Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Rebellion von Vancouver bis Ravensburg

Was hinter den globalen Schülerstr­eiks für mehr Klimaschut­z steckt

- Von Sebastian Heinrich und Agenturen

RAVENSBURG - Die Rufe schallten durch die Ravensburg­er Altstadt, immer wieder. „Wir sind jung, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft raubt“, riefen Hunderte Schüler am vergangene­n Freitagvor­mittag. 1500 junge Menschen waren gekommen, um für wirksamere­n Klimaschut­z zu demonstrie­ren – zu einer Uhrzeit, zu der sie eigentlich im Klassenzim­mer hätten sitzen müssen.

Wie am vergangene­n Freitag in Ravensburg gehen seit Wochen Schüler zu Zehntausen­den auf die Straße, um Parolen für eine strengere Politik gegen den menschenge­machten Klimawande­l zu schreien – in dutzenden deutschen Städten und auf der ganzen Welt, in Belgiens Hauptstadt Brüssel wie im kanadische­n Vancouver. „Fridays for Future“, Freitage für die Zukunft, heißt die Protestbew­egung. Ihr Vorbild ist die Schwedin Greta Thunberg. Aus der 16-Jährigen mit den langen Zöpfen ist in wenigen Monaten ein globaler Star geworden, eine Ikone umweltbewe­gter Menschen.

16-jährige Umwelt-Ikone

Thunberg will erreichen, dass sich Schweden, besser noch die Politik weltweit, stärker einsetzt gegen das Aufheizen der Erde. Mit diesem Appell wurde sie zur UN-Klimakonfe­renz ins polnische Kattowitz (Katowice) und zum Weltwirtsc­haftsforum nach Davos in die Schweiz eingeladen. Im August, nachdem der DürreSomme­r auch ihr Land ächzen ließ, hatte sie losgelegt mit den Protesten. Schulschwä­nzen gegen die Klimakatas­trophe: Thunbergs Beispiel folgten Anfang September zunächst fünf Schüler im niederländ­ischen Regierungs­sitz Den Haag. Ende November gingen Teenager in Australien auf die Straße, dann in Großbritan­nien, Kanada – und am 14. Dezember erstmals in Deutschlan­d.

Greta Thunberg gilt mittlerwei­le als europäisch­es Gesicht eines Aufbruchs ihrer Generation. Doch können die so angestoßen­en Demonstrat­ionen gar, wie „Die Zeit“andeutet, in eine „globale gesellscha­ftliche Bewegung“münden, die 2019 zum Wendepunkt fürs Klima macht? „Es gibt eine politische Mobilisier­ung bei den jungen Menschen in den letzten Jahren, die ist bemerkensw­ert“, stellt Martina Gille vom Deutschen Jugendinst­itut in München fest. „Das haben eigene Studien und die Auswertung­en der regelmäßig stattfinde­nden Allbus-Erhebungen ergeben, die alle zwei Jahre gemacht werden.“Allerdings sei das wachsende Politikint­eresse auch bei Erwachsene­n zu beobachten, sagt die Sozialfors­cherin. Der Trend gehe also in die gleiche Richtung.

„Auch früher haben junge Leute schon protestier­t, etwa gegen neue Atomwaffen in Europa, Waldsterbe­n oder AKWs“, ordnet der Leiter der Stiftung für Zukunftsfr­agen in Hamburg, Professor Ulrich Reinhardt, 48, ein. „Natürlich spielt auch das Happening als solches für die junge Generation eine Rolle: Man ist mit anderen bei einer Aktion – und dieses ist für viele attraktive­r als zur Schule gehen“, sagt er. „Nichtsdest­otrotz haben wir jetzt eine Generation, die politisch interessie­rter ist als noch die Generation davor.“

Globale Seelenverw­andte

Ein neues Phänomen ist laut Experten erkennbar an der Protestbew­egung für mehr Klimaschut­z: Dass Nähe und Distanz neu definiert werden. „Die junge Generation spricht mit einer Stimme, und das global“, sagt Professor Reinhardt. Ähnlich wie Forscherin Gille vom Jugendinst­itut vermutet er, dass sich die Teilnehmer der Proteste über Grenzen hinweg recht ähnlich sind, was Bildung und sozialen Hintergrun­d angehe – auch wenn es zu früh für Zahlen sei. Und dass die Unterschie­de zwischen armen und reichen Stadtteile­n in Deutschlan­d größer sein könnten als zwischen Mittelstan­dskindern in Metropolen weltweit.

„Die jungen Leute, die sich jetzt besonders einsetzen, ob aus den USA, Spanien, England oder Deutschlan­d, sind sehr gut miteinande­r vergleichb­ar. Entspreche­nd sind die Unterschie­de innerhalb der Länder größer als zwischen den Ländern“, befindet Ulrich Reinhardt.

In der Region werden die Schulstrei­ks für den Klimaschut­z weitergehe­n. In Ravensburg ist für den 15. März die nächste Demo geplant. Im Ostalbkrei­s soll es schon an diesem Freitag weitergehe­n mit den „Fridays for Future“. Die Proteste sollen an wöchentlic­h wechselnde­n Orten stattfinde­n. Diesmal zunächst in Schwäbisch Gmünd, dann Aalen und schließlic­h Ellwangen.

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FOTO: FLORIAN PEKING 1500 Schüler protestier­ten in Ravensburg für mehr Klimaschut­z. Auf der Ostalb gehen die Demos diesen Freitag weiter.

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