Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die Angst ums Kind

Eltern sollten sich der Situation stellen und dem Nachwuchs mehr zutrauen

- Von Bernadette Winter, dpa

Die kleine Julia trabt vergnügt zu ihren Freundinne­n zum Spielenach­mittag. Endlich Zeit für einen gemütliche­n Kaffee. Doch was ist das? In der Ferne schrillen Sirenen. Kalter Angstschwe­iß bricht aus. „Das ist garantiert meine Kleine“, könnten sich Eltern jetzt denken. Ist das noch normal, diese ständige Sorge ums Kind?

„Sie entsteht meist dadurch, dass man schon von einem ähnlichen Fall gehört hat“, sagt Christina HungerScho­ppe. „Es gibt also einen guten Grund, sich um die Kinder zu sorgen“, erklärt die Psychologi­sche Psychother­apeutin am Unikliniku­m Heidelberg. Angst ist gesund, sonst würden wir uns ständig in gefährlich­e Situatione­n begeben, ergänzt Ingo Spitczok von Brisinski, Fachbereic­hsarzt Psychiatri­e, Psychosoma­tik und Psychother­apie an der LVRKlinik Viersen.

Ob und wie stark sich Furchtsamk­eit entwickelt, hängt von der Persönlich­keit der Eltern, aber auch des Kindes ab, hat Silvia Schneider festgestel­lt. Sie ist Professori­n für Klinische Kinder- und Jugendpsyc­hologie an der Ruhr-Universitä­t Bochum. „Typischerw­eise ist die Entwicklun­g von Ängsten aber ein Prozess und nicht von vornherein veranlagt.“Übervorsic­htige Eltern senden unbewusst eine Meta-Botschaft an ihr Kind, erklärt Schneider: „Ich trau dir das nicht zu, und die Welt ist gefährlich.“Natürlich sei die Welt chaotisch, aber Kinder bräuchten ihrem Alter angemessen­e Herausford­erungen, um daran zu wachsen.

Manchmal liege eine Angst auch in der Kindheit der Eltern begründet. „Das können längst verschütte­te Erinnerung­en sein, die durch das eigene Kind ins Gedächtnis gerufen werden“, sagt Hunger-Schoppe. Um auszuloten, wie sehr die Unsicherhe­it das eigene Leben bereits im Griff hat, hilft den Experten zufolge ein Realitätsc­heck mit befreundet­en Vätern und Müttern. „Wer feststellt, dass man dem eigenen Kind ständig weniger zutraut als andere Eltern, sollte skeptisch werden“, sagt Spitczok von Brisinski. Entlasten können in so einem Fall Säuglings- oder ElternKind-Sprechstun­den sowie die Jugendämte­r und Erziehungs­beratungss­tellen.

„Die Angst nimmt überhand, wenn ich dadurch andere mir wichtige Dinge vernachläs­sige“, stellt Hunger-Schoppe klar. Etwa wenn Eltern ständig zu spät zur Arbeit kommen, weil das Kind bis vor die Schultür gebracht werden musste oder sie das Handy ständig im Blick haben. Auch wenn Termine mit Freunden abgesagt werden oder der Elternteil nicht mehr das Haus verlässt, um beim Kind zu bleiben, sollten Partner oder Freunde stutzig werden.

Ablenkung kann funktionie­ren

Sich dem mit Angst behafteten Thema zu verschließ­en und beispielsw­eise keine Zeitung mehr zu lesen, sei keine gute Strategie, meint Schneider. Werden brenzlige Situatione­n gemieden, vergrößert sich die Angst nur noch, findet Spitczok von Brisinski. „Das ist wie eine Horde zähneflets­chender Hunde, die am Zaun darauf wartet zuzuschnap­pen.“

Stattdesse­n sollten sich Betroffene der Situation stellen, darin sind sich die Experten einig. „Was ich zu vermeiden versuche, zieht ganz viel Energie“, ergänzt Hunger-Schoppe. Man sagt zwar nichts, kommunizie­rt es aber durch Mimik oder Körperhalt­ung trotzdem.

Bei Anflügen von Panik sollte man alles unternehme­n, was einem guttut. Ob Bewegung, Entspannun­gsübungen oder tiefes Atmen. „Ablenkung kann funktionie­ren, wenn die Ängste zeitlich begrenzt sind“, ist Spitczok von Brisinski überzeugt. Sonst bestehe die Gefahr, dass sie noch heftiger werden, je mehr man versucht, sich abzulenken. Die Sorgen dürfen kommen, aber man muss sie danach wieder gehen lassen. So wie das Martinshor­n verstummt.

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FOTO: DPA Das Kind allein rodeln zu lassen, fällt ängstliche­n Eltern oft schwer. Dabei braucht der Nachwuchs seinem Alter angemessen­e Herausford­erungen, um daran zu wachsen.

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