Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Ärztin kritisiert Kompromiss
Koalition einigt sich auf Neufassung des Paragrafen 219a
BERLIN (dpa/epd/AFP) - Der Kompromissvorschlag der Bundesregierung zur Neuregelung des Werbeverbots für Abtreibungen ist am Donnerstag auf geteilte Reaktionen gestoßen. Politiker der Union begrüßten den Vorschlag. Dagegen sagte die Gießener Ärztin Kristina Hänel: „Wir sind empört, dass (…) Frauenrechte so verraten und wir Ärztinnen weiterhin kriminalisiert werden.“Ihr Fall hatte die Debatte um Paragraf 219a ausgelöst. Sie hatte Abtreibungsinformationen angeboten und war zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Auch aus der SPD kam vereinzelt Kritik – damit droht der Großen Koalition die nächste Zerreißprobe.
Der Kompromiss sieht eine rechtliche Neuregelung vor, die festlegen soll, dass und wie Ärzte und Krankenhäuser künftig darüber informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Werbung dafür darf es aber auch künftig nicht geben.
BRÜSSEL/LONDON (dpa) - Die Hängepartie um den Brexit wird sich bis in den Januar ziehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen bemühten sich beim Brüsseler Gipfel am Donnerstag zwar um erste Zusicherungen, um Premierministerin Theresa May in Großbritannien bei der Ratifizierung des Austrittspakts zu helfen. May selbst warb am Abend im Kreis der anderen 27 Staaten noch einmal um Unterstützung. Doch sagte sie schon vorher, sie erwarte noch keinen Durchbruch, sondern weitere Arbeit. Die Abstimmung im britischen Unterhaus kommt auch erst im neuen Jahr.
Der für 29. März 2019 geplante britische EU-Austritt überlagerte wieder einmal alle anderen Themen des ersten Gipfeltages. Dennoch gelang den 28 Staaten eine einstimmige Entscheidung zur Verlängerung der europäischen Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Es habe im Friedensprozess für die Ukraine zuletzt „null Fortschritt“gegeben, begründete EU-Ratspräsident Donald Tusk auf Twitter. Die Sanktionen sollen weitere sechs Monate gelten. Nach der Konfrontation vor der Krim Ende November forderte der Gipfel zudem die sofortige Freilassung der von Russland festgenommenen ukrainischen Seeleute.
Darüber hinaus berieten die Staats- und Regierungschefs erstmals über den EU-Gemeinschaftshaushalt für das kommende Jahrzehnt. Eine Einigung wird aber laut Gipfelbeschluss frühestens für Herbst 2019 ins Auge gefasst.
Schier endloses Ringen
Kein Thema aber schürt ähnliche Unsicherheit wie das schier endlose Ringen um den britischen EU-Austritt. Für den zwischen der EU und Großbritannien ausgehandelten Brexit-Vertrag gibt es im britischen Unterhaus keine Mehrheit. Hauptstreitpunkt sind die Regeln für offene Grenzen auf der irischen Insel, die auf Widerstand von strikten BrexitBefürwortern treffen. Die EU-Staaten bereiteten kurzfristig eine Erklärung vor, um May zu helfen – allerdings in engen Grenzen.
„Wir haben natürlich auch unsere Grundsätze“, sagte Bundeskanzlerin Merkel. „Ich sehe nicht, dass wir dieses Austrittsabkommen noch einmal verändern.“In diesem Punkt scheinen die 27 bleibenden Staaten völlig einig, auch der Bundestag stellte sich am Donnerstag dahinter. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte: „Wir können eine rechtsgültige Vereinbarung nicht noch einmal aufmachen.“Möglich sei bestenfalls „eine politische Diskussion“, aber keine rechtliche.
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz betonte aber: „Da gibt es schon noch Spielraum, den wir ausschöpfen sollten.“Auch Kurz will keine Vertragsänderung. „Wir werden aber natürlich versuchen, uns darüber hinaus mit einer Erklärung aufeinander zuzubewegen.“
Der Entwurf dieser Gipfelerklärung enthielt vor allem eine Klarstellung zur Sonderregel für offene Grenzen in Irland. Darin heißt es, man wolle den sogenannten Backstop wenn überhaupt nur „für eine kurze Zeit“nutzen. Die von BrexitHardlinern in London geforderte Befristung des Backstops wollte die EU aber laut Entwurf nicht zusagen.
Der Backstop soll garantieren, dass es nach dem Brexit keine Kontrollen oder Schlagbäume zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland gibt. Andernfalls wird politische Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion befürchtet. Im Austrittsvertrag ist vorgesehen, dass ganz Großbritannien notfalls so lange in der europäischen Zollunion bleibt, bis eine andere Lösung gefunden ist. Brexit-Hardliner stört unter anderem, dass Großbritannien in einer Zollunion keine eigenen Freihandelsverträge abschließen kann.
Diplomaten sagten, nach der Gipfelerklärung könnte in einem zweiten Schritt im Januar „eine zusätzliche Interpretation des Vertrags“folgen.