Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Mauerblümchen sollen wieder aufblühen
Um Wohnraum zu schaffen, investiert Sozialbau Kempten auch in Industriebrache und Militärlazarett
KEMPTEN (raf) - Wohnraum ist im Allgäu heiß begehrt. In Kempten, das jüngst die Schallmauer von 70 000 Einwohnern durchbrochen hat, fehlen nach Schätzung von Fachleuten etwa 1000 Wohnungen. Um Druck aus dem Kessel zu nehmen, schlägt die Sozialbau Kempten ungewöhnliche Wege ein: Das kommunale Unternehmen widmet sich nicht nur konventionellen Neubauten. Es saniert auch eine Industriehalle aus der Gründerzeit und ein ausgedientes Militärlazarett. Anfang 2019 sollen die ersten Bewohner einziehen.
„Wir werden bis Ende 2019 insgesamt 600 neue Wohnungen in der Stadt schaffen“, sagt Sozialbau-Geschäftsführer Herbert Singer selbstbewusst. Investitionsvolumen: über 150 Millionen Euro. Der neue Wohnraum (350 Eigentums- und 250 Mietwohnungen) entsteht großteils als zeitgemäßer Geschossbau in verschiedenen Stadtteilen.
Daneben kümmert sich Sozialbau um die eingangs erwähnten Mauerblümchen – etwa die denkmalgeschützte Sheddachhalle der alten Weberei an der Iller. Wo vor über 125 Jahren ein Webstuhl neben dem anderen ratterte, einen Steinwurf vom neuen digitalen Gründerzentrum entfernt, entstehen nun fast 50 Loftwohnungen. „Eine echte Herausforderung für Planer und Bauleiter“, sagt Singer. Denn die alten Backsteinmauern galt es ebenso zu erhalten wie die stählerne Dachkonstruktion. Inzwischen ist das Projekt auf der Zielgeraden, Anfang 2019 sollen die ersten Mieter einziehen.
Sorgsam mit historischer Bausubstanz umgehen – das muss das Unternehmen auch beim Umbau des alten Lazaretts in Kempten, dem derzeit größten Konversionsprojekt im Allgäu. Das 1938 errichtete Militärkrankenhaus zählte zeitweise über 160 Betten und diente zuletzt als Sanitätszentrum der Bundeswehr. Auch hier ist kein großer Ertrag zu holen. Doch warum hat sich Sozialbau dann für die Sanierung beworben? Singers Antwort: „Die künftige Nutzung stärkt die Stadtentwicklung und entlastet den Wohnungsmarkt. Beides ist uns sehr wichtig.“Geplant sind 45 Studentenappartements und 54 Familienwohnungen, 17 Millionen Euro investiert das Unternehmen dafür.
Dass sich beide Projekte stemmen lassen, ist vor allem dem 2015 von Sozialbau entwickelten „Kemptener Modell“zu verdanken. Und das bedeutet verkürzt: Neu geschaffener Wohnraum wird für etwa acht Euro pro Quadratmeter an die bürgerliche Mitte vermietet. Im Gegenzug fördert Sozialbau Geringverdiener, indem reguläre Bestandswohnungen für fünf Euro pro Quadratmeter an Inhaber von Wohnberechtigungsscheinen abgegeben werden. Das in Bayern einmalige Konzept sorge auf lange Sicht für deutlich mehr Wohngerechtigkeit, sagt Singer – und es helfe dem Unternehmen trotz seiner sozialen Verpflichtung wirtschaftlich zu arbeiten.