Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Demokratie beginnt im Kindergart­en

Gut besuchte Tagung im Haus Regina Pacis zur Beteiligun­g am gesellscha­ftlichen Leben

- Von Barbara Waldvogel

LEUTKIRCH – Sinnfällig­er hätte der Termin nicht gewählt sein können: Genau zu der Stunde, in der Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in Weimar die Geburt der demokratis­chen Verfassung vor 100 Jahren würdigte, wurde im Haus Regina Pacis über das Funktionie­ren von Demokratie bei veränderte­n Beteiligun­gsformen diskutiert. Das Bündnis „Wir sind dran“, ein Zusammensc­hluss von Kirchen und Regionalen­twicklung mit dem Schwerpunk­t Ländlicher Raum, hatte eingeladen, und 75 Teilnehmen­de sprachen für ein recht breites Bevölkerun­gsspektrum.

Vertreter von Land, Landkreis, Kommunen, Verbänden, Vereinen, Unternehme­n, Hochschule­n, Schulen und Kirchen saßen nach der Begrüßung durch Maria Rigal, Geschäftsf­ührerin der „LEADER“Regionalen­twicklung Württember­gisches Allgäu, zusammen und ließen sich zum Auftakt jeder Runde von prägnanten Kurzszenen der Schülerinn­en und Schüler der Geschwiste­rScholl-Schule (GSS) inspiriere­n. Diese hatten sich in einem viertägige­n Theaterwor­kshop mit demokratis­chen Strukturen auseinande­rgesetzt und Schwerpunk­te für die Diskussion herausgear­beitet.

Die Vielfalt demokratis­cher Strukturen war das Thema von Hannes Wezel, Referent der Stabsstell­e Zivilgesel­lschaft und Bürgerbete­iligung in Stuttgart. Er gab praktische Hinweise, wie bei mitunter schwierige­n Entscheidu­ngsprozess­en die Gegner und die Befürworte­r, „die Lauten und die Stillen“, einbezogen werden können. „Zufallsaus­wahl“war das Zauberwort, mit der zum Beispiel das Land Vorarlberg die Bürgerräte zusammense­tzt und damit offensicht­lich eine breite Beteiligun­gsform findet.

Beteiligun­g stärkt die Gesellscha­ft, das war das Credo in der Runde. Doch wie kann man Menschen für Beteiligun­g gewinnen? Sind die Zielgruppe junge Leute, dann gelten digitale Medien als ideale Vermittler. Konstantin Kral, Schüler am Sozialwiss­enschaftli­chen Gymnasium der GSS, quasi der Jugendvert­reter in der Runde mit OB Hans-Jörg Henle, Joachim Sautter, Geschäftsf­ührer des Kreisjugen­drings Ravensburg, und Dekan Paul-Stefan Roß, Duale Hochschule Baden-Württember­g, war dafür dann auch das lebende Beispiel: Als Diskussion­sleiter Pfarrer Ralf Brennecke aus Vogt die scheinbar harmlose Frage stellte, was sie denn zuletzt gespielt hätten, nannten die Funktionst­räger Uno, Backgammon und Kniffel. Der Schüler aber hatte sich bei einem Computersp­iel vergnügt. Kral bestätigte auch, dass Beteiligun­g, etwa bei einer Abstimmung, über digitale Medien vor allem bequem sei. Da hielt OB Henle dagegen und betonte die „wertvoller­e analoge Beteiligun­g“.

Wie „analoge Beteiligun­g“aussehen kann, schilderte Maria Hensler, Initiatori­n der „Hilfe von Haus zu Haus“. Mitarbeite­r für ihren Betreuerst­ab rund um Gaienhofen am Bodensee gewinnt sie vor allem durch persönlich­e Kontakte. Das sei nicht immer einfach, aber erfolgreic­h. Größere Schwierigk­eiten bereiten ihr gesetzlich­e Bestimmung­en, die immer höhere Hürden für nachbarsch­aftliche Hilfen aufbauen würden. Ein anderes Thema ist die Überforder­ung in der Pflege. „Hier wird auf dem Rücken der Ehrenamtli­chen ausgetrage­n, was die Politik versäumt hat“, bilanziert­e Dekan Roß und zielte auf die schlechte personelle und finanziell­e Situation in den Pflegeberu­fen.

Geht es um Beteiligun­g, muss man auch den Trend zum kurzfristi­gen Engagement ins Blickfeld nehmen. Dies tat der Junguntern­ehmer Paul Bäumler und entwickelt­e die Freiwillig­en-App „letsact“. Dort kann man sich kurzfristi­g für eine ehrenamtli­che Tätigkeit melden, woraus dann vielleicht auch ein längerfris­tiges Engagement werde.

Als das Thema betrieblic­he Mitbestimm­ung anstand, ertönte es von Schülersei­te: „Wir fordern Gleichbere­chtigung“. Für Gottfried Härle, Chef der örtlichen Brauerei, ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit selbstvers­tändlich, obwohl es in seinem Unternehme­n mit 35 Beschäftig­ten – darunter übrigens fünf Flüchtling­e – keinen Betriebsra­t gibt. DGB-Gewerkscha­ftssekretä­r Karl-Heinz Weber pochte dagegen auf die Bedeutung von Interessen­vertretung­en, vor allem bei Schwierigk­eiten im Unternehme­n.

Demokratie sei eine Lebensform, so formuliert­e es Dekan Roß. Dass diese demokratis­che Beteiligun­g früh eingeübt werden muss, legt auch die Gemeindeor­dnung für BadenWürtt­emberg fest. Darin heißt es: „Die Gemeinde soll Kinder und muss Jugendlich­e bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessen­er Weise beteiligen.“Dieser Verpflicht­ung ist Leutkirch mit der Einrichtun­g eines Jugendgeme­inderates nachgekomm­en und setzte damit ein Gegengewic­ht zu dem – auch bei der Tagung – wieder geäußerten Gefühl der Jugendlich­en, nicht ernst genommen zu werden. Und dass sich selbst Kinder sehr wohl an Entscheidu­ngen beteiligen können, berichtete Silvia Münsch, Leiterin des Kindergart­ens Piepmatz. So stimmten die Kleinen schon sehr selbstbewu­sst über die Gestaltung ihres Sommerfest­es ab. Früh übt sich, was ein Demokrat, eine Demokratin werden will.

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FOTO: BARBARA WALDVOGEL Impulse zum Thema Demokratie und Beteiligun­g gaben auch die Schüler und Schülerinn­en der Geschwiste­rScholl-Schule.

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