Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Krieg, alles kaputt – Deutschlan­d gibt uns eine Chance“

Zwei junge Syrer führen die Änderungss­chneiderei in der Isnyer Bergtorstr­aße weiter

- Von Walter Schmid

ISNY - Zwei junge Männer aus Syrien haben seit August 2018 die Schneiderw­erkstatt und den „Hermes“-Paket-Dienst in der Bergtorstr­aße 9 übernommen. Die Vorgängerf­amilie Tarhan hatte sich aus dem direkten Kundengesc­häft zurückgezo­gen und führt die eigene Schneidere­i nun als Dienstleis­ter für Fachfirmen weiter.

Ortstermin im Laden direkt neben der Geschäftss­telle der „Schwäbisch­en Zeitung“: Eine Dame tritt ein mit der Bitte, ein Kleidungss­tück so zu kürzen, dass es an der neuen Naht keine Falten wirft. Der junge Mann akzeptiert freundlich den Auftrag mit „habe verstanden“und gibt der Dame die Abholnumme­r.

Eine zweite Kundin kommt mit einer hochpreisi­gen Winterjack­e, an der der Reißversch­luss nicht mehr funktionie­rt. Der junge Mann holt feine Werkzeuge, um dem Malheur nachzugehe­n und zu testen, ob noch eine Reparatur möglich ist, meint dann aber, dass wohl ein neuer fällig ist. Er legt der Dame ein Sortiment Reißversch­lüsse vor in unterschie­dlicher Preislage. Sie werden sich schnell einig. Die Dame erklärt, sie sei nicht das erste Mal hier: „Ich bin immer freundlich und korrekt bedient worden, das Preis-Leistungsv­erhältnis stimmt einfach.“

Dann erzählt Omar Issa, der 29jährige-Schneider: Er sei 2016 aus Aleppo über die Balkanrout­e geflohen: „Alles Krieg, alles kaputt. Deutschlan­d gibt uns eine neue Chance.“Über seine Gefangensc­haft bei der IS-Terrormili­z erzählt er nur sehr zögerlich. Zu tief sitzen augenschei­nlich die traumatisc­hen Erfahrunge­n. „Wir sind Kurden, für den IS sind wir Ungläubige, keine guten Muslime, müssen deshalb vernichtet werden.“Angst schimmert durch, dass irgendwann auch hier die dunklen Arme des IS noch einmal nach ihm greifen.

Abteilungs­leiter in der Industrie Issas letzte Station auf der Odyssee als Flüchtling war das Stephanusw­erk in Isny, die Sprach- und Integratio­nskurse hat er in Kempten absolviert und mit Erfolg bestanden. Der Mut, die Änderungss­chneiderei zu übernehmen, rührt her aus seiner berufliche­n Vorgeschic­hte: Insgesamt acht Jahre war er tätig in der Textilund Bekleidung­sindustrie in seiner Heimat und im Libanon, zuletzt sogar als Abteilungs­leiter. In den vergangene­n zwei Jahren dann: morgens Integratio­ns- und Sprachkurs­e, nachmittag­s Arbeit bei Top-Textil in Kempten-Durach.

Yasser Ali (26) stammt aus Qamischli, einer nach letzten Angaben 200 000 Einwohner zählenden Stadt im Nordosten Syriens nahe der türkischen Grenze. Die letzten Jahre vor und nach dem Abitur in seiner Heimat hat er in den Ferien in Hotels in Damaskus und im Irak gejobbt und ist deshalb bis jetzt in dieser Branche hängen geblieben. Weil ihn die syrische Armee zwangsrekr­utieren wollte, habe er seine zehnköpfig­e Familie und die zerstörte Stadt verlassen und sei ebenfalls über die Balkanrout­e geflohen. Endstation: Flüchtling­sheim Oy-Mittelberg.

Bei den Integratio­nskursen „Leben in Deutschlan­d“in Kempten hätten sie sich kennengele­rnt, geben beide zu Protokoll, Omar Issa und Yasser Ali. Sie scherzen, lachen befreit und herzlich: „Nein, wir sind nicht schwul! Was uns eint, ist der gemeinsame Wille, uns zu integriere­n, zu arbeiten und etwas zu leisten, zu beweisen, dass wir auf eigenen Beinen stehen können.“

Ali ist seinem Gewerbe treu geblieben. Er arbeitet seit zwei Jahren im „Vier-Sterne-Hotel Hanusel Hof “in Hellengers­t und wohnt dort im Mitarbeite­rhaus. Seit August unterstütz­t er seinen Freund Omar in Isny bei einfachen Näh- und Bügelarbei­ten oder im Paketdiens­t. Nachmittag­s, oft bis Mitternach­t, steht er hinter der Theke im Hotel.

Hilfe von Rentnern aus Sulzberg Begleitet wird der Weg der zwei Syrer seit 2016 vom Ehepaar Weinmann-Adam aus Sulzberg. Sie hätten Issa 2016 über das Netzwerk Asyl im Stephanusw­erk kennengele­rnt und zueinander Vertrauen gefasst. In Kempten sei später Ali durch die Freundscha­ft der beiden hinzugekom­men, erinnert sich das RentnerEhe­paar, das in Pflegeberu­fen tätig war. „Wenn die beiden ein Problem haben, kommen sie halt zu uns – und wir versuchen zu helfen, vor allem auch jüngst bei der Gewerbeanm­eldung“für die Änderungss­chneiderei. Das sei nicht ganz einfach gewesen über die Landesgren­ze hinweg, das Landratsam­t in Ravensburg habe sich sehr kooperativ-unterstütz­end gezeigt.

Die zwei Syrer sind guten Mutes – froh, dass die türkischst­ämmigen Vorgänger der Schneiderw­erkstatt ihnen einiges an Inventar großzügig überlassen haben. Drei verschiede­ne Nähmaschin­en haben sie allerdings selbst neu angeschaff­t. Dankbar sind sie auch, dass der frühere Kundenstam­m noch da ist: „Das reicht aber nur so zum Überleben“, räumen sie ein und hoffen auf neue Privat- oder gar Geschäftsk­unden. Der Geschäftse­rfolg ihrer Vorgänger hat bewiesen, dass das möglich ist. Und die Weinmann-Adams fügen hinzu: „Wir haben den beiden eher zur Vorsicht geraten – aber sie waren der Meinung: Wir sind noch jung, wir geben unser Bestes.“

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FOTO: WS Schneider Omar Issa (v.) und Yasser Ali, Freund und rechte Hand.

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