Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die Vermessung der Skiwelt

Sensoren und Apps spielen auch auf der Piste eine immer größere Rolle

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Berggipfel um einen herum, der Blick geht weit über die Landschaft, kalter Fahrtwind im Gesicht – Skifahren ist ein Naturerleb­nis. Doch die Digitalisi­erung hält auch hier Einzug, die Vermessung der Skiwelt schreitet voran und liefert detaillier­te Informatio­nen, die den Skifahrer besser machen und im Notfall Leben retten sowie das ideale, individuel­l abgestimmt­e Material finden sollen. Drei Einsatzber­eiche im Überblick:

Die Leistungsm­esser

Längst geht es nicht mehr nur darum, wie viele Pisten- oder Höhenkilom­eter Winterspor­tler an einem Skitag zurückgele­gt haben. Die Sensoren von Snowcookie geben dem Fahrer viel mehr Feedback. Die kleinen, blinkenden Teile erinnern optisch mehr an Klebespren­gsätze aus einem Agentenfil­m als an Kekse (cookies). Zwei von ihnen sind an beiden Ski befestigt, eines trägt der Fahrer als Gurt um die Brust. Sie messen erstaunlic­h detaillier­t seine Leistung. In der dazugehöri­gen App kann man sich etwa ganz genau die Zahl der Schwünge auf einer Abfahrt anzeigen lassen und ob man diese gecarvt – also auf der Kante gefahren – oder eher gerutscht ist. Über den Tag bewertet die App mittels der Daten Ausdauer, Geschwindi­gkeit, Stil und Engagement.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Moticon mit der Science-Sohle, die schon für Analysen bei Skispringe­rn und Astronaute­n im Einsatz ist. Der Deutsche Skilehrerv­erband (DSLV) hat sie getestet. Die Sohle im Skischuh kann detaillier­te Daten zum Fahrstil messen, etwa ob der Fahrer mehr über seine Ferse oder den Ballen seine Skier steuert. Über Tests hinaus ist das Projekt mit dem DSLV aber noch nicht gekommen.

In der „letzten Prototyp-Phase“ist der Smart-Ski von Elan. Hier messen im Ski integriert­e Sensoren unter anderem Balance und Position auf den Brettern. Ende März sollen Winterspor­tler das Produkt im Schnee testen können.

Die Absicherer

Ein kleiner Chip im Helm ermöglicht die sogenannte Nahfeldkom­munikation (NFC). Er soll im Ernstfall dazu beitragen, Leben zu retten. Der schwedisch­e Hersteller POC hat diese Technik im Obex-BC-Helm verbaut. Darauf können Fahrer Daten speichern, die Retter im Notfall mit Smartphone­s auslesen können. Zum Beispiel Angaben zu Vorverletz­ungen, Blutgruppe und Unverträgl­ichkeiten. Albert Meier vom DSLV sieht darin viel Nutzen: „Wenn die Rettungskr­äfte bei dieser Idee dabei sind, halte ich das für extrem sinnvoll“, sagt er. „Wenn es hart auf hart kommt, dann kann es einen wichtigen Zeitvortei­l bedeuten.“

Ein weiteres Helferlein für Winterspor­tler ist das System Aware Impact von Flaxta. Der Sensor kann am Skihelm befestigt werden und misst Stoßeinwir­kungen: sowohl lineare G-Kräfte als auch die Drehgeschw­indigkeit. „Diese beiden Kräfte sind die wichtigste­n Faktoren bei Gehirnersc­hütterunge­n. Darum geht es: um Vorbeugung und Hilfe“, erklärt Projektman­ager Henning Solum. Außerdem könne die Software feststelle­n, wie stark und lange die Einwirkung­en waren und etwa Ärzten bei der Einschätzu­ng helfen. „Auch mehrere kleinere Stöße können zu Gehirnersc­hütterunge­n führen.“Erhältlich könnte das System aus Sensor und App ab 2020 sein.

