Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Neues Wissen in der Werkhalle
ZF arbeitet in Friedrichshafen modellhaft an der Fabrik der Zukunft
Roboter gibt es längst in der Fertigung – auch in den ZF-Werken in Friedrichshafen. Nun beginnt die Ära künstlicher Intelligenz. Davon könnte ZF doppelt profitieren: einmal durch eine schlanke, kostengünstige Produktion und Logistik und ebenso durch vermarktungsfähige Produkte.
„Kollege Roboter“– das Stichwort gibt es seit den späten 1960er-Jahren. Schon damals war Forschern und Produktionsexperten klar, dass Menschen irgendwann gemeinsam mit Robotern oder Computern arbeiten würden. Was sich seit damals in den Werkhallen getan hat, ist jedoch eher mit dem Stichwort „Automatisierung“beschrieben. Denn mit Intelligenz hatten die meist monotonen Verrichtungen der Maschinen wenig zu tun. Viele Montageroboter agieren aus Sicherheitsgründen noch heute hinter Absperrgittern, damit sie mit ihren schnellen und kraftvollen automatischen Bewegungen den Menschen nicht gefährlich werden können. Und auch in den Büros entfalten die Computerprogramme ihr volles Leistungspotenzial erst, wenn sie von entsprechend gut geschulten Experten bedient werden. „Die Digitalisierung hat in der gesamten Industrie, also auch bei ZF, für neue Tools gesorgt, von der Fertigung bis in die Entwicklungsbüros“, sagt Vorstandsmitglied Michael Hankel, bei ZF unter anderem verantwortlich für das Thema Produktion. „Die Einsatzbereiche gehen entlang des gesamten Produktentstehungsprozesses. Mit den digitalen Informationen lassen sich beispielsweise automatisierte Prognosen von Werkzeugausfällen erstellen. Somit können Maschinen gewartet werden, bevor es zum Ausfall kommt.“In den vergangenen Jahren entstand dank durchgängiger Vernetzung und im Zuge von Industrie 4.0 das „Internet of Things“, das neue Standards setzt – und mit ihm hält die künstliche Intelligenz (KI) Einzug.
Innovativer Gabelstapler
Ein Beispiel für die neuen Möglichkeiten ist der Innovation Forklift von ZF. Der Konzern hat das Konzeptfahrzeug im vergangenen Jahr auf der Hannover Messe vorgestellt. Erstmals brachte ZF einem MaterialHandling-Fahrzeug das Sehen, Denken und Handeln bei – getreu dem Unternehmensclaim „See.Think. Act“. Die Studie sollte vor allem zeigen, was bereits machbar ist: ein voll vernetzter Elektro-Gabelstapler, fähig zu hochautomatisierten Fahrfunktionen. Der Innovation Forklift braucht keinen Fahrer, stattdessen nimmt er selbst seine Umgebung über Kamera- und Radarsysteme wahr. Die so erzeugten Daten werden von dem Zentralcomputer ZF ProAI auf der Basis einer KI-Software ausgewertet. „Klassische“ZF-Produkte wie die elektrische ZF-Hinterachslenkung für Gabelstapler und der elektrische ZF-Einzelradantrieb setzen die Handlungsanweisungen der Steuerung um.
Weil der Supercomputer ZF ProAI offen für andere Datenquellen ist, lassen sich grundsätzlich auch die Aufträge des Warenwirtschaftssystems in die KI-Elektronik integrieren. Damit würde der innovative Gabelstapler nicht nur autonom fahren können, er würde auch „wissen“, wo gerade Paletten angeliefert werden, um sie ins Zwischenlager zu transportieren. Und er könnte diese Arbeit sogar – eigenständig – unterbrechen, weil er erkennt, dass ein anderer, zeitkritischer Auftrag vorher abgearbeitet werden muss. Sprich: Der Innovation Forklift könnte Teil einer durch KI gesteuerten Fertigung werden.
