Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Abschied vom Kameralism­us

Mit dem Jahreswech­sel stellt die Stadt Weingarten auf die doppelte Buchführun­g um

- Von Markus Reppner

WEINGARTEN - Es ist eine Verordnung per Gesetz - und kostet die Stadt Weingarten einige hunderttau­send Euro. Die Rede ist von der Umstellung des Haushalts von Kameralist­ik auf die doppelte Buchführun­g. Für Nicht-Fachleute ist der Vorgang kaum zu verstehen und nachvollzi­ehbar.

Kameralist­ik, von dem lateinisch­en Lateinisch­en Wort „camera“abgeleitet, bedeutet eigentlich „Zimmer, Gewölbe“. In dieser Verwendung ist damit aber eher die „fürstliche Schatztruh­e“gemeint. Sie ist als deutsche Variante des Merkantili­smus bekannt, der herrschend­en Wirtschaft­spolitik im Zeitalter des Absolutism­us (16. bis 18. Jahrhunder­t).

Das vorrangige Ziel des Kameralism­us war der Wiederaufb­au des durch den Dreißigjäh­rigen Krieg (1618 bis 1648) zerstörten Landes. Er ist ein Verfahren der Buchführun­g, das in der öffentlich­en und kirchliche­n Verwaltung angewendet wird.

Reine Ausgaben- und Einnahmenr­echnung

Vereinfach­t erklärt, verfolgt der Kameralism­us das Prinzip einer reinen Ausgaben- und Einnahmen-Rechnung. Also so, wie die meisten privaten Haushalte rechnen: Wie viel Geld steht monatlich zur Verfügung? Was wird für Miete, Essen, Kleidung oder Auto gebraucht und wie viel Geld habe ich am Ende des Monats zum sparen übrig? Wie kann eine außergewöh­nliche Anschaffun­g finanziert werden? Wird ein Kredit gebraucht oder liegt noch etwas auf der hohen Kante? Eine einfache Rechnung, die jeder kennt.

So einfach diese Prinzip ist, hat es aber auch Schwächen. Denn es sagt nichts über den Zustand und den Wert einzelner Geräte oder Möbelstück­e aus. Um ein neues Auto zu finanziere­n , das vor zehn Jahren einmal 40 000 Euro gekostet hat, müsste man eigentlich über zehn Jahre einen bestimmten Betrag zurückgele­gt haben, um den Wertverlus­t auszugleic­hen, um sich ein neues anschaffen zu können. Das macht wohl kaum ein privater Haushalt. Wenn Städte nach die diesem Prinzip ihre Bücher führen, kann es sein, dass in den Büchern schöne Zahlen stehen, die Wirklichke­it aber ganz anders aussieht, beispielsw­eise bei Straßen.

Bewertung des Stadteigen­tums als Hauptaufga­be

Mit der Einführung der doppelten Buchführun­g - kurz Doppik - ist damit Schluss. Die Stadt wird ab sofort ihre Bücher wie ein Unternehme­n führen und eine Gewinn- und Verlustrec­hnung vorlegen. Das neue System berücksich­tigt auch den Wertverlus­t von Stadteigen­tum - Gebäude, Straßen, Kunstgegen­stände und Parkschein­automaten. Die sogenannte­n „Eigenbetri­ebe“wie die Stadtwerke sind davon ausgenomme­n.Seit April 2016 ist ein Team um Stadtkämme­rer Daniel Gallasch mit der Umstellung beschäftig­t. Ihre Hauptaufga­be besteht vor allem darin, das Eigentum der Stadt zu bewerten. „Wir müssen uns jede Rechnung an schauen“, sagt Gallasch. Von der Handwerker­rechung für Sanierunge­n bis zur Quittung für dein neuen Parkschein­automaten. für 5000 Euro. Ein Prozess der sich über Jahre hinwegzieh­t. Welchen Wert hat zum Beispiel das Rathaus in der Kirchstraß­e? Das Gebäude ohne Grundstück und Aufbauten hat nach der Berwertung einen Bilanzwert von 298.925 Euro.

Wie kommt dieser Betrag zustande? Das das sogenannte „Aktivierun­gsdatum“älter als sechs Jahre beträgt und die ursprüngli­chen Anschaffun­gskosten nicht ermittelt werden können - das Rathaus wurde im 17. Jahrhunder­t gebaut - fallen als Kosten und damit als Wertgrundl­age die Aufwendung­en für die Sanierung aus dem Jahr 2013 an. Diese betrugen exakt 365 352,18 Euro. Der jährliche Wertverlus­t, die sogenannte Abschreibu­ng, beträgt knapp 11 000 Euro. Macht also über sechs Jahre knapp 300 000 Euro an Bilanzwert.Beispiel Waldfläche am Oberen Bürgerholz: Für die Ermittlung des Wertes der Bäume legten die Betriebswi­rte einen vom Staat bestimmten Fixwert von 77 Cent pro Quadratmet­er zu Grunde. Die Bäume haben demnach einen Bilanzwert von 25.179 Euro. Beispiel Kolpingstr­aße: Da die Straße 2015 für rund 106 000 Euro saniert wurde, hat in der Eröffnungs­bilanz einen Wert von knapp 68 000 Euro.

Beispiel Feuerwehrh­aus: Zwar wird es nicht mehr lange so aussehen wie jetzt. Dennoch musste es für die Eröffnungs­bilanz bewertet werden. Kurios, denn für das alte Gebäude stand ein Versicheru­ngswert aus dem Jahr 1914 zu Grunde - taxiert in Goldmark. Mit einem komplizier­ten Verfahren konnte das Doppik-Team den heutigen Wert bestimmen: 10017 Euro.

Kosten gehen in die Hundertaus­ende

Die Kosten für die Umstellung muss die Stadt allein tragen. Und die sind beträchtli­ch. Seit 2016 hat Weingarten allein in neues Personal 110 000 Euro investiert. Hinzu kamen über 60 000 Euro für Schulungen und noch einmal 45 000 Euro für die Umstellung der Software.

Doch damit nicht genug. Auch nach der Umstellung fallen weitere Kosten an: 55 000 Euro jährlich für Personal und 107 000 Euro für das kommunale Rechenzent­rum. Kosten, die der Stadt per Gesetz aufgebürde­t wurden. Bis zur Präsentati­on der Eröffnungs­bilanz wird es noch eine Weile dauern. Denn noch hat das Doppik-Team nicht jeden Weingarten-Stein in die Hand genommen. Doch Stadtkämme­rer Gallasch zeigt sich optimistis­ch.

Vielleicht könne man schon in diesem Jahr die Eröffnungs­bilanz vorlegen, sagt er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dann weiß man wie viel Weingarten wert ist . Zumindest bilanztech­nisch.

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