbeiten unter dem Titel „Panta rhei“(Alles fließt) im Kunstmuseum Ravensburg zu entdecken. Wer behauptet, die Malerei sei tot, wird in dieser Schau eines Besseren belehrt.
Martha Jungwirth ist eine Freundin der klaren Ansage. Sie bezeichnet sich schon mal als „Malschwein, das sich gern in Farben suhlt“. Aber was heißt „suhlen“? Die Künstlerin zeichnet ein untrügliches Gespür für Farben und Kompositionen aus. Sie ist eine hervorragende Koloristin, die sich in ihren großformatigen Bildern stets zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit bewegt. Jungwirth hat dabei eine Schwäche für starke Farben. Sie besitzt nicht ein Grün, sondern zehn verschiedene, nicht ein Rot, sondern zwanzig.
Ein Farbsturm
Die von Museumsdirektorin Ute Stuffer kuratierte Schau in Ravensburg versammelt auf zwei Stockwerken Gemälde und Aquarelle aus verschiedenen Jahrzehnten. In diesen wolkigen, fleckigen Arrangements blitzt Gegenständliches allenfalls auf, um sogleich vom Farbsturm verschluckt zu werden. Ein schönes Beispiel dafür ist „Ich bin im Garten“(1992). Auf den ersten Blick ist nur ein flirrendes Farbenmeer zu sehen, doch dann figuriert sich etwas, wird es dichter. Und plötzlich scheint da eine stark abstrahierte Frau mitten auf einer blühenden Sommerwiese zu stehen. Zugleich gibt Jungwirth auch der Leere ihren Raum. Will heißen: Nur in Ausnahmefällen wie beim Gartengemälde ist die gesamte Fläche bemalt. Mit der Folge, dass die Farbknäuel im Raum zu schweben scheinen.
Mit dem ganzen Körper
Wie einst die Actionpainter agiert auch Martha Jungwirth mit dem ganzen Körper, während der Karton oder Papierbogen auf dem Tisch oder Boden liegt. Spuren des Malprozesses findet man auf fast jedem ihrer Werke, zum Beispiel in Form von Tropfen, Rinnsalen, Verwischungen oder Rändern von Farbdosen. Nichts ist gesäubert oder geschönt. Auch dass sich bei ihren Aquarellen das Papier durch reichliches Wässern wellt, ist gewollt. Deshalb auch der Titel „Panta rhei“.
Ein Großteil der Bilder, die im Kunstmuseum gezeigt werden, beschreiben innere Zustände der Künstlerin. Sie erzählen vor allem vom Reisen, das für die 78-jährige Wienerin eine wichtige Inspirationsquelle darstellt. Sie selbst spricht von „visuellen Eindrücken, die wie Gedankenfische im Netz bleiben“. Motive aus Kambodscha, Griechenland, der Wüste oder den Niederlanden finden sich in der Ausstellung. Mal haben sie einen kunsthistorischen oder literarischen Bezug, mal einen geologischen und dann wieder einen mythologischen. Vertreten sind in Ravensburg auch etliche aktuelle Arbeiten, wie etwa die aufwühlende Serie „Istanbul“von 2017. Diese riesigen Bildtafeln in Pink, Rot und Lila sind allerdings nicht von einer Reise inspiriert, sondern von Medienbildern über den blutigen Putschversuch in der Türkei 2016.
Die größten Formate der Schau stammen aus den frühen 1980er-Jahren: eine Serie von Aquarellen. Sie waren lange gerollt im Atelier versteckt und sind jetzt erstmals am Beispiel von sechs Exemplaren öffentlich zu sehen. Mit dem Titel „Windsbraut“– eine Hommage an Oskar Kokoschkas gleichnamiges Ölgemälde – zeigen die Blätter die Lust am schnellen Malprozess. Doch zugleich spricht aus den Farben und ihrer Setzung eine Überlegtheit, die als klare Motive von Köpfen und Gliedmaßen zu erkennen sind.
Nur eine Randposition nehmen in Ravensburg Jungwirths monumentale Zeichnungen aus den 1970er-Jahren ein. Ein Schlaglicht fällt hier auf die Serie „Indesit“, benannt nach einem italienischen Küchenhersteller. Feine zeichnerische Gebilde schweben darauf im Bildraum, lassen gegenständliche Quellen erahnen. Tatsächlich handelt es sich um das bewegte Innenleben einer Küchenmaschine, in der es nur so rüttelt und schüttelt. Die Spannung zwischen Motiv und Abstraktion ist beim Rundgang durch die Ausstellung immer wieder spürbar..
Bis 24. Februar, Öffnungszeiten: Di.-So. und Fei. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen. Weitere Infos zum Rahmenprogramm und den Führungen unter: www. kunstmuseum-ravensburg.de
Ergänzt wird die Martha-Jungwirth-Schau von einem Kabinett im Erdgeschoss mit Bildern von Pierre Alechinsky. Sie stammen aus der hauseigenen Sammlung Selinka.