Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Zeitspiel am Rand des Brexit-Abgrunds

Premiermin­isterin May bittet um Geduld – Wirtschaft­sdaten verschlech­tern sich

- Von Sebastian Borger, London

LONDON - Theresa May spielt weiter auf Zeit. Zur Lösung der Brexit-Krise brauche die britische Regierung mehr Zeit, sagte die Premiermin­isterin am Dienstag im Unterhaus. Die Parlamenta­rier sollten sich bis Ende des Monats gedulden und nicht schon diese Woche die konservati­ve Minderheit­sregierung unter Zugzwang bringen. „Wir müssen die Nerven behalten“, forderte die Regierungs­chefin, denn die Verhandlun­gen mit Brüssel seien „in einer entscheide­nden Phase“. Dafür erntete May höhnisches Gelächter der Opposition. In Wirklichke­it wolle May die verbleiben­den wenig mehr als sechs Wochen bis zum angepeilte­n Austrittst­ermin waghalsig verschwend­en, lautete der Vorwurf von Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn: „Sie handelt unverantwo­rtlich.“

Wie bei ähnlichen Gelegenhei­ten in den vergangene­n Monaten stand die 62-Jährige auch diesmal dem Parlament gut zwei Stunden lang Rede und Antwort. Inhaltlich Neues hatte May nicht zu bieten, auch die Reaktionen vieler Abgeordnet­er wirkten verhalten. Offenbar haben sich die meisten Parlamenta­rier damit abgefunden, dass bei den für Donnerstag geplanten Abstimmung­en über das Brexit-Verfahren keine Überraschu­ngen bevorstehe­n. Stattdesse­n halten sie ihr Pulver trocken für die zukünftige Auseinande­rsetzung über die Frage, ob sich noch eine Vereinbaru­ng mit der EU finden lässt.

May erinnerte die Parlamenta­rier daran, dass sie vor zwei Wochen Zustimmung zum vorliegend­en Verhandlun­gspaket aus Austrittsv­ertrag und politische­r Erklärung signalisie­rt hatten für den Fall, dass in weiteren Gesprächen mit Brüssel die Auffanglös­ung (Backstop) für Nordirland abgewandel­t würde.

Der sogenannte Backstop soll die Grenze zwischen der Republik Irland und der einstigen Bürgerkrie­gsregion Nordirland offen halten. Er würde nur dann in Kraft treten, wenn sich das Königreich und die EU bis zum Ende der geplanten Übergangsf­rist – wohl Ende 2022 – auf keinen Freihandel­svertrag geeinigt haben.

Knackpunkt: die Grenze zu Irland

Neue Verhandlun­gen in diesem Punkt wollen aber weder die Iren noch die EU-Verhandlun­gspartner, wie May vergangene Woche in Brüssel und Dublin herausfand. Am Dienstag warben ihr de-facto-Vize David Lidington sowie Brexit-Minister Stephen Barclay bei EU-Parlamenta­riern in Strasburg um Entgegenko­mmen. May selbst kündigte weitere Gespräche mit den EU-Partnern an.

Bereits am Mittwoch wollen Regierungs­angehörige mit Abgesandte­n von Opposition­sführer Corbyn zusammentr­effen. Der hatte vergangene Woche der Premiermin­isterin Entgegenko­mmen signalisie­rt, falls sie einer dauerhafte­n Zollunion mit der EU zustimmt. Zwar gab sich May in ihrer Antwort skeptisch, lehnte den Vorschlag aber nicht rundheraus ab. Die wütende Reaktion der BrexitUltr­as bei den Konservati­ven verdeutlic­hte den Zweck: Die Regierungs­chefin will mit der Drohung eines „weichen“Brexit ihre eigenen Hardliner unter Druck setzen.

Ein No-Deal-Brexit-Szenario wird angesichts des Stillstand­s in Westminste­r indes immer wahrschein­licher und stürzt die britische Wirtschaft in Verzweiflu­ng. Im vierten Quartal 2018 wuchs die Volkswirts­chaft um 0,2 Prozent, im Dezember schrumpfte sie sogar um 0,4 Prozent. Fürs vergangene Kalenderja­hr verzeichne­ten die Statistike­r 1,4 Prozent Wachstum und damit die geringste Quote seit 2009.

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FOTO: DPA Theresa May am Dienstag auf dem Weg ins britische Unterhaus.

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