Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kein frisches Geld
3000 Geldboten folgen Streikaufruf von Verdi – Bislang kaum Auswirkungen im Südwesten
RAVENSBURG/BERLIN - Die Deutschen lieben ihr Bargeld. Drei Viertel ihrer Einkäufe bezahlen sie in bar. In keinem Land der Eurozone tragen die Menschen so viele Scheine und Münzen mit sich herum wie in Deutschland. Ganze 107 Euro waren es nach Angaben der Bundesbank 2017 durchschnittlich. Genau diese Liebe der Deutschen zum Bargeld will sich die Gewerkschaft Verdi derzeit zunutze machen – und ruft das Geldtransportgewerbe, also all diejenigen, die Deutschlands Geldautomaten befüllen, zum Warnstreik auf. Rund 3000 Geldtransporterfahrer beteiligten sich nach Angaben von Verdi daran. Sie wollen Druck machen vor der fünften Verhandlungsrunde für die rund 11 000 Beschäftigten des Gewerbes am Donnerstag und Freitag in Berlin.
Zahlreiche Banken bekamen am ersten Geschäftstag des neuen Jahres kein frisches Bargeld, Händler konnten ihre Tageseinnahmen zum Teil nicht abholen lassen. Trotzdem halten sich die Auswirkungen des Streiks bisher in Grenzen. Der Grund: Noch gibt es genug Reserven. „Es gibt keine Bargeldknappheit im Handel oder überlaufende Tresore in den Supermärkten“, sagte Silke Wollmann, die Sprecherin der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW). „Unsere Automaten sind gut gefüllt“, bestätigt Thomas Hagenbucher, Sprecher des baden-württembergischen Genossenschaftsverbands, der die Volksund Raiffeisenbanken vertritt. Auch von Seiten des Sparkassenverbands und der Commerzbank gibt es vorerst Entwarnung. Man habe sich mit Blick auf die Feiertage rechtzeitig mit Bargeld eingedeckt, sagte Jürgen Schmid, Sprecher des Sparkassenverbands Baden-Württemberg. Für wie viele Streiktage die Reserven reichen, könne er jedoch nicht sagen. Einige Banken, darunter die Kreissparkasse Ravensburg und die Volksbank Ulm-Biberach, arbeiten mit kleineren regionalen Transportunternehmen zusammen, die sich nicht am Streik beteiligen. Bargeldknappheit müssen sie deshalb ohnehin nicht fürchten.
In Baden-Württemberg haben Geldtransportfahrer bisher nur an den Standorten Filderstadt, Mannheim und Ettlingen der Firmen Ziemann und Prosegur gestreikt. Diese Standorte seien besonders groß und besonders gut organisiert, erklärte Eva Schmidt von Verdi Baden-Württemberg. Nicht gestreikt haben die Fahrer hingegen zum Beispiel an den kleineren Standorten in VillingenSchwenningen, Donaueschingen und Ulm. „Wir wollen uns ja noch steigern können, falls die Verhandlungen nicht so laufen, wie wir uns das wünschen“, sagte Schmidt. Sollten die Streiks nach den Verhandlungen weitergehen, könnte es deshalb auch in der Region doch noch zu Bargeldknappheit kommen.
Einheitliche Bezahlung gefordert
Rund 2500 gepanzerte Spezialfahrzeuge bewegen nach Angaben von BDGW-Sprecherin Silke Wollmann täglich rund sechs Milliarden Euro in Scheinen und Münzen. Sie beliefern damit Banken und den Einzelhandel oder bringen das Geld von dort zurück zur Bundesbank. Zudem haben die Geld- und Werttransportunternehmen schon vor Jahren Aufgaben der Bundesbank übernommen: Ihre Beschäftigten sortieren, putzen und zählen Geld in sogenannten CashZentren. Schlechte Banknoten und Münzen sortieren sie aus. Außerdem prüfen sie das Geld auf Echtheit und verbuchen es entsprechend, bevor sie es zurück zur Bundesbank, an Banken oder den Einzelhandel liefern.
Mitglied im BDGW sind 33 Unternehmen. Sie decken über 80 Prozent des Marktes ab, schätzt Wollmann. Damit sind sie an die Tarifverträge gebunden. Derzeit variieren die Stundenlöhne aber je nach Bundesland. Am besten wird in Nordrhein-Westfalen bezahlt. Dort gibt es im Geldund Werttransport 16,53 Euro. In Baden-Württemberg und Bayern sind es 15,33 Euro. Am niedrigsten sind die Löhne in Ostdeutschland mit 12,64 Euro. In den Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft und den Arbeitgebern geht es insbesondere um eine bundesweit einheitliche Bezahlung. Die BDGW bot zuletzt bis zu 9,4 Prozent Erhöhung in zwei Jahren an, in Baden-Württemberg allerdings nur zweimal 2,2 Prozent. Verdi forderte in diesem und im nächsten Jahr jeweils 1,50 Euro pro Stunde mehr.
Durch eine Annahme der bisherigen Angebote der Arbeitgeberseite würden sich die Verdienstunterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern noch vergrößern, kritisierte Verdi-Verhandlungsführer Arno Peukes. Er zeigte sich jedoch optimistisch, dass eine Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Berlin möglich sei. Mit einer solchen Einigung wäre für die Deutschen die Gefahr vom Tisch, dass ihr geliebtes Bargeld in den nächsten Tagen doch noch knapp wird.