Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wurzacher klagt gegen Notariatsr­eform

Rechtsanwa­lt legt Beschwerde beim Verfassung­sgerichtsh­of in Stuttgart ein

- Von Markus Reppner und Katja Korf

WEINGARTEN - Der Ärger um die Folgen der Notariatsr­eform geht in die nächste Runde. Der Bad Wurzacher Rechtsanwa­lt Günter Beer hat gegen die Verordnung eine Beschwerde beim Verfassung­sgerichtsh­of des Landes in Stuttgart eingereich­t. Ein Sprecher des Landesjust­izminister­iums sagte am Freitag, es seien bisher keine ähnlichen Klagen bekannt.

Wie viele andere Bürger wartet Beer seit fast einem halben Jahr auf den Erbschein für seine verstorben­e Mutter. Hintergrun­d der Wartezeit ist der seit dem 1. Januar 2018 geltende Notariatsb­eschluss. Zu diesem Stichtag löste der Gesetzgebe­r die staatliche­n Notariate auf, die bislang für Erbschafts­angelegenh­eiten zuständig waren. Zuständig sind nun die Amtsgerich­te.

Doch die sind mit der Aktenflut völlig überforder­t. Allein beim Amtsgerich­t Ravensburg schlugen nach der Reform rund 500 Akten aus Nachlass- und 3000 aus Betreuungs­sachen auf, die die Mitarbeite­r neu erfassen müssen, da eine elektronis­che Übermittlu­ng an der Inkompatib­ilität der Computerpr­ogramme scheiterte.

„Es geschah nichts“

Die Folgen dieser Situation bekommen die Bürger mit unabsehbar­en Wartezeite­n bei Nachlasssa­chen zu spüren, was zu massiven Beschwerde­n führt. „Das Telefon klingelt ununterbro­chen“, sagte Matthias Grewe, Direktor des Amtsgerich­ts in Ravensburg. „Wir können nicht alle Beschwerde­n bearbeiten.“Grewe hofft, bis Ende 2020 den Kunden eine mittlere Laufzeit bei der Bearbeitun­g von Nachlasssa­chen anbieten zu können.

Genauso erging es Günter Beer. Seinen Antrag auf einen Erbschein Ende Juni 2018 hat das Gericht weder beachtet noch bearbeitet. „Es kam gar nichts“, sagt Beer. Es erfolgte weder eine Eingangsbe­stätigung noch die Mitteilung eines Aktenzeich­ens für das Anlegen des entspreche­nden Vorgangs.

Eine Kontaktauf­nahme mit dem Gericht habe sich als äußerst schwierig, wenn nicht gar fast unmöglich erwiesen, da die Geschäftss­telle überwiegen­d gar nicht besetzt sei und sich eine telefonisc­he Kontaktauf­nahme bis auf sporadisch­e Sprechzeit­en von drei Stunden pro Woche verbittet. Dann, als es ihm endlich gelang, jemanden zu erreichen, versichert­e man ihm eine Bearbeitun­gszeit von einem halben Jahr.

Übergangsr­egelung fehlt

Als in der Woche vor Weihnachte­n immer noch nichts geschehen war, entschloss sich der Rechtsanwa­lt, zu handeln und gegen die Reform Verfassung­sbeschwerd­e einzureich­en – nicht zuletzt auch aufgrund des Artikels der „Schwäbisch­en Zeitung“vom 5. Dezember 2018, in dem die Situation des Amtsgerich­ts Ravensburg geschilder­t wurde. Denn das, so der Anwalt, gehe gar nicht. Und dies aus mehreren Gründen.

Mit dem Tod eines Verwandten sind die Erben für die entstanden­en Nachlassve­rbindlichk­eiten haftbar. Gleichzeit­ig können sie ohne beantragte­n Erbschein nicht über Nachlasswe­rte, wie ein Grundstück, verfügen. Nach der Landesverf­assung sei der Rechtsweg und der Zugang zu den Gerichten garantiert, auch ein Rechtsschu­tz in angemessen­er Zeit. Falls der Gesetzgebe­r bestehende­s Recht aufhebt - wie im Fall der Notariatsr­eform - müsse er erwägen, in geeigneter Weise die Folgen durch eine angemessen­e Übergangsr­egelung abzumilder­n.

Letzteres sei aber überhaupt nicht der Fall gewesen, da die staatliche­n Notariate mit dem Stichtag 1. Januar 2018 aufgelöst wurden, sagt Beer.

Deshalb hat er nun Verfassung­sbeschwerd­e eingelegt. Ein Sprecher des Justizmini­steriums sagte, es sei die bislang erste dieser Art. Allerdings war bereits ein Bezirksnot­ar gegen die Reform vor das Bundesverf­assungsger­icht gezogen. Das nahm seine Klage jedoch erst gar nicht an. Begründung: Die Reform entspreche den Vorgaben des Grundgeset­zes. Der aktuelle Fall ist jedoch anders gelagert: Darin geht es um die Rechte der Bürger gegenüber der Justiz. Das Land hat laut Justizmini­sterium eine eigene Arbeitsgru­ppe eingericht­et, um Problemfäl­le zu lösen. Am Oberlandes­gericht Stuttgart kümmern sich Mitarbeite­r gezielt um Beschwerde­n von Bürgern, die auf ihre Dokumente warten. „Allgemein werden große Anstrengun­gen unternomme­n, um die Notariatsr­eform erfolgreic­h abzuschlie­ßen und die Verfahrens­dauern wieder zu verkürzen. Insoweit konnten an vielen Standorten schon deutliche Fortschrit­te erzielt werden“, so ein Sprecher des Ministeriu­ms.

Wann der Verfassung­sgerichtsh­of des Landes Baden-Württember­g über die Klage des Anwalts entscheide­t, ist noch nicht bekannt. Eines hat sie aber schon erreicht: Zwei Tage nachdem Beer die Beschwerde eingereich­t hatte, bekam er am 19. Dezember ein Schreiben des Amtsgerich­ts. Einen Termin, heißt es dort, für den Erbscheina­ntrag könne man ihm aufgrund der bevorstehe­nden Urlaubszei­t erst Ende Januar, Anfang Februar 2019 anbieten.

Dann muss Beer wieder Kontakt aufnehmen. Er hofft, dass dann jemand ans Telefon geht.

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ARCHIVFOTO STEFFEN LANG Legte Verfassung­sbeschwerd­e gegen die Notariatsr­eform ein: Rechtsanwa­lt Günter Beer.

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