Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Hallo Polizei!“
Einst Metzgereifachverkäuferin, jetzt im Vollzugsdienst: Christine Müller sorgt für Ordnung
ISNY - 8.10 Uhr, kurz vor Schulbeginn. Christine Müller steht in ihrer dunkelblauen Uniform mit dem gelben Stadtwappen auf dem Ärmel in der Einfahrt zur Grundschule. „Gleich halten die Busse. Dann wird’s brenzlig“, sagt die Dame vom Gemeindevollzugsdienst und winkt vorbeilaufenden Kindern zu. „Hallo Polizei!“, rufen die zurück. Christine Müller lächelt. „Das stimmt nicht ganz. Ich bin Politesse – so sagt man umgangssprachlich.“
Eine Minute später kommen die Busse: Erst- und Zweitklässler hopsen, rennen und schlendern kreuz und quer über den Bewohnerparkplatz am Eingang des Siloah-Geländes. In den Parklücken stehen Autos von Eltern, die ihre Kinder zur Schule gebracht haben – mit eingelegtem Rückwärtsgang, auf dem Weg zur Arbeit. Es eilt. „Manchmal verlieren die Eltern die Geduld. Und fahren einfach los. Das geht natürlich nicht. Das ist total gefährlich.“
Letzte Woche sei es „richtig knapp“gewesen, erzählt die 58-Jährige aus Beuren. Da hätte nur noch Schreien und Winken geholfen. Bei solchen Geschichten ist zu spüren, dass die ehemalige Metzergeifachverkäuferin selbst Mutter von drei Kindern ist: Dann schüttelt sie empört den Kopf, und echte Sorge mischt sich in ihre Stimme.
Mehr als Strafzettel verteilen Auch ältere Menschen, überhaupt Fußgänger, liegen Müller am Herzen. Deshalb sorgt sie täglich rund 5,5 Stunden für Ordnung im sogenannten „ruhenden Verkehr“: Parkplätze, Gehsteige, Spielstraßen und sogar Naturschutzgebiete sind ihr Revier. Im Rotmoos überprüft sie die ganzjährige Leinenpflicht der Hundehalter. „Mein Job ist viel mehr als nur Strafzettel verteilen.“Sie mache vor allem auf die Gefahren aufmerksam, die überall lauern. „Die vielen nicht bewusst sind.“
Immer angenehm ist das freilich nicht. Das wird auch in der Einfahrt zum Schulgelände klar. Viele bremsen schon weit vor der Einfahrt. Oder fahren mit einem kritischen Blick in einem großen Bogen um die Dame vom Ordnungsamt herum. „Das ist wie bei Kindern: Weist man sie zurecht, sind sie erstmal zornig. Aber anders lernen sie es ja nicht.“
Müllers „Kinder“sind vor allem Autofahrer. Mit einer schwarzen Kappe und den wetterfesten Wanderstiefeln macht sich die dunkelhaarige, sympathische Frau auf den Weg durch Isny. 12 bis 20 Kilometer läuft sie täglich –nach der Aufsicht an der Schule erstmal Richtung Innenstadt. An den Garagen in der Hans-Lantzenberg-Straße schaut sie nach dem Rechten. Hier würden die Anwohner manchmal etwas rücksichtslos parken. Am Überweg in der Maierhöfener Straße gibt’s Lob für die kleinen Verkehrsteilnehmer: „Trotz Tunnelsperrung klappt das hier wunderbar. Die Kinder sind sehr aufmerksam. Die machen das echt spitze“, berichtet sie zufrieden.
Am Marktplatz gibt’s dann den ersten Strafzettel: Ein weinrotes Auto steht entgegen der Fahrtrichtung am Straßenrand.
„Viele wissen gar nicht, dass man das nicht darf.“Kostenpunkt: 15 Euro. Müller notiert Kennzeichen und Automarke im Outdoorhandy, macht Fotos von allen Seiten und schiebt dann emotionslos die blaue Karte unter den Scheibenwischer. Muss das sein? „Ja, muss sein. So ’rum hat der Autofahrer beim Ausparken einen toten Winkel. Das ist ein Problem: Radfahrer, Kinder und ältere Menschen werden hier leicht übersehen.“Ach so.
In der Bergtorstraße drückt die Ordnungshüterin ein Auge zu – trotz absoluten Halteverbots unter den
„Einer muss ja schauen, dass die Wege sicher sind. Und das bin eben ich.“
Dacharbeiten am Gasthof Hirsch. „Gefährdend ist das ja vor allem für sein Auto, nicht für den Verkehr.“Der Fahrer hätte ihr erklärt, er habe das Schild übersehen. Im Gespräch zeigt er sich einsichtig. Verspricht hier nicht mehr zu parken. Genauso eine Mutter in der Kanzleistraße. Sie hastet mit sehr schlechtem Gewissen zu ihrem Wagen, der mit zwei Rädern über den Parkplatz hinausragt und zu nah am Fußgängerüberweg steht. Auch sie kommt mit einer mündlichen Mahnung davon. „Die parken alle ‚normalerweise nie so‘. Das kenn ich schon. Aber wenn sie gleich wegfahren und keine Gefahr besteht, ist das ja auch ok.“
Wer nicht rechtzeitig an seinem Auto ist oder zu frech parkt, hat Pech. Zum Beispiel der Fahrer, der sein silbernes Auto direkt vor der unteren Sparkasse abgestellt hat – praktisch mitten in die Ausfahrt. Weitere wild parkende Autos rund um die Metzgerei machen die Lage unübersichtlich. „Sehen Sie das? Die Fußgänger haben hier Angst, die Straße zu überqueren. Das geht natürlich nicht“, sagt Müller. Handy raus, Foto, blaue Karte, fertig. Jedenfalls fast.
Denn der Besitzer des silbernen Autos folgt Christine Müller bis zum Kurhaus-Parkplatz, um seinem Ärger Christine Müller Luft zu machen: Sie sei ja bekannt für „ihre Zettelverteilerei“, die Strafe sei absurd, er werde Einspruch erheben, das lasse er sich nicht gefallen. Die Politesse bleibt gelassen: „Das ist Ihr Standpunkt. Ich sehe es anders. Natürlich dürfen Sie sich beschweren. Das ist Ihr gutes Recht.“Dann wünscht sie dem Mann einen schönen Tag und geht weiter. Wie macht sie das, so cool zu bleiben? „Ich nehme das nicht persönlich. Ich verstehe, dass er sich ärgert. Aber einer muss ja schauen, dass die Wege sicher sind. Und das bin eben ich.“
Auch um kaputte Verkehrsschilder und Laternen, vermüllte Spielplätze und blinkende Parkscheinautomaten kümmert sie sich. Probleme gibt sie an Kollegen weiter. In engen Gassen wie im Hofweg hinter der Beilharzapotheke kümmert sie sich darum, dass Feuerwehr und „der Herr Weber mit dem Müllauto“überall gut durchkommen. „Die können ja die Haushalte nicht dreimal anfahren – das muss schon gleich beim ersten Mal klappen.“Verständlich.
Am schlimmsten aber findet Müller, wenn auf einem Behindertenparkplatz ohne Berechtigung geparkt wird. „Da platzt mir echt der Kragen – sowas geht einfach nicht.“Blauer Zettel, 35 Euro, die Höchststrafe auf ihrer langen Liste der Verwarngelder. „Viel zu wenig“hat mal eine Passantin mit Gehhilfe die Strafe kommentiert. Da würde sie gerne noch 100 Euro extra dazuschreiben. Aber auch das geht natürlich nicht.