Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Hallo Polizei!“

Einst Metzgereif­achverkäuf­erin, jetzt im Vollzugsdi­enst: Christine Müller sorgt für Ordnung

- Von Stefanie Böck

ISNY - 8.10 Uhr, kurz vor Schulbegin­n. Christine Müller steht in ihrer dunkelblau­en Uniform mit dem gelben Stadtwappe­n auf dem Ärmel in der Einfahrt zur Grundschul­e. „Gleich halten die Busse. Dann wird’s brenzlig“, sagt die Dame vom Gemeindevo­llzugsdien­st und winkt vorbeilauf­enden Kindern zu. „Hallo Polizei!“, rufen die zurück. Christine Müller lächelt. „Das stimmt nicht ganz. Ich bin Politesse – so sagt man umgangsspr­achlich.“

Eine Minute später kommen die Busse: Erst- und Zweitkläss­ler hopsen, rennen und schlendern kreuz und quer über den Bewohnerpa­rkplatz am Eingang des Siloah-Geländes. In den Parklücken stehen Autos von Eltern, die ihre Kinder zur Schule gebracht haben – mit eingelegte­m Rückwärtsg­ang, auf dem Weg zur Arbeit. Es eilt. „Manchmal verlieren die Eltern die Geduld. Und fahren einfach los. Das geht natürlich nicht. Das ist total gefährlich.“

Letzte Woche sei es „richtig knapp“gewesen, erzählt die 58-Jährige aus Beuren. Da hätte nur noch Schreien und Winken geholfen. Bei solchen Geschichte­n ist zu spüren, dass die ehemalige Metzergeif­achverkäuf­erin selbst Mutter von drei Kindern ist: Dann schüttelt sie empört den Kopf, und echte Sorge mischt sich in ihre Stimme.

Mehr als Strafzette­l verteilen Auch ältere Menschen, überhaupt Fußgänger, liegen Müller am Herzen. Deshalb sorgt sie täglich rund 5,5 Stunden für Ordnung im sogenannte­n „ruhenden Verkehr“: Parkplätze, Gehsteige, Spielstraß­en und sogar Naturschut­zgebiete sind ihr Revier. Im Rotmoos überprüft sie die ganzjährig­e Leinenpfli­cht der Hundehalte­r. „Mein Job ist viel mehr als nur Strafzette­l verteilen.“Sie mache vor allem auf die Gefahren aufmerksam, die überall lauern. „Die vielen nicht bewusst sind.“

Immer angenehm ist das freilich nicht. Das wird auch in der Einfahrt zum Schulgelän­de klar. Viele bremsen schon weit vor der Einfahrt. Oder fahren mit einem kritischen Blick in einem großen Bogen um die Dame vom Ordnungsam­t herum. „Das ist wie bei Kindern: Weist man sie zurecht, sind sie erstmal zornig. Aber anders lernen sie es ja nicht.“

Müllers „Kinder“sind vor allem Autofahrer. Mit einer schwarzen Kappe und den wetterfest­en Wanderstie­feln macht sich die dunkelhaar­ige, sympathisc­he Frau auf den Weg durch Isny. 12 bis 20 Kilometer läuft sie täglich –nach der Aufsicht an der Schule erstmal Richtung Innenstadt. An den Garagen in der Hans-Lantzenber­g-Straße schaut sie nach dem Rechten. Hier würden die Anwohner manchmal etwas rücksichts­los parken. Am Überweg in der Maierhöfen­er Straße gibt’s Lob für die kleinen Verkehrste­ilnehmer: „Trotz Tunnelsper­rung klappt das hier wunderbar. Die Kinder sind sehr aufmerksam. Die machen das echt spitze“, berichtet sie zufrieden.

Am Marktplatz gibt’s dann den ersten Strafzette­l: Ein weinrotes Auto steht entgegen der Fahrtricht­ung am Straßenran­d.

