Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Zu Besuch beim erfolgreichen Kressbronner Modell
Kommunaler Wohnungsbau im Eigenbetrieb: Gemeinderäte und Verwaltungsspitze informieren sich
ISNY/KRESSBRONN - Elf Isnyer Stadträte aus den drei Rathausfraktionen haben sich vergangenen Donnerstag in Kressbronn über die Erfahrungen der Gemeinde als aktiver „Mitspieler“im kommunalen Baugeschehen informiert. Zur Allgäuer Delegation am Bodensee gehörten auch Bürgermeister Rainer Magenreuter, Kämmerer Werner Sing sowie Bauamtschef Claus Fehr und seine Mitarbeiterin Andrea Pezold, im Rathaus zuständig für Wohnungen Gebäude und Grundstücke.
Matthias Käppeler, Leiter der Finanzverwaltung in Kressbronns Kämmerei, erläuterte zwei Stunden lang, wie erfolgreich der von ihm im Jahr 2007 federführend initiierte „Eigenbetrieb Grundstücksverkehr und Wohnungsbau“inzwischen arbeitet. Bürgermeister Daniel Enzensberger, anno 2014 im Alter von gerade einmal 26 Jahren überraschend ins Amt gewählt, fasste gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“zusammen: „Der Eigenbetrieb ist mir in den Schoß gefallen – mir hätte nichts Besseres passieren können.“
SPD-Antrag als Hintergrund Hintergrund der Informationsfahrt ist der Antrag der Isnyer SPD-Gemeinderatsfraktion vom 22. Oktober 2018, dass sich auch die Stadt Isny aktiv auf dem Wohnungsmarkt engagiert und dafür einen Eigenbetrieb oder eine Baugesellschaft gründen möge. Überlegungen dazu hatte die SPD schon vor vier Jahren angestoßen. Anfang 2017 verlangten die Freien Wähler von der Stadtverwaltung einen dreisäuligen „Businessplan“für den Wohnungsbau in der Stadt: durch private Investoren, in Partnerschaft von Stadt und einem Bauträger oder mit einer städtischen Wohnbaugesellschaft (SZ berichtete). Allerdings ist seither nichts passiert, zumindest für die öffentliche Wahrnehmung.
Möglichkeiten auf drei Arealen Dabei böten sich in Isny in den kommenden Jahren allein auf drei zentrumsnahen Arealen reichlich Handlungsspielräume: im Neubaugebiet Mittelösch, auf dem KrankenhausAreal und im nördlichen Bereich des Stephanuswerks, eventuell auch in den Teilorten. Der SPD-Antrag ist aktuell fokussiert auf „bezahlbaren Wohnraum“, den die Stadt „in sozialer Verantwortung“und als „kommunaler Auftrag zur Grundversorgung“bereitstellen solle, weil – so wörtlich – „private Anbieter das nicht leisten können oder wollen“.
Kressbronns Kämmerer Käppeler und Bürgermeister Enzensberger verdeutlichten indes, dass ein kommunaler Eigenbetrieb weitaus mehr zu leisten vermag: Neben einer „Einflussnahme auf die Wohnungswirtschaft“eigne er sich als städtebauliches Steuerungsinstrument bei Gestaltung und Nutzung von zu entwickelnden Quartieren, könne außerdem „als politisches Ziel der Gemeinwohlvorsorge“öffentlichkeitswirksam dargestellt werden und die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur insgesamt beeinflussen.
Als nur ein Beispiel nannte Enzensberger, dass Kressbronn ab 2015 dank des Eigenbetriebs so rasch wie keine andere Kommune im Bodenseekreis Anschlussunterbringungen für Flüchtlinge zur Verfügung stellen konnte. Zugleich betonte er mit Käppeler mehrfach, dass sich nach ihrer Überzeugung ein kommunales Engagement keinesfalls auf „sozialen Wohnungsbau“oder Bedürftige mit Wohnungsberechtigungsschein reduzieren sollte. Das berge die Gefahr von „Sozialneid“in Bevölkerungsgruppen, an denen derlei Angebote vorbeiliefen, die bei Entwicklungen am freien Markt aber trotzdem nicht mithalten können.
Was sie damit meinten, verdeutlichte Käppeler mit der Gründungsgeschichte des Eigenbetriebs: 2007 sei ein Wohngebiet mit lediglich Einzelund Doppelhäusern und ohne Mietwohnungen geplant gewesen. Wegen des „Siedlungsdrucks“durch 50 bis 100 neue Einwohner pro Jahr und „explodierende“Mietpreise habe die Gemeinde befürchtet, dass keine Familien mehr zuziehen. Bis heute täten sich selbst Ingenieure aus florierenden Industriebetrieben am Bodensee schwer, Wohnungen in der Region zu finden.
Auf einem eigenen Grundstück stellte die Gemeinde daraufhin im Jahr 2008 vier Wohnhäuser mit 18 Wohnungen fertig. „An einem Freitagnachmittag war die Vermietung erledigt, bis heute hatten wir keinen Monat Leerstand“, berichtete Käppeler. Inzwischen besitzt der Eigenbetrieb 17 Liegenschaften mit 61 Wohneinheiten, von denen sieben zur Anschlussunterbringung bereitstehen. Ziel sei, sich „vielfältig aufzustellen mit Wohnraum für Familien, Senioren, barrierefrei, für Singles und bis hin zu Sozialwohnungen“.
Wirtschaftlich erfolgreich Kressbronn sei mit seinem Modell auch wirtschaftlich erfolgreich, betonten Käppeler und Enzensberger: Das Bilanzvolumen liege inzwischen bei über 15 Millionen Euro. Die Mietpreise würden „linear um 1,5 Prozent“erhöht, was rechnerisch einen „kassenmäßigen Überschuss von 22 800 Euro im Jahr eins und 106 000 Euro im Jahr 21“bedeute. Im „Erfolgsplan 2019“sieht Käppeler bei Erträgen von 852 300 Euro und Aufwendungen von 562 300 Euro einen Gewinn von 290 000 Euro vor. Der Vermögens- und Wirtschaftsplan umfasst Einnahmen und Ausgaben im Gesamtvolumen von etwas über 4,9 Millionen Euro. Als durchschnittliche Rendite kalkuliert die Gemeinde 1,5 bis zwei Prozent.
Die Geldströme seien dabei „ausgegliedert aus dem Kernhaushalt“, betonten Enzensberger und Käppeler. Das ermögliche „eine höhere Flexibilität bei der Verschuldung“, zugleich seien für den Eigenbetrieb „Darlehen so günstig wie für die Gemeinde“, auch eine „Steuerpflicht“falle nicht an. Dabei hätten, und auch das war den beiden wichtig, der Gemeinderat, die „politischen Entscheidungsträger die volle Mitbestimmung“.
Über viele Entscheidungen rund um den Eigenbetrieb werde in Kressbronn nach wie vor rege diskutiert, fasste Enzensberger zusammen. Seine Empfehlung an die Gäste: „Wie Sie politisch bauen, ist die große Frage, aber wenn Sie das machen, dann müssen alle voll dahinter stehen“. Der letzte Teilsatz war fürs Erinnerungsgepäck der Isnyer Stadträte bestimmt, die schon in einer der nächsten Sitzungen über den SPD-Antrag abstimmen dürften. Zeitziel der Verwaltung ist jedenfalls noch vor den Kommunalwahlen, war am Rande der Informationsfahrt zu erfahren.