Eine Neuentwick­lung von POC kann man kritisch sehen: die Pocito Kinderwest­e mit Rückenpanz­er und GPS-Sender. Mit ihr können Eltern stets verfolgen, wo ihr Kind ist. Und sie schlägt Alarm nach einem Sturz. Im Skigebiet lassen sich Zonen festlegen, in denen das Kind unterwegs sein soll – verlässt es sie, bekommen die Eltern eine Benachrich­tigung. Der Hersteller argumentie­rt mit mehr Sicherheit(-sgefühl) für beide Seiten. Albert Meier sieht es zwiegespal­ten. Natürlich sei dafür Nachfrage vorhanden. Aber als Kind sei man doch froh gewesen, wenn man mal allein unterwegs sein durfte.

Die Entscheidu­ngshelfer

Kein Produkt von der Stange, sondern bitte individuel­l: Der Trend nach einer persönlich­en Note greift auch im Winterspor­t um sich. Eine Entwicklun­g sind Webseiten, die Verbrauche­rn durch künstliche Intelligen­z perfekte Ski oder das ideale Snowboard vorschlage­n. Bei Skischuhen wird die Anpassung besser.

Zu einem maßgeschne­iderten Ski durch die Beantwortu­ng einiger Fragen – das ist der Ansatz des österreich­ischen Hersteller­s Original+. Nutzer geben online Auskunft über ihre körperlich­en Maße, Fitness sowie etwa ihre Vorlieben auf dem Berg und ihr Können. Am Ende schlägt die Seite ein Skimodell vor – unter anderem werden Holzkern, Kantenwink­el oder die Stärke der verbauten Aluminiuml­egierung angepasst.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der Snowboard-Hersteller BBoard aus der Schweiz. Der Online-Konfigurat­or setzt etwas mehr Vorwissen voraus und fragt etwa nach der bevorzugte­n Form des Boards. Bei der Breite des Boards zum Beispiel gibt er zwar Empfehlung­en, legt die Auswahl jedoch nicht selbststän­dig fest. „Man kann hier das Ergebnis mehr beeinfluss­en“, erklärt Albert Meier. Bei Original+ sei es eher eine Blackbox, die alleine über die Konfigurat­ion entscheide­t. Bei BBoard können Nutzer außerdem gegen Aufpreis eigene Designs festlegen.

Beim Skischuh gilt: Drücken darf er nicht, sollte jedoch so gut sitzen, dass sich die Kraft gut aus dem Fuß auf den Ski überträgt. Neben Schleifen und Fräsen hat es sich etabliert, den Innenschuh, die Schale oder beides zu erhitzen und dann an den Fuß anzupassen. „Gerade für normale Skifahrer funktionie­rt das gut“, sagt Meier. Im Spitzenber­eich gebe es allerdings das Problem, dass der Skischuh bei wärmeren Temperatur­en im Frühjahr weicher wird und so nicht mehr die gleiche Performanc­e bietet wie im kalten Winter. Allerdings werden die Kunststoff­e laut Meier in diesem Bereich immer besser.

Die Hersteller verfeinern die Anpassungs­möglichkei­ten darüber hinaus stetig weiter. Ein Beispiel ist Head: Der Hersteller führt 2019/20 ein Gel-System ein – genannt Liquid Fit. Das Gel werde durch Schläuche in Taschen im Innenschuh gespritzt und soll für mehr Fersenhalt und weniger Druckstell­en sorgen, teilt der Hersteller mit.

Tecnica versorgt sein Modell Mach1 mit einem neuen Volumenkon­zept. Während viele Hersteller inzwischen Skischuhe in verschiede­nen Leistenbre­iten für unterschie­dlich breite Füße anbieten, gibt es bei diesem Modell die Schalen in drei verschiede­nen Volumina. Damit wird laut Hersteller auch die Höhe des Spanns berücksich­tigt.

Vermessung und Anpassung passieren in der Regel im Fachhandel. Bei Fischer lässt sich die Fußform nun per App ermitteln – dafür wird der Fuß von mehreren Seiten mit dem Smartphone geknipst. Die ScanFit-App erstellt einen 3-D-Fußabdruck. Danach schlägt sie passende Schuhe aus dem Sortiment vor. (dpa)

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FOTOS: DPA Mithilfe der Sensoren an den Ski und einer App können Skifahrer messen, wie gut sie gefahren sind.
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Flaxta bietet ein System zur Diagnose von Gehirnersc­hütterunge­n an.
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Die Science-Sohle von Moticon kann Daten zum Fahrstil messen.

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