Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
EU bremst Initiativen für mehr Tierwohl aus
Gesetz soll Position von Bauern gegenüber Händlern stärken – Kritik wegen minimierter Standards bei Tierhaltung
BRÜSSEL - David gegen Goliath – dieses Bild wird häufig gewählt, wenn die großen Lebensmittelketten den Erzeugern ihre Bedingungen und Preise aufzwingen. Deshalb hat das Europaparlament am Donnerstag ein Gesetz „zur Bekämpfung des unlauteren Handels in der Lebensmittelversorgungskette“auf den Weg gebracht.
Um Zeit zu sparen, wandert es direkt aus dem Landwirtschaftsausschuss in die Verhandlungen mit Rat und Kommission. Die Grünen versuchten die Prozedur in letzter Minute zu stoppen, weil sie einen Passus für fatal halten, der es Einzelhändlern verbietet, strengere Gesundheitsund Tierschutzstandards von den Erzeugern zu fordern, als es gesetzlich vorgeschrieben ist.
Würde das Gesetz in der jetzigen Form verabschiedet, könnte Aldi sein „Fair & Gut“-Label nicht behalten, weil es für gehobene Tierschutzstandards im konventionellen Landbau steht – eine freiwillige Selbstverpflichtung, die nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, die Aldi aber von seinen Zulieferern verlangt. Laut Auskunft des Konzerns orientiert sich das Gütesiegel an den Mindeststandards des Deutschen Tierschutzbundes und steht für eine Fleischproduktion, die nicht alle Kriterien für Bioprodukte erfüllt, aber verantwortungsvoller mit dem Tierwohl umgeht als die konventionelle Tierhaltung.
Ein ähnliches Konzept hat Mitbewerber Lidl entwickelt. Wie jetzt schon bei Eiern kann der Verbraucher auf der Verpackung sehen, ob die Tiere nach gesetzlichem Mindeststandard, etwas besser oder nach Biostandard aufgezogen wurden. Auch dieses System wäre nach dem neuen Gesetz nicht mehr zulässig.
„Es ist nicht zu verstehen und zu vermitteln, dass die Sozialdemokraten die Konservativen in ihrer Forderung unterstützen, dass dem Handel künftig verboten werden soll, Waren über dem gesetzlichen Standard beim Umwelt- und Tierschutz anzubieten“, erklärt der grüne EU-Abgeordnete und agrarpolitische Sprecher der Fraktion Martin Häusling. Auch die Grünen waren zunächst dafür, das Gesetz direkt aus dem Agrarausschuss in die Verhandlungsrunde zu schicken, da es so noch unter österreichischer Ratspräsidentschaft bis Ende des Jahres verabschiedet werden kann. Die österreichische Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) setzt sich sehr dafür ein, die Verhandlungsposition der Bauern gegenüber dem Einzelhandel zu verbessern und unfaire Praktiken zu verbieten.
Ein weiteres Problem sieht das Centrum für Europäische Politik (CEP) in Freiburg. Die vom Europaparlament vorgelegte Fassung verbietet den Zusammenschluss von Einzel- und Großhandel zu Einkaufsgemeinschaften wie Edeka oder Rewe. Auch landwirtschaftliche Genossenschaften, die gegründet wurden, um den mächtigen Supermarktketten auf Augenhöhe begegnen zu können, fallen unter Umständen unter das Verbot. „Der heutige Beschluss schießt über das Ziel hinaus“, kritisiert CEP-Handelsexperte Muhammed Elemenler. „Er würde den Wettbewerb und Handel in der Lebensmittelbranche durch eine Vielzahl teilweise sich überschneidender und nicht durchdachter Verbote ersticken.“Da sich das Parlament mit der gestrigen Abstimmung festgelegt hat, bleibt den kritischen Abgeordneten nun nur die Hoffnung, dass die Agrarminister widersinnige Regelungen aus dem Text herausverhandeln.