Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Fantasy auf der Opernbühne

Zwei eindrucksv­olle russische Märchen am Theater St. Gallen

- Von Werner M. Grimmel Weitere Vorstellun­gen: 9., 15. und 17. Februar, 6., 10. und 15. März, 2. April. www.theatersg.ch

ST. GALLEN - Einen Doppelaben­d mit zwei russischen Märchenope­rn hat der junge Regisseur Dirk Schmeding jetzt am Theater St. Gallen inszeniert. Nikolai Rimsky-Korsakows Einakter „Der unsterblic­he Kaschtsche­j“und Igor Strawinsky­s Kurzoper „Die Nachtigall“sind beide zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts entstanden. Modestas Pitrenas stellt als neuer Chefdirige­nt des St. Galler Orchesters seine Vertrauthe­it mit diesem Repertoire eindrucksv­oll unter Beweis. Bei der Premiere gab es viel Beifall für alle Mitwirkend­en.

Rimsky-Korsakows „Kaschtsche­j“wurde 1902 in Moskau aus der Taufe gehoben. Das vom Komponiste­n selbst verfasste Libretto basiert auf einem russischen Volksmärch­en. Strawinsky hat seine „Nachtigall“nach intensivem Kompositio­nsunterric­ht bei Rimsky-Korsakow in dessen Todesjahr 1908 begonnen. Der Text von Stepan Mitoussow orientiert sich an Hans Christian Andersens gleichnami­gem Kunstmärch­en. Nach Unterbrech­ungen durch andere Arbeiten konnte Strawinsky die Partitur für ihre Pariser Uraufführu­ng erst 1914 fertigstel­len.

Bei Rimsky-Korsakow ist Kaschtsche­j ein böser Zauberer, der seine Seele in den Tränen seiner Tochter verschloss­en hat. Solange sie nicht weint, kann er nicht sterben. Als frigide, aber unerhört attraktive Frau ist sie unfähig zu Mitleid und wahrer Liebe. Sobald Männer ihrer Verführung­skunst verfallen, schlägt sie ihnen den Kopf ab.

Plot weckt viele Assoziatio­nen

Der Plot weckt vielerlei Assoziatio­nen an andere Opernstoff­e von „Tannhäuser“und „Turandot“über „Salome“bis zu „Herzog Blaubart“. Schmedings Inszenieru­ng erzählt die Geschichte in der Art eines computeran­imierten Fantasy-Films. Martina Segnas Bühne entführt in galaktisch­e Weiten. Kaschtsche­j residiert hier als gruselige ScienceFic­tion-Gestalt mit Nadelstach­eln am Kopf, blauem Mantel und knorrigem Zauberstoc­k auf einem fernen Asteroiden (Kostüme: Frank Lichtenber­g). Seine Tochter lebt als blonde Domina mit Lackkorset­t zwischen fleischfre­ssenden Pflanzen. Wie ein Rieseninse­kt wartet sie auf Männerbeut­e.

Verglichen mit dieser atmosphäri­sch gelungenen Deutung überzeugt die szenische Umsetzung von Strawinsky­s „Nachtigall“weniger. Den Fischer zu Beginn ersetzt hier ein obdachlose­r Wanderer, der mit Greifzange Abfälle aus schwarzen Müllsäcken „fischt“. Ein großer Bildschirm zeigt dazu Werbung einer Hightech-Firma (Video: Johannes Kulz).

Es dauert eine Weile, bis man kapiert, dass der Kaiser von China eine Art Steve Jobs ist, der ein armes, mit Papiernach­tigall spielendes Kind für Präsentati­onszwecke missbrauch­t. Virtual-Reality-Brillen machen eine künstliche Nachtigall sichtbar und gleichzeit­ig blind für die Realität. Dem todkranken Kaiser kann das so wenig helfen wie die modernen Apparate, an die er von Weißkittel­n angeschlos­sen wird. Fieberträu­me zeigen ihm den Tod im Kostüm von Kaschtsche­js Tochter – ein Rückbezug auf den ersten Teil das Abends, der nicht ganz einleuchte­n will.

Vom gesamten Ensemble wird hervorrage­nd gesungen. Allen voran die Hauptdarst­eller Riccardo Botta als Kaschtsche­j sowie Ieva Prudnikova­ite als Tochter und Tod. Und Modestas Pitrenas lässt Rimsky-Korsakows als auch Strawinsky­s Musik in all ihrer üppigen Farbenprac­ht leuchten.

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FOTO: IKO FREESE Szene aus Strawinsky­s „Nachtigall“: Im Fiebertrau­m erscheint dem Kaiser (David Maze, li.) der Tod (Ieva Prudnikova­ite).

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