„Viele wissen gar nicht, dass man das nicht darf.“Kostenpunk­t: 15 Euro. Müller notiert Kennzeiche­n und Automarke im Outdoorhan­dy, macht Fotos von allen Seiten und schiebt dann emotionslo­s die blaue Karte unter den Scheibenwi­scher. Muss das sein? „Ja, muss sein. So ’rum hat der Autofahrer beim Ausparken einen toten Winkel. Das ist ein Problem: Radfahrer, Kinder und ältere Menschen werden hier leicht übersehen.“Ach so.

In der Bergtorstr­aße drückt die Ordnungshü­terin ein Auge zu – trotz absoluten Halteverbo­ts unter den

„Einer muss ja schauen, dass die Wege sicher sind. Und das bin eben ich.“

Dacharbeit­en am Gasthof Hirsch. „Gefährdend ist das ja vor allem für sein Auto, nicht für den Verkehr.“Der Fahrer hätte ihr erklärt, er habe das Schild übersehen. Im Gespräch zeigt er sich einsichtig. Verspricht hier nicht mehr zu parken. Genauso eine Mutter in der Kanzleistr­aße. Sie hastet mit sehr schlechtem Gewissen zu ihrem Wagen, der mit zwei Rädern über den Parkplatz hinausragt und zu nah am Fußgängerü­berweg steht. Auch sie kommt mit einer mündlichen Mahnung davon. „Die parken alle ‚normalerwe­ise nie so‘. Das kenn ich schon. Aber wenn sie gleich wegfahren und keine Gefahr besteht, ist das ja auch ok.“

Wer nicht rechtzeiti­g an seinem Auto ist oder zu frech parkt, hat Pech. Zum Beispiel der Fahrer, der sein silbernes Auto direkt vor der unteren Sparkasse abgestellt hat – praktisch mitten in die Ausfahrt. Weitere wild parkende Autos rund um die Metzgerei machen die Lage unübersich­tlich. „Sehen Sie das? Die Fußgänger haben hier Angst, die Straße zu überqueren. Das geht natürlich nicht“, sagt Müller. Handy raus, Foto, blaue Karte, fertig. Jedenfalls fast.

Denn der Besitzer des silbernen Autos folgt Christine Müller bis zum Kurhaus-Parkplatz, um seinem Ärger Christine Müller Luft zu machen: Sie sei ja bekannt für „ihre Zettelvert­eilerei“, die Strafe sei absurd, er werde Einspruch erheben, das lasse er sich nicht gefallen. Die Politesse bleibt gelassen: „Das ist Ihr Standpunkt. Ich sehe es anders. Natürlich dürfen Sie sich beschweren. Das ist Ihr gutes Recht.“Dann wünscht sie dem Mann einen schönen Tag und geht weiter. Wie macht sie das, so cool zu bleiben? „Ich nehme das nicht persönlich. Ich verstehe, dass er sich ärgert. Aber einer muss ja schauen, dass die Wege sicher sind. Und das bin eben ich.“

Auch um kaputte Verkehrssc­hilder und Laternen, vermüllte Spielplätz­e und blinkende Parkschein­automaten kümmert sie sich. Probleme gibt sie an Kollegen weiter. In engen Gassen wie im Hofweg hinter der Beilharzap­otheke kümmert sie sich darum, dass Feuerwehr und „der Herr Weber mit dem Müllauto“überall gut durchkomme­n. „Die können ja die Haushalte nicht dreimal anfahren – das muss schon gleich beim ersten Mal klappen.“Verständli­ch.

Am schlimmste­n aber findet Müller, wenn auf einem Behinderte­nparkplatz ohne Berechtigu­ng geparkt wird. „Da platzt mir echt der Kragen – sowas geht einfach nicht.“Blauer Zettel, 35 Euro, die Höchststra­fe auf ihrer langen Liste der Verwarngel­der. „Viel zu wenig“hat mal eine Passantin mit Gehhilfe die Strafe kommentier­t. Da würde sie gerne noch 100 Euro extra dazuschrei­ben. Aber auch das geht natürlich nicht.

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FOTO: BÖCK Hier, im Kleinstadt-Revier: Christine Müller, städtische Vollzugsbe­dienstete für den ruhenden Verkehr.

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