Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Demokratie beginnt im Kindergarten
Gut besuchte Tagung im Haus Regina Pacis zur Beteiligung am gesellschaftlichen Leben
LEUTKIRCH – Sinnfälliger hätte der Termin nicht gewählt sein können: Genau zu der Stunde, in der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Weimar die Geburt der demokratischen Verfassung vor 100 Jahren würdigte, wurde im Haus Regina Pacis über das Funktionieren von Demokratie bei veränderten Beteiligungsformen diskutiert. Das Bündnis „Wir sind dran“, ein Zusammenschluss von Kirchen und Regionalentwicklung mit dem Schwerpunkt Ländlicher Raum, hatte eingeladen, und 75 Teilnehmende sprachen für ein recht breites Bevölkerungsspektrum.
Vertreter von Land, Landkreis, Kommunen, Verbänden, Vereinen, Unternehmen, Hochschulen, Schulen und Kirchen saßen nach der Begrüßung durch Maria Rigal, Geschäftsführerin der „LEADER“Regionalentwicklung Württembergisches Allgäu, zusammen und ließen sich zum Auftakt jeder Runde von prägnanten Kurzszenen der Schülerinnen und Schüler der GeschwisterScholl-Schule (GSS) inspirieren. Diese hatten sich in einem viertägigen Theaterworkshop mit demokratischen Strukturen auseinandergesetzt und Schwerpunkte für die Diskussion herausgearbeitet.
Die Vielfalt demokratischer Strukturen war das Thema von Hannes Wezel, Referent der Stabsstelle Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung in Stuttgart. Er gab praktische Hinweise, wie bei mitunter schwierigen Entscheidungsprozessen die Gegner und die Befürworter, „die Lauten und die Stillen“, einbezogen werden können. „Zufallsauswahl“war das Zauberwort, mit der zum Beispiel das Land Vorarlberg die Bürgerräte zusammensetzt und damit offensichtlich eine breite Beteiligungsform findet.
Beteiligung stärkt die Gesellschaft, das war das Credo in der Runde. Doch wie kann man Menschen für Beteiligung gewinnen? Sind die Zielgruppe junge Leute, dann gelten digitale Medien als ideale Vermittler. Konstantin Kral, Schüler am Sozialwissenschaftlichen Gymnasium der GSS, quasi der Jugendvertreter in der Runde mit OB Hans-Jörg Henle, Joachim Sautter, Geschäftsführer des Kreisjugendrings Ravensburg, und Dekan Paul-Stefan Roß, Duale Hochschule Baden-Württemberg, war dafür dann auch das lebende Beispiel: Als Diskussionsleiter Pfarrer Ralf Brennecke aus Vogt die scheinbar harmlose Frage stellte, was sie denn zuletzt gespielt hätten, nannten die Funktionsträger Uno, Backgammon und Kniffel. Der Schüler aber hatte sich bei einem Computerspiel vergnügt. Kral bestätigte auch, dass Beteiligung, etwa bei einer Abstimmung, über digitale Medien vor allem bequem sei. Da hielt OB Henle dagegen und betonte die „wertvollere analoge Beteiligung“.
Wie „analoge Beteiligung“aussehen kann, schilderte Maria Hensler, Initiatorin der „Hilfe von Haus zu Haus“. Mitarbeiter für ihren Betreuerstab rund um Gaienhofen am Bodensee gewinnt sie vor allem durch persönliche Kontakte. Das sei nicht immer einfach, aber erfolgreich. Größere Schwierigkeiten bereiten ihr gesetzliche Bestimmungen, die immer höhere Hürden für nachbarschaftliche Hilfen aufbauen würden. Ein anderes Thema ist die Überforderung in der Pflege. „Hier wird auf dem Rücken der Ehrenamtlichen ausgetragen, was die Politik versäumt hat“, bilanzierte Dekan Roß und zielte auf die schlechte personelle und finanzielle Situation in den Pflegeberufen.
Geht es um Beteiligung, muss man auch den Trend zum kurzfristigen Engagement ins Blickfeld nehmen. Dies tat der Jungunternehmer Paul Bäumler und entwickelte die Freiwilligen-App „letsact“. Dort kann man sich kurzfristig für eine ehrenamtliche Tätigkeit melden, woraus dann vielleicht auch ein längerfristiges Engagement werde.
Als das Thema betriebliche Mitbestimmung anstand, ertönte es von Schülerseite: „Wir fordern Gleichberechtigung“. Für Gottfried Härle, Chef der örtlichen Brauerei, ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit selbstverständlich, obwohl es in seinem Unternehmen mit 35 Beschäftigten – darunter übrigens fünf Flüchtlinge – keinen Betriebsrat gibt. DGB-Gewerkschaftssekretär Karl-Heinz Weber pochte dagegen auf die Bedeutung von Interessenvertretungen, vor allem bei Schwierigkeiten im Unternehmen.
Demokratie sei eine Lebensform, so formulierte es Dekan Roß. Dass diese demokratische Beteiligung früh eingeübt werden muss, legt auch die Gemeindeordnung für BadenWürttemberg fest. Darin heißt es: „Die Gemeinde soll Kinder und muss Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen.“Dieser Verpflichtung ist Leutkirch mit der Einrichtung eines Jugendgemeinderates nachgekommen und setzte damit ein Gegengewicht zu dem – auch bei der Tagung – wieder geäußerten Gefühl der Jugendlichen, nicht ernst genommen zu werden. Und dass sich selbst Kinder sehr wohl an Entscheidungen beteiligen können, berichtete Silvia Münsch, Leiterin des Kindergartens Piepmatz. So stimmten die Kleinen schon sehr selbstbewusst über die Gestaltung ihres Sommerfestes ab. Früh übt sich, was ein Demokrat, eine Demokratin werden will.