Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Macron will den Mindestlohn erhöhen
Der französische Präsident macht in einer Rede an die Nation größere Zugeständnisse in der Sozialpolitik
PARIS - Nach Massenprotesten geht der französische Präsident Emmanuel Macron einen großen Schritt auf die Gelbwesten zu. Er kündigte am Montagabend in einer Rede an die Nation größere Zugeständnisse in der Sozialpolitik an.
Bleich und mitgenommen sah Macron bei seiner Rede aus. Nach langem Schweigen reagierte der Präsident und räumte Fehler ein: „Ich weiß, dass ich einige unter Ihnen durch meine Aussagen verletzt habe.“Auch wenn er die Gewalt der Radikalen unter den Demonstranten verurteilte, bezeichnete der Staatschef ihre Wut als „gerechtfertigt“. 40 Jahre der „Malaise“würden nun durch die Proteste sichtbar. Die Regierung habe in den vergangenen anderthalb Jahren nicht die richtigen Antworten gefunden und er habe seine Verantwortung daran. „Wir wollen ein Frankreich, wo man in Würde von seiner Arbeit leben kann“, kündigte Macron an. Das will er mit einer Reihe von Maßnahmen schaffen. So soll der Mindestlohn ab Januar um 100 Euro monatlich erhöht werden. Die Erhöhung der Sozialsteuer soll für alle Rentner, die weniger als 2000 Euro beziehen, zurückgenommen werden. Außerdem sollen die Unternehmen freiwillig eine steuerfreie Jahresendprämie an ihre Angestellten zahlen. Der Präsident führt auch die Steuerfreiheit der Überstunden wieder ein, die es schon unter Präsident Nicolas Sarkozy gab.
Die Abschaffung der Vermögenssteuer, die ihm gleich zu Beginn seiner Amtszeit das Etikett des „Präsidenten der Reichen“einbrachte, will Macron allerdings nicht rückgängig machen. „Diese Steuer wurde gestrichen, um Investitionen anzuziehen und Arbeitsplätze zu schaffen“, begründete er seine Entscheidung. Die angekündigte Rentenreform und die Reform der Arbeitslosenversicherung würden kommen. Der Präsident, dem seine Distanz zu den Franzosen vorgeworfen wird, kündigte Treffen mit Bürgermeistern in allen Regionen an. Gleichzeitig rief Macron das Land zur Einheit auf. „Ich habe mich zur Wahl gestellt, weil ich versöhnen wollte, und ich habe dieses Engagement nicht vergessen.“
Mit seiner 13-minütigen Ansprache vollzog der Staatschef einen Linksschwenk in seiner Politik. Nachdem er im Wahlkampf noch angekündigt hatte, liberalisieren und beschützen zu wollen, war die zweite Hälfte seines Versprechens in den ersten anderthalb Jahren kaum vorgekommen. Die Gelbwesten brachten Macron nun zu einer Wende. Alain Bouché, ein Vertreter der Gelbwesten, begrüßt die Initiativen: „Die Erhöhung des Mindestlohns kann positiv sein. Warum hat er so lange damit gewartet?“. Der Arbeitgeberverband Medef geht davon aus, dass die Maßnahmen zehn Milliarden Euro kosten. Das EU-Defizitziel von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes dürfte so nicht zu halten sein.
Weitere Proteste angekündigt
Dem Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon gingen die Ankündigungen allerdings nicht weit genug. Er sagte: „Akt fünf der Bürgerrevolution wird am Samstag stattfinden.“Die ersten vier Wochenenden der Proteste hatten die Gelbwesten als Akt eins bis vier bezeichnet. Die Demonstrationen richteten sich zunächst gegen die Ökosteuer auf den Benzinpreis, den die Regierung dann zurücknahm. Inzwischen fordern die Demonstranten den Rücktritt des Präsidenten und Neuwahlen. Am vergangenen Wochenende gingen 136 000 Menschen auf die Straße – nur noch halb so viele wie am Anfang.