Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Zum Trost in schweren Zeiten
Über das Sakrale Kleinod der „Pietà“in der Benk’schen Hofkapelle „Maria Schnee“in Haubach
NEUTRAUCHBURG - In der Hofkapelle in Haubach sitzt Anton Benk andächtig vor der Muttergottes, die auf ihrem Schoß den Leichnam ihres Sohnes Jesus umarmt. „Dieses Bildnis hat wohl schon vielen Haubachern über schwere Zeiten hinweggeholfen“, meint er betroffen und erzählt, dass er Anfang des Monats August die letzte Kuh verkauft und damit die Milchwirtschaft endgültig aufgegeben hat – ein tiefer Einschnitt in der mehr als 400 Jahre alten Hofgeschichte.
Auf einem ganz anderen Blatt, unvergleichlich schmerzlicher sei, dass sein Bruder Emil (katholischer Pfarrer in Stuttgart) Mitte August im Rahmen seines Urlaub in den Alpen tödlich verunglückt sei und Ende August in der Heimatgemeinde Menelzhofen auf dem Friedhof um die Kirche zu Grabe getragen wurde. „Wir sind deswegen in großer Trauer.“Und Anton Benk fährt fort zu erzählen, dass sein Bruder Emil jeweils einmal im Jahr eine Messe in der Kapelle gehalten hätte und dass Emil selber durch die Pietà immer Trost und Ermutigung für seinen Dienst empfangen hätte.
Auf dem Türschild der Arbeitsgemeinschaft Heimatpflege Württembergisches Allgäu heißt es: „Hofkapelle Maria Schnee, Neutrauchburg Haubach. Die 1699 von Blasius Ziegler erbaute Kapelle, eine der ältesten im hiesigen Raum (...) Bemerkenswertes Schnitzkunstwerk ist die Pietà eines barocken Bildtypus, in dem das Martyrium Jesu geradezu theatralisch dargestellt ist.“
Mehrere Renovierungen Heimatpfleger Hartmut Helber aus Rohrdorf weist in seiner Hofdokumentation nach, dass sich die Hofgeschichte bis ins Jahr 1539 zurückverfolgen lässt, die Kapelle jedoch erst 1699 vom damaligen Gutsbesitzer Blasius Ziegler von Haubach erbaut wurde. Helber weist auch nach, dass die Hofstelle ab 1800 im Eigentum der Familie Benk stand und die Kapelle sowohl 1907, 1949 und letztmalig 1988 renoviert wurde, und dass dadurch wohl auch die Verbundenheit und das Verantwortungsbewusstsein der Familie für diese Kapelle deutlich werde.
Kunsthistoriker sind davon überzeugt, dass die Pietà etwa dasselbe Alter haben müsse wie die Kapelle selbst, dass sie jedoch ursprünglich für einen anderen Platz vorgesehen war, weil das Format der Wandnische und der Plastik nicht recht zusammenpassen will.
Eine Pietà ist die Darstellung der Marienklage, bei der der Leichnam Jesu auf dem Schoß der trauernden Muttergottes liegt. Als selbständiges, plastisches Andachtsbild tritt die Pietà in der Zeit nach 1300 auf und verbreitete sich im 14. und 15. Jahrhundert vor allem nördlich der Alpen. In Pestzeiten wurde gerne eine schmerzverzerrte Muttergottes mit dem von Leiden und Tod gezeichneten Jesus geschnitzt, in späteren Zeiten auch Bildnisse mit der jugendlich schönen Muttergottes. Die Pietà in Haubach entspricht jedoch eher einem in der Barockzeit weit verbreiteten vielfigürlich-theatralisch inszenierten Darstellungstypus.
Hier sitzt Maria auf einem Felsen um den die „Arma Christi“herumliegen: Dornenkrone, Nägel und die Schrifttafel mit der Aufschrift INRI. Die Totenköpfe sollen wohl auf die Schädelstätte, den Berg Golgatha als Kreuzigungsort, hinweisen. Absicht der Haubacher Pietà ist jedoch weniger das stille, in sich gekehrte Leiden der Muttergottes, als vielmehr die Präsentation des Heilswerkes Jesu Christi, das sie dem Betrachtenden zum Trost ans Herz legt. „Sieh, das tat der Herr für Dich!“
Die beiden assistierenden Frauen, sollen es nun Engelgestalten sein oder sind es die Frauen, die im Evangelium als Begleiterinnen der Passion Jesu bis zur Auferstehung am Ostermorgen immer wieder genannt werden? Die anmutige Frauengestalt auf der linken Seite empfiehlt dem Betrachter das Werk der Erlösung: Maria mit ihrem für die Sünden der ganzen Welt gekreuzigten Sohn.
Ihre rechte Hand und die Linke der Muttergottes weisen auf den Ursprung des Blutes im Messopfer hin. Die Frauengestalt zu den Füssen Jesu zeigt deren Abschiedsschmerz. Sie drückt mit ihrem Oberarm Jesu Füße an sich, bedeckt sie mit ihrem Haar und wischt die blutenden Nägelmale mit ihrem eigenen Gewand ab. Durch die beiden Frauen werden Gläubige in das Geschehen einbezogen.