Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Abschied vom Kameralismus
Mit dem Jahreswechsel stellt die Stadt Weingarten auf die doppelte Buchführung um
WEINGARTEN - Es ist eine Verordnung per Gesetz - und kostet die Stadt Weingarten einige hunderttausend Euro. Die Rede ist von der Umstellung des Haushalts von Kameralistik auf die doppelte Buchführung. Für Nicht-Fachleute ist der Vorgang kaum zu verstehen und nachvollziehbar.
Kameralistik, von dem lateinischen Lateinischen Wort „camera“abgeleitet, bedeutet eigentlich „Zimmer, Gewölbe“. In dieser Verwendung ist damit aber eher die „fürstliche Schatztruhe“gemeint. Sie ist als deutsche Variante des Merkantilismus bekannt, der herrschenden Wirtschaftspolitik im Zeitalter des Absolutismus (16. bis 18. Jahrhundert).
Das vorrangige Ziel des Kameralismus war der Wiederaufbau des durch den Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) zerstörten Landes. Er ist ein Verfahren der Buchführung, das in der öffentlichen und kirchlichen Verwaltung angewendet wird.
Reine Ausgaben- und Einnahmenrechnung
Vereinfacht erklärt, verfolgt der Kameralismus das Prinzip einer reinen Ausgaben- und Einnahmen-Rechnung. Also so, wie die meisten privaten Haushalte rechnen: Wie viel Geld steht monatlich zur Verfügung? Was wird für Miete, Essen, Kleidung oder Auto gebraucht und wie viel Geld habe ich am Ende des Monats zum sparen übrig? Wie kann eine außergewöhnliche Anschaffung finanziert werden? Wird ein Kredit gebraucht oder liegt noch etwas auf der hohen Kante? Eine einfache Rechnung, die jeder kennt.
So einfach diese Prinzip ist, hat es aber auch Schwächen. Denn es sagt nichts über den Zustand und den Wert einzelner Geräte oder Möbelstücke aus. Um ein neues Auto zu finanzieren , das vor zehn Jahren einmal 40 000 Euro gekostet hat, müsste man eigentlich über zehn Jahre einen bestimmten Betrag zurückgelegt haben, um den Wertverlust auszugleichen, um sich ein neues anschaffen zu können. Das macht wohl kaum ein privater Haushalt. Wenn Städte nach die diesem Prinzip ihre Bücher führen, kann es sein, dass in den Büchern schöne Zahlen stehen, die Wirklichkeit aber ganz anders aussieht, beispielsweise bei Straßen.
Bewertung des Stadteigentums als Hauptaufgabe
Mit der Einführung der doppelten Buchführung - kurz Doppik - ist damit Schluss. Die Stadt wird ab sofort ihre Bücher wie ein Unternehmen führen und eine Gewinn- und Verlustrechnung vorlegen. Das neue System berücksichtigt auch den Wertverlust von Stadteigentum - Gebäude, Straßen, Kunstgegenstände und Parkscheinautomaten. Die sogenannten „Eigenbetriebe“wie die Stadtwerke sind davon ausgenommen.Seit April 2016 ist ein Team um Stadtkämmerer Daniel Gallasch mit der Umstellung beschäftigt. Ihre Hauptaufgabe besteht vor allem darin, das Eigentum der Stadt zu bewerten. „Wir müssen uns jede Rechnung an schauen“, sagt Gallasch. Von der Handwerkerrechung für Sanierungen bis zur Quittung für dein neuen Parkscheinautomaten. für 5000 Euro. Ein Prozess der sich über Jahre hinwegzieht. Welchen Wert hat zum Beispiel das Rathaus in der Kirchstraße? Das Gebäude ohne Grundstück und Aufbauten hat nach der Berwertung einen Bilanzwert von 298.925 Euro.
Wie kommt dieser Betrag zustande? Das das sogenannte „Aktivierungsdatum“älter als sechs Jahre beträgt und die ursprünglichen Anschaffungskosten nicht ermittelt werden können - das Rathaus wurde im 17. Jahrhundert gebaut - fallen als Kosten und damit als Wertgrundlage die Aufwendungen für die Sanierung aus dem Jahr 2013 an. Diese betrugen exakt 365 352,18 Euro. Der jährliche Wertverlust, die sogenannte Abschreibung, beträgt knapp 11 000 Euro. Macht also über sechs Jahre knapp 300 000 Euro an Bilanzwert.Beispiel Waldfläche am Oberen Bürgerholz: Für die Ermittlung des Wertes der Bäume legten die Betriebswirte einen vom Staat bestimmten Fixwert von 77 Cent pro Quadratmeter zu Grunde. Die Bäume haben demnach einen Bilanzwert von 25.179 Euro. Beispiel Kolpingstraße: Da die Straße 2015 für rund 106 000 Euro saniert wurde, hat in der Eröffnungsbilanz einen Wert von knapp 68 000 Euro.
Beispiel Feuerwehrhaus: Zwar wird es nicht mehr lange so aussehen wie jetzt. Dennoch musste es für die Eröffnungsbilanz bewertet werden. Kurios, denn für das alte Gebäude stand ein Versicherungswert aus dem Jahr 1914 zu Grunde - taxiert in Goldmark. Mit einem komplizierten Verfahren konnte das Doppik-Team den heutigen Wert bestimmen: 10017 Euro.
Kosten gehen in die Hundertausende
Die Kosten für die Umstellung muss die Stadt allein tragen. Und die sind beträchtlich. Seit 2016 hat Weingarten allein in neues Personal 110 000 Euro investiert. Hinzu kamen über 60 000 Euro für Schulungen und noch einmal 45 000 Euro für die Umstellung der Software.
Doch damit nicht genug. Auch nach der Umstellung fallen weitere Kosten an: 55 000 Euro jährlich für Personal und 107 000 Euro für das kommunale Rechenzentrum. Kosten, die der Stadt per Gesetz aufgebürdet wurden. Bis zur Präsentation der Eröffnungsbilanz wird es noch eine Weile dauern. Denn noch hat das Doppik-Team nicht jeden Weingarten-Stein in die Hand genommen. Doch Stadtkämmerer Gallasch zeigt sich optimistisch.
Vielleicht könne man schon in diesem Jahr die Eröffnungsbilanz vorlegen, sagt er im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Dann weiß man wie viel Weingarten wert ist . Zumindest bilanztechnisch.