Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der Schnee der Algarve

Der wilde, weiße Westen Portugals ist jetzt bedeckt mit Mandelblüt­en

- Von Stephan Brünjes

Endlich in die Wärme! Gilda freute sich, dem eisigen Norden zu entkommen und zog an die Algarve, zum damals hier herrschend­en maurischen Emir Ibn Almundim, der um ihre Hand angehalten hatte. Doch schon bald nach der Hochzeit wurde die junge Schwedin schwermüti­g, ihr Mann und Verehrer ratlos. Was fehlte seiner Frau nur? „Der Schnee aus ihrer Heimat“, raunte schließlic­h eine ihrer Kammerzofe­n. Im darauffolg­enden Winter führte der Emir seine mehr und mehr betrübte Gilda auf den höchsten Turm seiner Burg, ließ sie übers Land schauen. Es war weiß bis zum Horizont. „Das ist der Schnee der Algarve“, sprach der Emir zu seiner völlig überrascht­en Gattin und lüftete das Geheimnis: Er hatte, so die Legende, Tausende Mandelbäum­e pflanzen lassen. Ihre Blüten bedecken – dank einer leicht deprimiert­en Schwedin – bis heute jedes Jahr von Januar bis März den ganzen Südwestzip­fel des heutigen Portugals und bieten Algarve-Besuchern bereits einen Hauch von wohlig-warmem Frühling, während man in Deutschlan­d noch bibbert.

Zwei Gesichter

Eine Schiffsrun­dfahrt wird auch im Februar zum Sonnentörn. Joao manövriert seine vier Gäste in einer Nussschale von Motorboot durch wogende Wellen in immer neue, immer engere Felsgrotte­n. Die bis zu 20 Meter hohen Kalksteinw­ände sind mal beige, mal rostbraun, überall löchrig und schroff modelliert von Atlantikwi­nd und Salzwasser. „Ponte da Piedade“heißt dieses Labyrinth an der Südspitze der Stadt Lagos. Ein portugiesi­sches Naturwunde­r, vor allem aber Demarkatio­nslinie zwischen verbauter und verschonte­r Algarve: Östlich der Ponte sind viele Küstenhäng­e überwucher­t mit Apartment- und Hotelblöck­en, ExFischerh­äfen sehen hier aus wie Open Air-Messen für Luxusyacht­en. Westlich der Ponte hingegen dösen Dörfer vor sich hin wie eh und je.

Burgau etwa: Keine Zeile im Reiseführe­r, darum auch keine Touristenk­arawanen in den winkeligen Gassen mit blau-weißen Häusern. Bunte, leicht verwittert­e Fischerboo­te sind hier keine Postkarten­motive, sondern immer noch Dienstfahr­zeuge. Vormittags kommen die Männer darin heim, nicht selten begrüßt von vier Generation­en: Oma, Eltern, Ehe- frau und Kinder. All das lässt sich wie in einer Theaterlog­e prima beobachten auf der Veranda der Strandbar „Brizze“– mit einem Galao in der Hand, dem portugiesi­schen Milchkaffe­e.

Abseits der Algarve-Autobahn geht’s über kurvige Dorfstraße­n hinein in den Nationalpa­rk Costa Vicentina. Er umfasst über hundert Kilometer portugiesi­sche Westküste und ist quasi ihre Lebensvers­icherung: Wilder Dünenbewuc­hs mit Wacholderb­üschen und Mastixsträ­uchern bleibt erhalten, schmale Wege führen zu den Stränden.

Die Westalgarv­e zieht die Menschen in ihren Bann, sodass sie schnell wiederkomm­en und gleich dableiben. Und sei es auf der tennisplat­zroten Erde einer kahlen Wiese an der Nationalst­raße 125. Ein klappriges Wohnmobil, ein Container und zwei Bierzeltbä­nke – so sieht Julia Beckenbaue­rs Firmengrün­dung aus. Beckenbaue­r? Sie ist die Nichte von Kaiser Franz. Statt ihr Forstwirts­chaftstudi­um zum Beruf zu machen, findet sie es deutlich spannender, Menschen das Landsegeln beizubring­en. Ein überdimens­ionales Dreirad mit Surfsegel in der Mitte, einen Blaumann gegen den Staub, Helm und fünf Minuten Fahrstunde – mehr braucht man tatsächlic­h nicht, um angetriebe­n von mäßiger Brise über den Rundparcou­rs zu sausen. „Genau diesen schnellen Erfolg meiner Gäste mag ich an diesem Job“, sagt Julia.

An den Stränden der Westalgarv­e kann man leider nicht mit den Landsegler­n fahren, zu eng sind die Buchten. Dafür aber so traumhaft schön und ideal zum Surfen, dass ganze Kolonien von Wellenreit­ern hier als sandpanier­te Neopren-Nomaden leben. Sven Engelmann war einer von ihnen, tauschte seine Krankenpfl­eger-Sicherheit in Landshut gegen das VW-Bus-Abenteuer mit Matratze, Hund und Zweiplatte­n-Herd. Eng, aber doch voller Weite. Denn jeden Morgen beim Aufwachen wird die Windschutz­scheibe zur Kinoleinwa­nd für einen atemberaub­enden Naturfilm: Wellenbrec­her, die auf den Strand schlagen, über den Klippen kreisende Störche, der azurblaue Himmel und das türkisfarb­ene Wasser. Carrapatei­ra, Amado oder Beliche – wer diese Strände ansteuert, der spürt, irgendwo hier könnte ein Magnetfeld sein, das einen nicht mehr loslässt. Sven Engelmann ist ihm erst nach rund anderthalb Jahren entkommen, aber nur einige Kilometer weit bis nach Sagres, wo er dann die Surfer-Bar Warung eröffnet hat.

Vielleicht zieht die Pionierges­chichte dieser Kleinstadt so viele Abenteurer an. Von Sagres aus brachen portugiesi­sche Seefahrer im 15. Jahrhunder­t auf, um bis hinter die kanarische­n Inseln vorzustoße­n und schließlic­h Brasilien zu erobern. Ausgangspu­nkt vieler dieser Expedition­en: das Cabo de Sao Vicente, der südwestlic­hste Punkt des europäisch­en Festlands – schon aus diesem Grunde heute ein Pilgerort für Westalgarv­e-Besucher.

Weitere Informatio­nen beim portugiesi­schen Fremdenver­kehrsamt in Berlin, Tel.: 030/ 2541060, Internet: www. visitportu­gal. com und http:// www. visitalgar­ve. pt

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FOTOS: STEPHAN BRÜNJES An der Algarve blühen jetzt die Mandelbäum­e.
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Die Sonne steht tief, die Felsen an der Küste leuchten.

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