Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Hans Wucherer: „Do herob bi i dahuim“

Der 81-Jährige wohnt seit seiner Geburt auf einer Oberallgäu­er Alpe – Warum er sich ein Leben im Tal nicht vorstellen kann

- Von Tobias Schuhwerk

MISSEN-WILHAMS - Draußen schneit es dicke Flocken über den Allgäuer Bergen. Drinnen knackt das Brennholz im Ofen. Hans Wucherer (81) sitzt in der Stube, in der er schon als Kind spielte, streicht sich durch den weißen Bart und schaut aus dem Fenster. „Woandersch“, sagt er dann, „hätt’ i nie na wolle. Do herob bi i dahuim“. Seit seiner Geburt lebt er auf der Alpe Bachschwan­den in 950 Metern Höhe nahe Missen-Wilhams (Oberallgäu). Laut Alpwirtsch­aftlichem Verein zählt er zu den dienstälte­sten Älplern im Allgäu. Und er hat noch lange nicht genug.

Gleich bei unserer ersten Begegnung beweist Wucherer, warum er bis weit ins Tal als fleißiger Schaffer und Mächler gilt. Der 81-Jährige steht in der zugigen Scheune an der Schleifmas­chine und fertigt für eine Bekannte Stiele, die sie zu Besen verarbeite­n wird. Die frostigen Temperatur­en nimmt er kaum wahr. Geduldig und mit ruhiger Hand bearbeitet er das Holz: „Wenn ma’s it mit Liebe duat, goht’s it.“

Das hat er gelernt auf der Alpe, auf der er aufwuchs und wo er sich seit 66 Jahren als Älpler im Sommer ums Jungvieh kümmert. Die Dinge lassen sich nicht übers Knie brechen, sie erfordern Bedacht und Hingabe: „99 Prozent muss i do herob selber macha. Wenn’s amol klemmt, kann i it warte, bis der Handwerker Zit hot.“

Wenig später öffnet er die hölzerne Tür zur staatlich anerkannte­n Alpe Bachschwan­den – nicht ohne den Besucher vorzuwarne­n. „It verschreck­e“, sagt er verschmitz­t. „Des isch a Junggesell­en-Bude.“Der Witwer bahnt sich seinen Weg durch die Küche, vorbei an Limo-Kisten und Brennholz-Korb, und heizt den Ofen Hans Wucherer

in der Stube kräftig an. An der Wand hängt eine Schwarz-Weiß-Fotografie aus den 1930er-Jahren. Damals wurde der Raum noch als Käseküche genutzt. Über einer offenen Feuerstell­e hing ein handgeschm­iedeter Kupferkess­el, in dem Rohmilch und Lab zu Käse geronnen. Hans kann sich an diese Zeiten noch erinnern.

Mit den Skiern zur Schule

Auch viele lange und oftmals strenge Winter hat er erlebt. Als Bub stellten sie ihn vor eine besondere Herausford­erung. Als er fünf Jahre alt war, sagte seine Mutter: „Jetzt musst Skifahren lernen, nächstes Jahr kommst Du in die Schule.“Die Volksschul­e befand sich in Wiederhofe­n, das heute zu Missen-Wilhams gehört. Zu erreichen war sie für Hans im Winter nur auf Brettern. Überhaupt kam er als Kind nie groß weg. „Nach Missen sind wir damals höchstens einmal im Monat zum Einkaufen gekommen.“

Bis heute ist er bescheiden geblieben. Warme Mahlzeiten braucht er nicht. Ihm reichen meist ein Ranken Käs oder ein Stück Wurst. Wenn er ein Bad nehmen will, steigt er selbst im Winter schon mal in den Brunnen vor der Haustür. Er sagt: „Ich bin glücklich mit dem Flecken Erde, den mir der liebe Gott geschenkt hat.“Dafür dankt Hans, der der Neuapostol­ischen Kirche angehört, dem Herrgott jeden Tag. Genauso wie für seine Gesundheit und die erstaunlic­he Rüstigkeit.

Im vergangene­n Jahr kümmerte sich Wucherer auf der Alpe noch immer um 17 junge Rinder von anderen Bauern. Auch in diesem Sommer will er wieder für sie da sein. Ein Leben im Tal kann sich Wucherer nicht vorstellen. Auch nicht in den Wintermona­ten, in denen fast alle Älpler ihre Behausung am Berg verlassen. „Im Dorf müsst i ja Miete zahlen, hätt aber keine so schöne Aussicht“, sagt er schmunzeln­d.

Auf der Alpe hat sein Leben angefangen, dort soll es eines Tages auch enden. Das wünscht er sich. Mehr Zeit, um darüber nachzudenk­en, hat er an diesem Nachmittag nicht. Er muss nach draußen, Schnee schippen: „Wenn der zu hoch liegt, komm i nimmer aus der Haustür raus.“Auch mit 81 Jahren ist und bleibt er eben ein fleißiger Schaffer.

„Wenn ma’s it mit Liebe duat, goht’s it.“

 ?? FOTO: TOBIAS SCHUHWERK ?? Hans Wucherer zählt zu den dienstälte­sten Älplern im Allgäu. Seit 66 Jahren ist der 81-Jährige im Sommer auf der Alpe Bachschwan­den aktiv. Dort verbringt er auch den Winter.
FOTO: TOBIAS SCHUHWERK Hans Wucherer zählt zu den dienstälte­sten Älplern im Allgäu. Seit 66 Jahren ist der 81-Jährige im Sommer auf der Alpe Bachschwan­den aktiv. Dort verbringt er auch den Winter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany