Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der Umgang mit dem Tod verändert sich
Zwei Priester erklären, wie sich das Bewusstsein für die Endlichkeit des Lebens aus ihrer Sicht verändert
ESSEN/RAVENSBURG (dpa/nyf) Am Donnerstag ist Allerheiligen, jener Feiertag, an dem die Katholiken ihrer Verstorbenen gedenken. Gefeiert wird Allerheiligen in der abendländischen Kirche seit dem neunten Jahrhundert am 1. November. Doch der Umgang mit dem Tod hat sich verändert. Nicht nur die Art des Gedenkens ist anders, auch die Form der Bestattung. Nach Schätzungen des Bundesverbandes Deutscher Bestatter liegt der Anteil der im Vergleich zur Erdbestattung deutlich günstigeren Feuerbestattungen inzwischen bei 64 Prozent (2017). Der Anteil der Verbrennungen ist demnach seit 2010 – je nach Bundesland – jährlich um ein bis zwei Prozent gestiegen.
Es ist ein stiller Moment, wenn das Leben einen Körper verlässt. Wenn der Puls kein starkes Zeichen mehr dessen ist, was das Herz leistet. Kein Widerhall mehr von Persönlichkeit und Seele. Sondern nur noch ein gehauchtes Echo eines glimmenden Funkens in der Brust. Bis der letzte Schlag kommt und der nachfolgende fehlt. Für immer.
Ein Vorgang, der so oder so ähnlich fast 60 Millionen Mal im Jahr auf der Welt geschieht, wie die Weltgesundheitsorganisation schätzt. Mal schlagartig, unerwartet und dramatisch. Mal langsam und vorhersehbar, etwa am Ende eines langen Lebens. Aber so viele Arten es gibt, aus dem, was wir das Irdische nennen, auszuscheiden, so viele Arten gibt es auch, mit dieser unabwendbaren Tatsache umzugehen. Und auch das Nicht-Umgehen ist eine Art, den Tod irgendwie zu handhaben, auch wenn er so wahrscheinlich noch weniger zu fassen oder begreifbar ist. Der Spruch vom Tod, der zum Leben dazugehört – nicht viel mehr als eine Floskel. Gerade in einer modernen und schnellen Leistungsgesellschaft, die Schwächen immer weniger verzeiht – und was sonst ist der Tod als eine finale Schwäche? Ein natürlicher Umgang mit ihm findet kaum mehr statt. Oder?
Viele Arten zu trauern
Im Tuttlinger Pfarrhaus der Gemeinde St. Gallus gehört das Nachdenken über den Tod – vor allem aber über das im Katholizismus feststehende Leben danach – sozusagen zum Markenkern. Das Haus beherbergt nicht nur das Pfarramt im Erdgeschoss, sondern auch die Privaträume von Dekan Matthias Koschar und Pfarrer Richard Grotz. Die beiden haben an diesem kühlen Vormittag ein Holzfeuer im Kamin angezündet, das eine wärmende Behaglichkeit in den Raum mit den plüschigen Sofas und Sesseln strahlt. Und trotz des ernsten Themas ist die Stimmung heiter, ja fröhlich. So sehr sogar, dass Matthias Koschar auf die Idee kommt, ein Gläschen Sekt anzubieten. Später wird es sogar Apfelstrudel geben. „Von mir handgemacht“, wie der Dekan versichert.
„Hier in Tuttlingen haben wir etwa 140 Beerdigungen und 70 Taufen im Jahr“, zieht Koschar Bilanz und lächelt. Gerade das Wesen von Bestattungen habe sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt – auch und gerade seit die beiden Priester vor mehr als 20 Jahren gemeinsam nach Tuttlingen kamen. „Wir kennen hier alle möglichen Formen des Abschiednehmens“, sagt Richard Grotz. Während es in den kleinen Dörfern, den Landpfarreien, durchaus noch das traditionelle Begräbnis mit Totenmesse und persönlicher Anteilnahme von Nachbarn gebe, die bei einem Sterbefall noch an die Tür der Trauerfamilie klopften, um zu trösten, sei der Tod in der Stadt doch einer stillere und anonymere Angelegenheit. „So viele Arten von Menschen es gibt, so viele Arten von Beisetzungen gibt es auch“, sagt Grotz, und in dem Satz schwingt das Bewusstsein mit, dass eine Kirche – sofern Zeremonien im Einklang mit dem christlichen Leitgedanken stehen – sich dem anpassen sollte.