Modellfabrik im Werk 2
Mit solchen Möglichkeiten beschäftigt sich die ZF-Modellfabrik, die der Konzern seit August 2017 im Werk 2 am Standort Friedrichshafen Stück für Stück einrichtet. Weitere Ziele bringt Ilker Sari, Leiter der ZF-Modellfabrik, auf den Punkt: „Wir wollen die Kompetenzen des ZF-Konzerns in der Elektromobilität, beim autonomen Fahren sowie in der Nutzfahrzeug- und Industrietechnik zusammenführen. Unsere Pilotprojekte dienen als Schaufenster in die Zukunft.“
Dreifacher Nutzen
Dabei hat das Unternehmen einen dreifachen Nutzen im Blick: Neben der optimalen Organisation der eigenen Produktion und der Verknüpfung von Industrie 4.0 mit Smart-Logistik-Ansätzen zielt ZF auch auf den Markt für Nutzfahrzeuge und Industrietechnik. „Autonomes Fahren hat ein starkes Potenzial – und das nicht nur im öffentlichen Straßenverkehr, sondern auch innerhalb abgeschlossener Firmengelände“, erläutert Sari. „Wir wollen Erkenntnisse aus der Entwicklung von autonomen Fahrfunktionen auch für die Nutzfahrzeugund Industrietechnik nutzen und zeigen, dass wir in diesen Bereichen führend sind.“
Keine Experimentierhalle
Die ZF-Modellfabrik ist keine abgetrennte Experimentierhalle, in der sich fernab des Alltagsgeschäfts Dinge ausprobieren lassen. Im Gegenteil: Sie besteht aus einzelnen Abschnitten, die fest eingebunden sind in die ZF-Nutzfahrzeuggetriebe-Produktion. Daher muss alles, was in der Modellfabrik in die Praxis eingeführt wird, sehr gut erwogen und geplant sein. Das Team um Ilker Sari hat in den vergangenen Monaten gemeinsam mit anderen Fertigungsspezialisten Anwendungsfälle („use cases“) definiert und deren Umsetzung vorbereitet. Konkret geht es vor allem um den Materialtransport – das ist auch heute noch in einer Industrieproduktion eine der Hauptaufgaben. Etwa 70 Prozent der Warenbewegungen während des Produktionsprozesses bestehen aus Transporten – bevor das Material an Maschinen oder Montageeinrichtungen wertschöpfend weiterbearbeitet wird. Sari: „Wer die Anlieferung und Andienung von Bauteilen an die Arbeitsstationen optimal organisiert, kann Effizienz und Produktivität deutlich steigern.“
Werker im Wandel
Die Abläufe in der Produktion werden sich verändern – und darauf müssen die Menschen vorbereitet werden. Auch das steht auf der Agenda von Ilker Sari und seinem Team. Ein Beispiel ist die Instandhaltung: „Wer autonome Transportsysteme wartet und instand hält, benötigt ein anderes Verständnis von deren Transportaufgaben“, sagt Sari.
Auch in der Produktionslogistik werden sich Aufgaben verschieben – von der operativen Einzelaufgabe zur Kontrolle. Im Zeitalter autonomer Transportfahrzeuge mag der Bedarf an Zugfahrern in der Logistik sinken – der Bedarf an Operatoren, die in einem Leitstand das Geschehen kontrollieren, steigt. „Die ZFModellfabrik liefert wichtige Impulse zur Entwicklung dieser Personalentwicklungsstrategie.“
Und sie ist keine ZF-interne Angelegenheit, der Konzern arbeitet hierbei eng mit kooperierenden Ausbildungseinrichtungen wie der Dualen Hochschule Baden-Württemberg zusammen.
Auf den Wandel der neuen Industriewelt müssen sich auch die Meister am Standort Friedrichshafen einstellen: Durch Industrie 4.0 und Trends wie E-Mobility oder autonomes Fahren verändert sich deren Arbeitswelt. Daher sind Zusammenarbeit und Kompetenzaustausch wichtiger denn je. Es ergeben sich aber auch neue Chancen, betont Produktionsvorstand Hankel: „Durch den Wissensaustausch in den Arbeitsgruppen entstehen Synergien, die unsere gesamte Organisation stärken. Meister aus verschiedenen Bereichen, Projekten oder auch Standorten werden vernetzt. In Workshops erarbeiten wir außerdem individuelle Stärkenprofile, die Aufschluss über die Kompetenzen der Meister geben, sodass wir sie entsprechend einsetzen können.“
Doch „Kollege Roboter“?
„Kollege Roboter“könnte also bald tatsächlich Wirklichkeit werden. Zum neuen Zusammenspiel braucht es jedoch nicht nur KI-Algorithmen und autonome Fahrzeuge, sondern auch ein neues Verständnis der Menschen, die laut ZF nach wie vor im Zentrum stehen.