Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Denkbar“besucht Modell-Demokratie
In Weyarn koordinieren ein Leitbild und ein „Mitmachamt“die aktive Bürgerbeteiligung
ISNY/WEYARN - Engagierte der Isnyer „Denkbar“haben sich im oberbayerischen Weyarn über dort erfolgreich umgesetzte Projekte einer aktiven Bürgerbeteiligung informiert. Auch Bürgermeister Rainer Magenreuter und Hauptamtschef Frank Reubold nahmen an der Fahrt in die südlich von München gelegene Gemeinde teil.
„Nicht ohne meine Bürger“ist das Beteiligungskonzept in Weyarn überschrieben. Die Bürger bestimmen bei wesentlichen Projekten wie Stadtbild und Verkehr, Asyl, Neubaugebiete, Leben im Alter, Energie und Umwelt, Kultur, Jugend und Partnerstädten aktiv in Arbeitskreisen mit. Deren Mitglieder geben den Gemeinderäten ihre Ideen und Vorstellungen mit in die Sitzungen. In der relativ kleinen Flächengemeinde in Münchens Speckgürtel scheint die Utopie seit 25 Jahren Realität zu sein, eine Erfolgsgeschichte.
„Denkbar“-Sprecher Christof Eyssel brachte Christine Mulach und Waltraud Böhm-Neuhäuser aus Isny mit, dazu einen Fragenkatalog, der von Denkbar-Mitgliedern im Vorfeld erarbeitet worden war. Aus den Gemeinderatsfraktionen waren Silvia Ulrich (CDU) und Edwin Stöckle (SPD) neugierig, wie das Konzept einer aktiven und konstruktiven Bürgerbeteiligung funktioniert. Ein Dorfrundgang durch Weyarn führte zu etlichen realisierten Bürgerprojekten.
Ein Zehntel der Bürger macht mit Katja Klee leitet dort das sogenannte „Mitmachamt“, eine entscheidende Stabsstelle bei Bürgermeister Leonhard Wöhr. Arbeitskreise (AK) haben mit ihr eine professionelle Begleiterin und Ansprechpartnerin. Bis zu zehn Prozent der Bürger seien in verschiedenen AK engagiert, für die in jedem Haushaltsjahr ein Budget von rund 25 000 Euro bereitsteht. Der Gemeinderat hat jeweils das letzte Wort bei der Vergabe dieser Mittel.
„Bei uns ist das so eingespielt, dass die Räte ohne große Diskussion das beantragte Geld genehmigen“, schilderte Wöhr seinen Gästen aus dem Allgäu, das Vertrauen sei über die Jahre gewachsen. Das aktuell größte abgeschlossene Projekt, für das aus den Haushaltsmitteln rund 12 000 Euro gebraucht wurden, sei der Umzug der Bücherei. Die Mitglieder des entsprechenden AK haben neue Räumlichkeiten gesucht, mit viel Engagement renoviert und den Umzug durchgeführt. Die Bücherei wird von Ehrenamtlichen an fünf Tagen in der Woche über circa zwölf Stunden hinweg betreut.
„Die ‚Verzinsung’ von Bürgerprojekten ist der Zugewinn an Gemeinwohl“, zeigte sich Weyarns Bürgermeister überzeugt. Besonders deutlich geworden sei dies beim Großprojekt Neubaugebiet Klosteranger, dem vor der Realisierung etliche Treffen des AK vorausgingen. Sogar die Ausschreibung habe der AK selbst organisiert, da qualifizierte Mitglieder das Verfahren beherrschten.
Hermann Engel, ein überzeugter Antreiber von Bürgerprojekten in Weyarn, erklärte der Isnyer Abordnung ausführlich, was dem AK dabei wichtig war: Großzügigkeit der Grünanlagen als KommunikationsTreffpunkte und gemeinsames Wohnen in Mehrgenerationenhäusern hätten auf der Liste ganz oben gestanden. Deshalb sei es nicht einfach gewesen, einen Investor zu finden, der diesen Weg mitging. Er habe nach Baubeginn aber festgestellt, dass ein Sich-Einlassen auf die Prozesse einen hohen Vertrauensbeweis in die Gemeinde Weyarn und alle Beteiligten darstelle. Heute sehe er diese Art des Vorgehens als Alleinstellungsmerkmal.
Außerdem sei die nicht unerhebliche Beteiligung des AK Senioren bei diesem Projekt selbstverständlich gewesen, ergänzte Ute Haury, Mitarbeiterin im Rathaus für das Gemeinwesen und Angestellte bei der Stiftung Liebenau. Sie habe die zukünftigen Bewohner jeden Alters ermutigt, ihre Ideen und Vorstellungen vorzutragen.
Proteste und Bürgerbegehren Doch auch wenn sich die Durchführung solcher Projekte harmonisch anhört, habe es in der Vergangenheit ebenso Proteste gegeben, die in einem Bürgerbegehren endeten. Die Umsetzung des ersten Bebauungsplans für den Klosteranger oder das Finden von Flächen für Windräder sei so beispielsweise verhindert worden. „Bei konfliktbehafteten Themen ist es wichtig, den Bürger früh ins Boot zu holen“, rekapitulierte Wöhr seine Erfahrungen. Engel zeigte sich sicher, dass die Akzeptanz für ein Projekt steige, wenn der AK erste Ergebnisse vorweisen könne.
Als Essenz aus dem Treffen zogen die Gäste aus Isny einige Schlüsse. Diese Form der demokratischen Mitbestimmung funktioniert nur, wenn mehrere Faktoren beachtet werden: Die AK bilden sich selbst, je nach Bedarf in der Bevölkerung, jeder AK hat einen „Kopf“, und bei den regelmäßigen Sitzungen wird Protokoll geführt. Außerdem regelt eine Satzung den Rahmen für alle AK. Und Katja Klee im „Mitmachamt“wird über die Entwicklung informiert.
Bürger ist kein „Störfaktor“
Dazu gibt es eine Steuerungsgruppe, die sich regelmäßig trifft, wobei von jedem AK ein Mitglied und auch das „Mitmachamt“anwesend sind, um weiterführende Entscheidungen treffen zu können. Die Arbeit in den AK ist ehrenamtlich und basiert auf einem Leitbild. Die Verwaltung dürfe den Bürger nicht als „Störfaktor“betrachten, betonte Bürgermeister Wöhr. Amtskollege Magenreuter äußerte sich erfreut, dass die Unterschiede zu den Isnyer Arbeitskreisen gar nicht so groß sind. Mit Hauptamtsleiter Reubold war er sich einig, dass in Isny eine Koordinierungsstelle ähnlich des „Mitmachamtes“durchaus überlegenswert sei.
Nächster „Denkbar“-Termin am Montag, 10. Dezember, um
20 Uhr in der Musikbar Eberz. Interessierte Bürger sind eingeladen, die Teilnehmer-Berichte vom Besuch in Weyarn aus erster Hand zu hören und an der Planung weiterer Schritte mitzuwirken. Die Vorstände vom Verein „Freunde der Appretur“informieren außerdem über ihre Aktion auf der Schlossweihnacht, das erste Beratungsgespräch im Projekt „Gut Beraten!“sowie über Sonstiges und Termine.