Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Polemik und Erpressung
Eine derart polemische Rede zur Lage der Nation hat vor Donald Trump noch kein US-Präsident gehalten. Was er unter der Einheit des Landes versteht, hat er mit Worten deutlich gemacht, die an Erpressung grenzen. Der Kongress werde keine Gesetze mehr verabschieden können, sobald die Opposition ihn unter die Lupe nehme, warnt er. Es ist ein Satz, aus dem dreierlei spricht: Unsicherheit, Angst und ein Wechseln in den Wahlkampfmodus.
Seit Januar hat es Trump mit Widersachern zu tun, die ihn tatsächlich einhegen können, statt sich wie bisher auf lautstarke wie folgenlose Proteste beschränken zu müssen. Nancy Pelosi, die Präsidentin des Parlaments, ist eine Gegenspielerin, wie er sie bisher nicht kannte. Das begründet Unsicherheit, zumal der 72 Jahre alte Mann größte Probleme hat, sich der veränderten Realität anzupassen. Die Nachforschungen der Demokraten muss er genauso fürchten wie den Sonderermittler der Russlandaffäre, Robert Mueller. Zugleich darf er den Bogen nicht überspannen: Provoziert er den nächsten Regierungsstillstand, drohen ihm die Moderateren unter den Republikanern die Gefolgschaft zu verweigern.
Einstweilen sucht Trump einen Ausweg aus dem Dilemma, indem er einer festen Maxime folgt: Angriff ist die beste Verteidigung. Er schürt Emotionen, statt sich an Fakten zu halten. Migrantenkarawanen erklärt er zur akuten Bedrohung, während er in maßloser Übertreibung von einer nationalen Krise spricht. Nichts anderes als die Wahlkampfbühnen des Jahres 2020 hat er dabei im Sinn.
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