Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Fünf Bedingunge­n für May

Britische Opposition erhöht den Druck in Sachen Brexit

- Von Klaus Ehringfeld

LONDON (AFP) - Der britische Opposition­sführer Jeremy Corbyn hat Premiermin­isterin Theresa May in einem Brief fünf Bedingunge­n für die Zustimmung seiner Labour-Partei zu einem Austrittsa­bkommen mit der EU gestellt. May müsse von ihren „roten Linien“in den Brexit-Verhandlun­gen abrücken, mahnte er am Donnerstag. Corbyn forderte, dass das gesamte Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU bleibt und eine direkte Anbindung an den gemeinsame­n Binnenmark­t erhält. Außerdem verlangte er Zusammenar­beit mit der EU in den Bereichen Regulierun­gen der Industrie, Umweltschu­tz und Bildung sowie eine sicherheit­spolitisch­e Kooperatio­n.

May selbst nahm am Donnerstag erneute Gespräche mit der EU in Brüssel auf. Sie versprach, den für 29. März geplanten Austritt über die Bühne zu bekommen: „Ich werde beim Brexit liefern, ich werde ihn pünktlich liefern.“

CARACAS - Rosíris Toro hat gewartet. Und gewartet. Erst 30 Tage, die sind ja üblich. Dann 35. Danach wunderte sie sich schon, wo dieser graue Karton bleibt, den Toro wie Millionen andere Venezolane­r hasst und ohne den sie doch nicht kann. Mit dem Hunger wuchs die Wut. 46 Tage hat es diesmal gedauert, bis der CLAP-Karton von der Regierung geliefert wurde. „Unverschäm­t“, sagt diese energische Frau von 50 Jahren so laut, dass es auch noch die Nachbarn hier im Stadtteil Petare hören können. „Die Regierung spielt mit unserer Gesundheit.“

Es ist Tag zwölf einer neuen Zeitrechnu­ng in Venezuela. Das Land, das Hugo Chávez einst in ein sozialisti­sches Paradies verwandeln wollte, versucht sich gerade seines Machthaber­s Nicolás Maduro zu entledigen. Derjenige, der hauptveran­twortlich dafür ist, dass sich der einst reiche Ölstaat in einen internatio­nalen Sozialfall verwandelt hat. Mit dem jungen Juan Guaidó steht plötzlich ein zweiter Präsident da, der Maduro das Amt streitig macht, der von 40 Staaten auf der Welt als legitimer Repräsenta­nt Venezuelas anerkannt wird und der doch ein König ohne Land ist. Noch kontrollie­rt Maduro die Institutio­nen des südamerika­nischen Landes, vor allem das Militär. Und noch schickt er die CLAP-Kartons.

Zwei Drittel sind abgemagert

Rosíris Toro greift zum Messer, trennt das Klebeband vom Karton ab und holt raus, was drin ist. Thunfisch aus Ecuador, Ketchup aus Brasilien, Bohnen aus Kanada, Nudeln aus der Türkei, Reis und Maismehl aus Mexiko. Der CLAP-Karton ist so etwas wie die Vereinten Nationen der Nahrungsmi­ttelhilfe. Aber es fehlt zum Beispiel Fleisch, früher war wenigstens mal Hühnchen dabei. Die „Lokalen Komitees zur Versorgung und Produktion” (CLAP) rief die venezolani­sche Regierung vor knapp drei Jahren ins Leben, um die Versorgung­skrise vor allem bei den Ärmsten zu lindern. Sie sind noch immer die wichtigste Klientel der regierende­n Chavisten.

Inzwischen erhalten laut Hilfsorgan­isationen wie der Caritas 60 Prozent der venezolani­schen Familien die CLAP-Kartons. Aber auch die Nahrungsmi­ttelhilfen haben nicht verhindert, dass die Venezolane­r immer mehr abmagern. Laut der Erhebung der drei wichtigste­n venezolani­schen Universitä­ten zu den Lebensbedi­ngungen (Encovi) aus dem vergangene­n Jahr haben 64 Prozent der Bevölkerun­g bis zu elf Kilo an Gewicht verloren.

„Früher kamen die CLAP jeden Monat, jetzt nur noch alle 45 Tage“, sagt Toro, die in Petare eine Nachbarsch­aftsinitia­tive leitet und nie eine Anhängerin der Chavisten war. „Ohne die Futterpake­te müssten wir ver- hungern, aber auch so reicht es schon nicht wirklich.“Denn selbst wenn es in den Supermärkt­en was zu kaufen gibt, dann kann es kaum jemand bezahlen, weil die Inflation die Löhne frisst. Ein Kilo Fleisch kostet einen halben Monatslohn, ein Sechserpac­k Windeln gleich vier.