Ein starkes Bewusstsein dafür, dass jedes Leben endlich ist, kann Dekan Matthias Koschar in seinem Arbeitsalltag nicht übermäßig oft feststellen. „Der Tod geht immer mehr ins Private“, sagt der Seelsorger. Seine Erfahrung sei, dass heute generell alles sehr materialistisch sei. Er nennt es eine Verarmung, während wir durch unseren Wohlstand eigentlich von allem immer mehr hätten. „Unser Umgang mit dem Tod sagt auch etwas über den Zustand der Gesellschaft aus.“Er spricht von radikalem Positivismus. Das Innehalten, das Nachdenken werde stärker überlagert von den täglichen Dingen.
Suchende Menschen
Bevor sich das freundliche Gesicht von Koschar eintrüben kann, zeigt Pfarrer Grotz ein breites Lächeln, das Ausdruck seines Optimismus ist. Denn immer dann, wenn besondere Anlässe wie Taufen oder Beerdigungen Menschen, die sonst nicht kommen, in Kirchen bringen, spürt er eine Offenheit, ja eine Sehnsucht. Das wiegt für Grotz viel schwerer als die weitgehend leeren Bänke an gewöhnlichen Sonntagen, schwerer als die Kirchenaustritte. Dieser spürbare Wunsch, sich mit Gott, dem Leben und schließlich auch dem Tod auseinanderzusetzen, gibt Grotz Hoffnung und nährt seine Zuversicht, dass Kirchen und Menschen wieder näher zusammenrücken werden. Auch wenn diese Hoffnung durch die Entwicklung nüchterner Mitgliederzahlen im Augenblick nicht gedeckt ist.
Doch unabhängig von der Frage, ob die Situation der Kirchen schwierig, der Bezug der Menschen zu den Dingen, die über den Horizont unserer rationalen Alltagswelt hinausgehen, schwach ist: „Wir sind angstfrei. Was da kommt – wir werden es meistern“, sagt Koschar. „Mit Gottes Hilfe.“Koscher und Grotz wollen mit Pragmatismus darauf reagieren. Wenn zutiefst irdische Bedürfnisse Hinterbliebener zutage treten, die zum Beispiel bei der Trauerfeier darauf bestehen, nicht nur Kirchenmusik zu hören, sondern im Zweifel Rockmusik oder sogar Heavy Metal – solange es dem katholischen Markenkern nicht zuwiderläuft. Da muss Richard Grotz wieder sehr breit lächeln, dass seine Zähne strahlen, wenn er an die Hitliste auf Trauerfeiern denkt: Frank Sinatras „I Did It My Way“, oder „S’ist Feierabend“, in dem es heißt: „Das Tagwerk ist vollbracht/ 'S geht alles seiner Heimat zu/ Ganz sachte schleicht die Nacht.“
Das Thema ist nicht nur düster
Als aus Sicht der beiden Seelsorger zum düsteren Thema Tod und Sterben, das in ihrer Wahrnehmung wegen der christlichen Botschaft von Auferstehung und ewigem Leben gar nicht düster ist, alles gesagt ist, gibt es den versprochenen Strudel, der einem Bäcker Ehre gemacht hätte. Priestern erst recht. Zum Abschied erzählt Matthias Koschar noch eine von ihm selbst erlebte Anekdote, die ein kleines Fenster zur Komik öffnet, die gerade deshalb so gut funktioniert, weil sie vor dem Hintergrund einer Beisetzung spielt: Hinterbliebene beschließen, den Verstorbenen, der es vermutlich anders gewollt hätte, nicht nach der Tradition zu beerdigen, sondern einzuäschern. Der Tote wird in seinen Lieblingsanzug gehüllt. Nach der Verbrennung öffnet die Familie einen hinterlassenen Brief, darin steht: „...und in meinem besten Anzug habe ich noch 5000 Euro eingenäht...“Was die Moral von dieser kleinen Geschichte ist? Koschar könnte, selbst wenn er es wüsste, gerade nicht antworten, weil er so lachen muss. Vielleicht nur soviel: Es sind die Menschen selbst, die über ihren Abschied entscheiden dürfen sollten. Verbrannt, auf dem Meer verstreut, klassisch bestattet oder biologisch abbaubar unter einem Baum. Egal wie – am Ende setzt es für eine bewusste Entscheidung die Auseinandersetzung mit der Unumstößlichkeit voraus, dass es eben doch endlich ist, dieses Leben, zu dem der Tod dazu gehören dürfen sollte.