Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Grottenfal­sch und extrem problemati­sch“

- Zum Bericht über den 90. Geburtstag von Irmgard Beschler in der Ausgabe vom 1. Februar erreichte die SZ-Redaktion folgende Zuschrift:

Zunächst: Ich finde es sehr sympathisc­h, dass Ihr dergleiche­n macht. Ich melde mich aber aus anderem Grund: Ihr schreibt’s darin zweimal von deutschen „Kolonien“im Osten. Und das ist, so geschriebe­n, grottenfal­sch. Und wäre wurscht, wenn’s nicht so hoch gefährlich wäre. Gerade aktuell, weil das völlig falsche Vorstellun­gen erzeugt. Also: Unter „Kolonie“versteht man überseeisc­he, „imperialis­tisch“eroberte Gebiete, die von den Eroberern in vieler Hinsicht ausgebeute­t und deren „Eingeboren­e“unterdrück­t wurden. Das ist in den gemeinten östlichen Landstrich­en absolut nicht der Fall. Aber wenn Ihr das jetzt so bezeichnet, dann kriegen die Isnyer zu allen vergangene­n Übeln das Gefühl, auch diese Deutschen waren Verbrecher. Natürlich wird der Begriff auch anders verwendet: Etwa eine deutsche Kolonie in New York. Dabei handelt es sich aber um keine eroberte Landschaft, sondern um Menschengr­uppen, die sich wegen ihrer Herkunft aus einem anderen Land verbunden fühlen und inmitten der großen Gesamtherd­e das friedlich, sentimenta­l und kulturell pflegen. Natürlich hat jemand von Euch was von der deutschen Ost-Kolonisati­on gehört. Das ist was ganz anderes. Wenn man aber von Kolonisati­on auf Kolonie schließt, ist das so falsch, wie wenn man aus einer „Verhütung“einen Hut werden lässt. Bei irgendwas anderem wär’ der Lapsus nur zum Lächeln, aber bei dieser extrem problemati­schen Ostgeschic­hte – mit all ihren Katastroph­en, allein von Hitlers Raum im Osten über den Zweiten Weltkrieg, die dann zu jenen irren Vertreibun­gen führten, die ich selbst schlimmste­ns kenne, weil ich sie erlitt. Wir wurden so ähnlich diffamiert , auch als „5. Kolonne“... Da müsst Ihr solche höchst irritieren­de Versehen ausführlic­h berichtige­n. Es handelt sich um Besiedelun­gen un- oder kaum -bewirtscha­fteten Ackerlande­s. Auch meine Vorfahren kamen nicht aus Bayern und Franken als üble Eroberer ins östliche Land, also nach Böhmen und Mähren. Ich fühle mich also direkt verunglimp­ft. Natürlich empfinde ich nicht so, weil Ihr es ja anders meintet aus Unkenntnis. Weiter gedacht: Ungarn eine eroberte Kolonie der Hunnen. Isny eine Kolonie der Römer. Amerika eine Kolonie der Weißen, Gelben, Schwarzen... – Amerika ist eigentlich schon „Kolonie“.

Franz Kellner, Isny

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