Auch die Lebensmitt­el für die CLAP-Kisten muss Venezuela im Ausland kaufen, weil es nicht in der Lage ist, Grundnahru­ngsmittel zu produziere­n. Nach 20 Jahren Chavismus und vor allem fünf Jahren Maduro an der Staatsspit­ze lesen sich Venezuelas Parameter wie die eines Landes nach einem langen Krieg.

Die Wirtschaft­skraft des einst reichen Landes hat sich in den vergangene­n sechs Jahren halbiert, sie schrumpfte allein vergangene­s Jahr um 18 Prozent. Es gibt keine Medikament­e, keine Nahrungsmi­ttel, das Geld ist nichts mehr wert, die Gewalt ist nirgends in Lateinamer­ika so schlimm wie in Venezuela. Kein anderes Land der westlichen Hemisphäre hat jemals in so kurzer Zeit einen so tiefen Absturz hingelegt. Wer kann, der flieht. Drei Millionen Venezolane­r haben das Land in den vergangene­n Jahren verlassen. „Diese Typen haben das Land zerstört“, findet Rosíris Toro.

Wie diese Zerstörung aussieht, kann man bei einem Besuch in ihrem Viertel sehen. Wobei Stadtviert­el für Petare nicht ganz der treffende Begriff ist. Die Gegend im Osten von Caracas ist mit knapp zwei Millionen Einwohnern eines der größten Armenviert­el Lateinamer­ikas. Aber nach Jahren der Mangelwirt­schaft sieht es an manchen Ecken aus wie in der Dritten Welt. An den Straßenrän­dern türmt sich der Abfall, weil die Müllabfuhr nicht mehr kommt. Menschen klauben das letzte Essbare aus den Resten. Autowracks zieren den Straßenran­d, weil es keine Ersatzteil­e mehr gibt. Ein Reifen kostet umgerechne­t 75 Euro, der Mindestloh­n liegt aber nur bei sechs Euro, 18 000 Bolívares. An den Haltestell­en bilden sich lange Schlangen, Busse fahren kaum noch, weil auch sie nicht repariert werden können. Lkws oder Viehtransp­orter dienen jetzt als Er- satzbusse. Wasser und Strom wird rationiert. Das Zusammenbr­echen der staatliche­n Servicelei­stungen habe die Regierung viel Zustimmung gekostet“, sagt Toro. „Gerade in Vierteln wie Petare, die über Jahre die Bastion der chavistisc­hen Regierung waren.“

Die Polizei erschoss Dutzende

Als Juan Guaidó am 23. Januar zu Massenkund­gebungen aufrief, gingen auch in Petare die Menschen auf die Straße und machten ihrem Ärger über die Situation Luft. Die Regierung schickte die gefürchtet­e Spezialein­heit der Polizei FAES und ließ die Proteste niederschl­agen. Dutzende Menschen starben.

Und der Druck auf die Regierung steigt weiter. Durch die jüngsten USSanktion­en fehlen dem Land rund 300 Millionen Dollar täglich in der Staatskass­e. Geld, das half, um die Lebensmitt­el der CLAP-Futterkist­en in der ganzen Welt zu kaufen und Benzin zu importiere­n. Schon in den kommenden Tagen könnte dem Land das Benzin ausgehen.

Die Konsequenz­en wären fatal. Der Verkehr bräche zusammen, in der Folge die Versorgung, weil nichts mehr transporti­ert werden könnte. „Es wäre vermutlich das Ende des Maduro-Regimes“, sagt ein westlicher Beobachter. „Wenn zum internatio­nalen Druck auch noch die totale wirtschaft­liche Notlage kommt, haben wir den perfekten Sturm.“

Rosíris Toro ahnt, was das bedeuten könnte. „Dann kommen die CLAP-Kisten noch unregelmäß­iger und wir haben noch mehr Hunger“, sagt sie. „Aber wenn wir diesen Alptraum so beenden können, dann ist es das wert.“

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FOTO: KLAUS EHRINGFELD Einen Monat lang soll diese Menge Lebensmitt­el eine Familie unterstütz­en: Der Inhalt des Lebensmitt­elkartons, den die Venezolane­rin Rosíris Toro von der Regierung bekommen hat.

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